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Hochwasserschutzprojekt Mose
Venedig und die Korruption

Der Bau von Mose, eine Hochwasserschutzanlage in Venedig, soll verhindern, dass die Stadt in der Lagune untergeht. Doch nun versinkt der Touristenmagnet im Korruptionssumpf: Nach Schätzungen sind mehr als eine Milliarde Euro veruntreut worden, darunter auch europäische Fördergelder.

Von Karl Hoffmann | 11.06.2014
    Gondeln, Boote und ein Vaporetto fahren auf dem Canale Grande vor der Rialtobrücke in Venedig
    Nicht nur der Chef der venezianischen Wasserbehörde hatte mehr sein Bankkonto im Sinn als die Rettung der Lagune. (dpa picture alliance/ Waltraud Grubitzsch)
    Bis vor gut zwei Jahren saß Patrizio Cuccioletta in einem bequemen Ledersessel mit Traumblick auf die weltberühmte Rialto-Brücke. Da war er noch Magistrato dell Acque, hatte einen der wichtigsten Posten inne, die die ehrwürdige Stadt Venedig seit dem 14. Jahrhundert zu vergeben hat.
    "In den uralten Verordnungen des Großen Rates haben die Dogen beschlossen, den Magistrat für das Wasserwesen mit weitreichenden Vollmachten auszustatten. Er war die einzige Person in der ganzen Stadt, die das Recht hatte, jeden zum Tode zu verurteilen, der Schaden in der Lagune anrichtete."
    Patrizio Cuccioletta sitzt inzwischen im Kittchen und kann froh sein, dass die Todesstrafe vor langer Zeit abgeschafft wurde. Über viele Jahre hinweg hat er das große Dammprojekt Mose mit Leidenschaft verteidigt, als Segen und Rettung für die einzigartige Stadt in der Lagune.
    "Alles, was wir hier getan haben, geschah, um Venedig zu retten. Und wovor? Vor den Angriffen der Natur, die permanent gegen die Lagune arbeitet."
    Eigener Profit, statt Hochwasserschutz
    Nun stellt sich heraus, dass nicht nur der mächtige Chef der venezianischen Wasserbehörde, sondern auch Dutzende weitere angebliche Retter der Lagunenstadt weniger das Hochwasser als vielmehr ihr Bankkonto im Sinn hatten. Die ersten Gerüchte über dunkle Machenschaften gab es bereits Ende vergangenen Jahres. In Venedig wurden gerade die schwimmenden Barrieren des Hochwasserschutzprojektes mit dem Namen Mose erfolgreich getestet - vor den Augen des gerührten Bürgermeisters Giorgio Orsoni.
    "Ein wichtiger Augenblick, sehr bewegend."
    Und am gleichen Tag entrüstete sich im römischen Parlament Adrianna Spessotta, Abgeordnete der 5-Sterne-Protestpartei des Komikers Beppe Grillo: Die Hochwasserbarrieren seien in aller erster Linie:
    "Ein kolossales Betrugssystem, ein Kartell zwischen Politikern und Baufirmen, mit dem viel Geld veruntreut werde."
    Schätzungsweise eine Milliarde veruntreut
    Wie viel, das konnte auch die Parlamentarierin nicht ahnen. Doch nun sind die Dämme des Schweigens gebrochen und die Staatsanwaltschaft deckt nach und nach den wahrscheinlich größten italienischen Korruptionsskandal aller Zeiten auf. Beim Bau des Hochwasserschutzes von Venedig sind schätzungsweise mehr als eine Milliarde Euro veruntreut worden, darunter auch europäische Fördergelder.
    Seit gut zehn Jahren wird an der größten Baustelle Italiens gearbeitet. Mit einer wahren Materialschlacht soll künftig das Eindringen von Hochwasser aus der Adria in die Lagune verhindert werden, das mit schöner Regelmäßigkeit die Touristen zum Balancieren auf den Laufstegen zwingt und angeblich die Fundamente der Palazzi zerstört. Alteingesessene Venezianer, wie der Gondelbaumeister Gianfranco Vianello, halten die Alarmrufe vom Untergang Venedigs für Unsinn. Die wirkliche Gefahr sei inzwischen die angebliche Rettung.
    "Als Venezianer, der aus einer Familie von Fischern und Gondolieri stammt und sein Leben lang von der Lagune gelebt hat, war ich von Anfang an gegen das Mose-Dammprojekt. Die Veränderungen des Ökosystems sind erschreckend und nicht mehr rückgängig zu machen. Die Venezianer früherer Zeiten hätten mit Sicherheit jeden geköpft, dem so etwas eingefallen wäre. Seit zwei Jahren weigere ich mich, in die ..."
    Mose-Bau verursacht Veränderungen in der Lagune
    Menschenmassen schieben sich Richtung Markusplatz. In seinem Laden mit Glasschmuck steht Besitzer Alessandro Galan, zwischen den aufgestelzten Vitrinen - zwei-, dreimal im Winter steht das Wasser in seinem Laden, das würden die Hochwasserbarrieren künftig verhindern. Trotzdem würde Alessandro liebend gern drauf verzichten.
    "Wenn Sie mich nach dem Mose-Projekt fragen: Also ich war ja vollkommen dagegen. Vieles ist durch den Bau zerstört worden, die Fauna hat sich verändert. Ich bin ein passionierter Angler und konnte das genau beobachten, wie sich Flut und Ebbe verändert haben. Mir wäre es lieber, dass Venedig auch das charakteristische Hochwasser behält."