Donnerstag, 28. März 2024

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Hochwasserschutz und Klimawandel
Niederländische Kreativität im Kampf gegen die Fluten

Der Kampf gegen Hochwasser und Fluten ist in den Niederlanden so alt wie das Land selbst. Die technische Expertise und die Kreativität der Deichbauexperten sind international gefragt: Denn der durch den Klimawandel steigende Meeresspiegel wird auch für andere Länder zum Problem.

Von Kerstin Schweighöfer | 08.11.2017
    Noch ist alles ruhig am alten Hafen von Spakenburg, einem pittoresken Fischerdorf rund 50 Kilometer südöstlich von Amsterdam. Wir stehen direkt am Kai, umringt von Backsteinhäuschen mit weiß verzierten Giebeln. Vor uns im Hafenbecken, gut zwei Meter tiefer, dümpeln alte Holzschiffe.
    Doch bei Sturm aus Nordwest und Windstärke 11 kann das Wasser bis über den Rand des Hafenbeckens steigen, erklärt Roeland Hillen von Rijkswaterstaat, der nationalen Wasserbehörde der Niederlande:
    "So wie 1916, bei der letzten grossen Flutkatastrophe. Da wurden die Fischersboote von den Fluten in die umringenden Häuserfassaden geschmettert."
    Die längste flexible Flutbarriere der Welt
    Das ist zwar schon 100 Jahre her - aber mit solchen Fluten müssen die Niederländer aufgrund des Klimawandels auch in Zukunft rechnen: Denn die Regenfälle sind extremer geworden und der Meeresspiegel steigt: 23 Zentimeter waren es in den letzten 125 Jahren - also jedes Jahr knapp 2 Millimeter. Doch in den nächsten 83 Jahren - also bis 2100 - könnte der Meeresspiegel bis zu einen Meter steigen. Vorausgesetzt, die Ziele des Klimavertrags von Paris werden erreicht und die Erde hat sich bis dahin um nur zwei Grad erwärmt. Sonst steigt er noch mehr.
    Doch dagegen sind die gut 20.000 Einwohner von Spakenburg nun gewappnet - und mit ihnen alle Menschen im Umkreis von 15 Kilometern. Denn ihr Dorf hat die längste flexible Flutbarriere der Welt bekommen. Eine, die nur dann zum Einsatz kommt, wenn man sie braucht. Ansonsten ist sie unsichtbar.
    Mit Kreativität gegen die Fluten
    Man muss schon genau hingucken, um den 300 Meter langen Streifen im Kopfsteinpflaster zu erkennen, der sich rund um das Hafenbecken zieht. Nur 12 cm dick sind sie, die Kunststoffschotten, die hier in die Strasse eingelassen wurden. Bei Hochwasser werden sie nach oben getrieben und formen eine bis zu 80 Zentimeter hohe Flutbarriere.
    Dazu wurden im Hafenbecken kleine Öffnungen angebracht. Wenn das Wasser steigt, wird es durch diese Öffnungen nach innen in den Schacht geführt, wo die Schotten liegen. Und die werden dann von den Wassermassen nach oben gedrückt. Ein ebenso einfaches wie geniales System, freut sich Hochwasserschutzexperte Hillen. Gesamtkosten: 6,6 Millionen Euro:
    "Wir konnten hier mitten im Dorf ja keinen Erdwall bauen, das hätte das Ortsbild total zerstört", erklärt er und schaut zu, wie der nationale Wassergesandte des Landes das Startzeichen für eine Testdemonstration gibt.
    Technisches Knowhow ist international gefragt
    Henk Ovink heißt er und reist im Auftrag von Den Haag durch die ganze Welt, um das Knowhow der Niederländer in Sachen Hochwasserschutz zu exportieren. Und egal ob New York, New Orleans, Thailand oder Australien: Der Rat der Niederländer ist gefragt. Auch dafür sind die Spakenburger das jüngste Beispiel: Flexible Flutbarrieren nach ihrem Vorbild werden inzwischen auch in China, Vietnam und Grossbritannien gebaut.
    "Wir wissen Sicherheit und Lebensqualität unter einen Hut zu bringen", betont Ovink. "Einen simplen Deich bauen, das kann ja jeder!"
    Zufrieden schaut er zu, wie sich rund um das Hafenbecken die Flutbarriere aufgerichtet hat - innerhalb von nur zehn Minuten.
    Investitionen von 400 Millionen Euro jährlich
    Dass die Niederländer in Sachen Hochwasserschutz eine führende Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr. 400 Millionen Euro stellt die Regierung dafür inzwischen jedes Jahr zur Verfügung. Der Kampf gegen das Wasser ist so alt wie das Land selbst. Denn ein Drittel der Niederlande liegen gerade einmal auf Meeresspiegelniveau und ein weiteres Drittel darunter - stellenweise bis zu sechs Meter tief. Und das, wie gesagt, bei steigendem Meeresspiegel. Wird sich die alte Seefahrernation trotz Klimawandel über Wasser halten können?
    "Ich bin Optimist. Aber kein Wahrsager. Ich kann nicht garantieren, dass wir trockene Füsse behalten. Doch wenn wir uns an die Absprachen von Paris halten, könnten wir es schaffen."