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Höchster Seehundbestand an der Nordsee seit den 50er Jahren

Die Seehunde gehören zum Wattenmeer wie Ebbe und Flut. Gerade in diesen Tagen hat die Feriensaison begonnen, und die Fahrt zu den Seehundsbänken gehört zu den beliebten Ausflugszielen der Nordseetouristen. Seehunde sind neben den Schweinswalen die Säugetiere des Meeres. Und weil sie am Ende der Nahrungskette stehen, hat sich gezeigt, dass sie mehr als andere Meerestiere unter der Schadstoffbelastung zu leiden hatten. Auch die Überdüngung führt zu Krankheiten. Je mehr Nährstoffe, desto besser leben auch die Würmer, die als Parasiten Herz- und Lunge der Seehunde befallen. Doch im Moment scheint es ihnen gut zu gehen, wäre da nicht eine neue Bedrohung - durch den Menschen.

von Annette Eversberg | 10.07.2001
    Der Seehundbestand im Wattenmeer vom niederländischen Den Helder bis zum dänischen Esbjerg ist so gut wie lange nicht mehr. Schutzmaßnahmen in den Nationalparken, Befahrensregelungen für Ausflugsschiffe und die Einstellung der Jagd haben - so Dr. Thomas Borchardt vom Landesamt für den Schleswig-Holsteinischen Nationalpark - die Überlebensrate der Tiere verdoppelt.

    Der Wattenmeerbestand war 1988 bei 10.000 gezählten Tieren angelangt. Davon sind 1988 durch eine Seehundseuche zwei Drittel gestorben. Danach hat sich der Bestand wieder aufgebaut, und zwar kontinuierlich. Die Zuwachsraten lagen immer zwischen 10 und 15 Prozent und im letzten Jahr wurden immerhin 17.000 Tiere im Wattenmeer gezählt.

    Im dänischen Wattenmeer hat der Bestand ebenfalls zugenommen. Neben den rund 3000 Tieren, die sich im Wattenmeer aufhalten, gibt es weitere Bestände nördlich von Esbjerg, im Limfjord oder auch in der Ostsee. In Dänemark beschweren sich die Fischer. Ihr Argument: Der Seehundbestand sei so groß, dass die Fischbestände immer geringer würden. Deshalb lautet ihre Forderung: Man solle wieder Jagd auf die Tiere machen. Thomas Borchardt macht nicht die Seehunde, sondern die Fischerei selber für den Niedergang der Fische verantwortlich:

    Die Fischerei auf die eigentlichen Zielfischarten, Kabeljau, Seezunge, Scholle ist einfach zu intensiv. Und das Quotensystem, das wir haben, scheint nicht recht zu funktionieren. Es gibt auch viele Möglichkeiten das zu unterlaufen. Und beim Kabeljau hat es ja dazu geführt, dass der Kabeljaufang in der Nordsee ganz verboten war.

    Die Probleme in Dänemark liegen noch etwas anders. Dort ist die Stellnetzfischerei vor allem bei Nebenerwerbsfischern sehr beliebt. Und dann kommt es gelegentlich vor, dass ein Seehund den reich gedeckten Tisch in den Netzen für sich entdeckt. In solchen Fällen konnte bisher auf Antrag ein Abschuss ermöglicht werden. Aber über 10 Tiere pro Jahr ging es bisher nie hinaus. Und die Möglichkeiten für eine Jagd sind im Wattenmeer ohnehin begrenzt, sagt Thomas Borchardt.

    Da gibt es ein Seehundabkommen, das von den Ländern Deutschland, Dänemark und Holland abgeschlossen worden ist. Und es gibt einen Managementplan dazu. D.h. die Länder beschließen immer gemeinsame Regelungen, da ist es nicht möglich, für Dänemark einfach auszuscheren und zu sagen, im Wattenmeer können die Seehunde geschossen werden. Das müssen die anderen Länder zustimmen. Und es gab auch schon einen Antrag der Dänen, in besonderen Ausnahmefällen einen Abschuss zuzulassen. Aber die sind bisher immer abgelehnt worden.

    Trotz der Schutzmaßnahmen und der hohen Bestände leben die Seehunde nicht ohne Risiko.. Das Seehundstaupevirus von 1988 ist in gewandelter Form noch immer vorhanden. Die Gefahr einer Infektion vieler Tiere bleibt bestehen. Außerdem haben Forscher der Universität Kiel, unter Leitung von Professor Dieter Adelung, festgestellt, dass sich der Zustand der Tiere verändert hat.

    Wir haben schon hin und wieder jetzt schon mal Tiere gesehen, die zwar nicht unterernährt sind, die aber eine dünnere Speckschicht haben, als in früheren Jahren. Es könnte auch sein, dass die mittel alten Tiere dann nicht so konditionell gut sind, und dann nicht so häufig zur Fortpflanzung kommen.

    Nicht die Seehunde für die Fischerei, sondern die Fischerei wird zunehmend ein Problem für die Seehunde. Ein Seehund frisst etwa 2,5 Tonnen Fisch pro Jahr. Mehr als 20 Millionen Tonnen werden von der sogenannten Industriefischerei gefangen. Genau dort, wo nach neueren Erkenntnissen auch die Seehunde jagen. Sie müssen immer weitere Strecken zurücklegen und immer tiefer tauchen, um den Tagesbedarf zu decken. Deshalb zweifelt Dieter Adelung daran, dass die Bestände eines Tages wieder die Höhe erreichen können, die sie an der Wende zum letzten Jahrhundert einmal hatten.

    Heute glauben wir, dass bei maximal 20.000 Tieren die Grenze erreicht ist. Und daran hat die Konkurrenz mit dem Menschen schuld. Eine Beschränkung der Aktivitäten der Fischerei wäre notwendig.