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Höhlenrettung
"Sie werden keine Gefühlsausbrüche erleben"

Die Bergung des verletzten Forschers aus der Riesending-Höhle bei Berchtesgaden stehe kurz bevor, sagte Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern im Deutschlandfunk. Die Rettung sei möglich, aber extrem schwierig - und nur mit Profis könnte sie überhaupt klappen.

Stefan Schneider im Gespräch mit Friedbert Meurer | 12.06.2014
    Zwei deutsche Höhlenretter (2.v.l und 3.v.l) unterhalten sich am 11.06.2014 am Untersberg bei Marktschellenberg (Bayern) am Einstieg der Riesending-Schachthöhle nach seinem Einsatz.
    Die Bergung des verletzten Höhlenforschers aus der Berchtesgadener Riesending-Höhle steht kurz bevor. (dpa / Tobias Hase)
    Friedbert Meurer: Johann Westhauser ist ein erfahrener Höhlenforscher. Er ist selbst als Retter ausgebildet und weiß damit ganz genau, wie schwierig es wird, ihn jetzt aus 1.000 Metern Tiefe zu bergen. Westhauser ist durch einen Steinschlag schwer verletzt worden. Aber seine Kopfverletzungen sind offenbar doch nicht so schlimm, dass es unmöglich wäre, ihn zu bergen. Unmöglich nicht, aber extrem schwierig. Der Rettungsweg dauert schon für einen gesunden Profi zwölf Stunden und nur die allerbesten und wenigsten schaffen den strapaziösen Weg nach tief unten im Berg bei Berchtesgaden. Dort am Unglücksort begrüße ich Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern, die die Rettung koordiniert. Guten Tag, Herr Schneider.
    Stefan Schneider: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Hat die Bergwacht schon damit begonnen, Johann Westhauser zu bergen?
    Schneider: Die Bergwacht beziehungsweise die Höhenrettungsärzte und die Teams bereiten den Patienten im Moment für den Transport vor.
    Meurer: Wann glauben Sie kann es losgehen?
    Schneider: Es wird heute nachmittag losgehen.
    Meurer: Was genau wird im Moment unten, 1.000 Meter tief unter der Erde, gemacht?
    Schneider: Es gibt sehr viele verschiedene Arbeiten. Das Team mit den Ärzten ist beim Patienten und wir müssen den Patienten im Prinzip einstellen, fit machen, spezielle Medikamente, dass er einfach in perfekter Konstellation diesen Transport zum ersten Biwak übersteht. Andere Teams bereiten Strecken vor, vereinfachen schwierige Stellen, bringen Seile an, bringen Seilbahnen an. Das ist eine Arbeit von im Moment sieben Gruppen im Berg.
    Meurer: Wie muss man sich diese Rettung dann vorstellen, Herr Schneider, wenn es heute nachmittag losgeht? Wird der Verletzte auf einer Trage getragen an den Stellen, an denen es geht, oder wie läuft das ab?
    Schneider: Richtig. Das ist eine spezielle Höhlentrage. Es gibt auch verschiedene Typen an Tragen, es kommt immer auf die Stelle an. Er wird eingepackt mit Wärmeschutz, mit Schutz von der Umwelt her, und wo es möglich ist, wird der Verletzte getragen, gezogen, geschleift, hochgeseilt. Wir haben die gute Situation, dass die Ärzte die Freigabe erteilt haben, dass an sehr engen kritischen Stellen der Patient aus der Trage herausgenommen wird und dann sogar leicht aktiv mithilft, um durch sehr enge Einheiten oder schwierige Ecken zu kommen.
    Meurer: Nun müssen ja die Rettungskräfte insgesamt 1.000 Meter nach oben. Es gibt Schächte, an denen es Hunderte von Metern hochgeht. Kann da Herr Westhauser in dieser Trage bleiben, oder wie läuft das ab, wenn es steil nach oben geht?
    Schneider: Das ist ganz unterschiedlich. Sie haben ja vermutlich die Bilder gesehen, wo direkt neben der Abseilstrecke ein Wasserfall ist. Dann wird man wahrscheinlich eher nicht liegen transportieren, weil er sonst ja nass wird, oder man hat eine vernünftige Abdeckung. Normal ist er im Gurt senkrecht, da gibt es alle Möglichkeiten. Das wird vor Ort von Stelle zu Stelle entschieden.
    Meurer: Was ist die gefährlichste Stelle vermutlich?
    Schneider: Das weiß ich nicht. Das, glaube ich, kann man so noch nicht sagen. Eine Rettung in dieser Tiefe, in diesen Schwierigkeiten ist ja noch nie passiert. Diese Sachen werden natürlich alle geübt, aber in ganz anderen Tiefen, relativ nah am Eingang, und man muss einfach die gesamte zeitliche Belastung sehen. Die Retter und die Ärzte haben ja schon eine Riesenleistung vollbracht, überhaupt bis zum Patienten vorzukommen. Das ist ja nur wenigen Spezialisten vorbehalten.
    Meurer: Es heißt, dass Sie insgesamt, Herr Schneider, sechs Teams einsetzen. Jedes Team besteht aus vier Bergungskräften. Muss man sich das so vorstellen, dass ein Team dann Johann Westhauser an das nächste weitergibt, oder wie läuft das?
    Schneider: Es sind momentan oder heute vormittag sechs Teams eingestiegen, ein Team ist ja unten beim Patienten, und die werden sich ergänzen und abwechseln. Im Prinzip muss man sich das so vorstellen, dass immer Teams den Patienten transportieren, und im Vorfeld müssen mit den Erkenntnissen, mit den Zuständen Entscheidungen getroffen werden, was gemacht werden kann. Man wird auch sicherlich Pausen einlegen müssen, wo die Ärzte den Zustand des Patienten überprüfen, auf Sicherheit gehen, und in diesen Zeiten wird immer wieder vorgearbeitet. Die große Kunst liegt jetzt eigentlich in der Kommunikation und im Prinzip darin, im Vorfeld des Patienten optimale Bedingungen zu schaffen.
    Meurer: Johann Westhauser ist ansprechbar, heißt es. Was sagt er?
    Schneider: Er ist ansprechbar, er ist klar. Was soll er sagen?
    Meurer: Dass es ihm gut geht, dass es ihm nicht gut geht, dass er Angst hat.
    Schneider: Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Ich denke mal, alle, die in dieser Höhle sind, die in dieser extremen Tiefe sind, wissen mental, dass das eine besondere Situation ist. Man ist sich, wenn man da heruntersteigt, als Forscher bewusst, wie gefährlich das ist, und man hat eine unglaubliche Disziplin. Die Retter, auch die Retter, die rauskommen, zeichnen sich durch eine unglaubliche mentale Stärke und Disziplin aus. Diese Fragen werden dort unten nicht gezeigt. Sie wissen, was ich meine? Gefühlsausbrüche oder so werden Sie da unten nicht erleben.
    Meurer: Und auch Herr Westhauser ist da ganz Kletterprofi und Höhlenforscher?
    Schneider: Absoluter Höhlenprofi.
    Meurer: Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern über die Rettungsaktion für Johann Westhauser, die heute Nachmittag beginnen soll. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Danke, Herr Schneider.
    Schneider: Vielen Dank, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.