Dienstag, 23. April 2024

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Hörerwelten: Hausbesuche einer Ärztin
Ein Liebesdienst an den Alten und Gebrechlichen

Hausbesuche sind für Ärzte zeitraubend, umständlich und rechnen sich kaum. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren folglich stark zurückgegangen. Doch es gibt auch viele engagierte Mediziner, die für ihre oft alten und gebrechlichen Patienten Überstunden schieben.

Von Claudia van Laak | 28.07.2018
    Ein Hausarzt beim Hausbesuch
    Bei Hausbesuchen stehen für Ärzte Aufwand und Ertrag oft in keinem Verhältnis - dennoch gibt es viele Mediziner, die sich oft mehr Zeit für ihre Patienten nehmen, als ursprünglich eingerechnet (Thomas Ibo / imago)
    Stephanie Moore drückt mit der rechten Hand die Tür auf, in der linken der schwere Arztkoffer. Ein in die Jahre gekommenes Mietshaus in Berlin-Tempelhof.
    "Wie viele Stunden arbeiten Sie insgesamt in der Woche?"
    "Immer 60, je nachdem auch 70."
    "Helga! Sei gegrüßt. Meine Süße. Mich hat die Hexe geschossen. Nee."
    Die Ärztin Stephanie Moore
    Die Ärztin Stephanie Moore (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
    Eine kleine robuste Frau mit feuerrot gefärbten Haaren steht schon in der Tür, erwartet sehnsüchtig die Ärztin. Helga und Hans – nennen wir sie mit Nachnamen Schmidt – verlassen kaum noch ihre Wohnung. Der 84-Jährige leidet unter Demenz und ist bettlägerig, seine 80-jährige Ehefrau kümmert sich gemeinsam mit einem Pflegedienst um ihren Mann, leidet selber unter Diabetes.
    Alles zugleich: Medizinerin, Beraterin, Seelsorgerin
    "Ich bin's Stephanie. Hallo. Hänschen. Ich bin's Stephanie. Jetzt träumst Du. Ich darf mal kurz aufdecken, oder? Ich guck mir mal den Verband an. Schön, das heilt."
    "Det schlimmste ist natürlich die Alzheimer, die macht einen fertig. Wat Hänschen, Du siehst immer irgendwelche Leute, die nicht da sind."
    Das Rentnerehepaar hat keine Kinder, Hausärztin Stephanie Moore ist deshalb alles zugleich: Medizinerin, Beraterin, Seelsorgerin – und der einzige Lichtblick an diesem Nachmittag. Die 55-jährige leidenschaftliche Ärztin tröstet, misst den Blutdruck.
    "Das ist aber ein entspannter Blutdruck, ja, aber den können wir so lassen."
    Sie setzt eine Spritze gegen den Hexenschuss.
    "Ahhh. Merken Sie schon was? Ach, wie schön."
    Pro Hausbesuch hat Allgemeinmedizinerin Stephanie Moore eine halbe Stunde eingeplant. Meistens kommt sie damit nicht aus, ihre Patientinnen und Patienten sind oft alleinstehend und vereinsamt. Ein Blick auf die Uhr – die nächste wartet.
    Drei- bis viermal in der Woche besucht Stephanie Moore ihre Patienten zuhause und fährt danach ins Labor, um die Blutproben abzugeben. Sie weiß, dass die Zahl der Ärzte, die Hausbesuche machen, abnimmt. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis – sagt die Medizinerin.
    "Dann der Patient. Entweder er hört einen nicht, da muss man schreien. Oder es stinkt fürchterlich im Zimmer, in der Wohnung sieht es aus wie Sau. Das ist kein schönes Arbeiten."
    Kritik an "völlig abgehobenen" Funktionären
    Im Auto erzählt die energische Medizinerin, warum sie dem Deutschlandfunk eine wütende E-Mail geschrieben hat. Auf Hausbesuchen unterwegs hörte sie eine Diskussion zum Thema Pflegenotstand, zwei völlig abgehobene Funktionäre hätten da diskutiert.
    "Und dann habe ich nach 20 Minuten ausgemacht, weil ich war so sauer und enttäuscht." "Pflege im Heim oder daheim" – so lautete das Thema.
    "Derjenige, der für das Pflegeheim plädiert hat, ich weiß nicht, ob der selber von innen schon mal ein Pflegeheim gesehen hat. Niemand möchte ins Pflegeheim, niemand."
    "Wir gehen gleich, besser gesagt: Wir fahren gleich in ein Pflegeheim."
    Vor der Tür ihrer nächsten Patientin erzählt Stephanie Moore von ihren Hausbesuchen im Heim. Ständig wechselnde Arbeitskräfte sind ein großes Problem. Zunehmend setzten die Pflegeheime Personal aus Zeitarbeitsfirmen ein, erzählt sie. Dabei ist die Hausärztin dringend auf Informationen über den Gesundheitszustand ihrer Patienten angewiesen – ob diese die Medikamente regelmäßig nehmen, zum Beispiel.
    "Dann sagen die, ich war gestern nicht da. Ich bin Leasingkraft. Damit ist das Thema damit fertig. Dann kann man gucken, wo man Informationen her kriegt."
    "So, gehen wir rein? Hallo Frau Philipp, ich bin's."
    Ingrid Philipp – 83 Jahre alt – kann nur noch schwer laufen. Bei der derzeitigen Hitze macht ihr das Wasser in den Beinen zu schaffen. Hausärztin Moore beugt sich nach unten, drückt leicht auf ihren Unterschenkel.
    "Sind denn die Beine dicker geworden?"
    "O ja, o ja. Ja, weil ich jetzt keine Strümpfe anhabe."
    "Jetzt horche ich mal auf die Lunge…das klingt ja gar nicht gut."
    "Das ist ein reiner Liebesdienst"
    Zu den gesundheitlichen Problemen der Rentnerin kommen die schwierigen Umstände im Altersheim – ein schwerhöriger Zimmernachbar, dessen Fernseher den ganzen Tag auf voller Lautstärke läuft, ein anderer, der raucht. Für alles hat die temperamentvolle Wahlberlinerin ein offenes Ohr.
    "Die rauchen alle. Sobald ich das einatme, dann sterbe ich hier im Bett."
    "Hoffentlich nicht."
    Doch, so geht's mir. Mir hilft keiner. Mir hilft kein Mensch."
    "Aber deswegen komme ich doch."
    Sechs Patientinnen und Patienten besucht Hausärztin Stephanie Moore an diesem Nachmittag, er endet mit einer leidenschaftlichen Erklärung.
    "Das, was wir tun und was die Pflegekräfte tun und was die Angehörigen tun, das ist ein reiner Liebesdienst. Klar, ich verdiene auch dabei, aber es ist trotzdem ganz viel Liebesdienst dabei."
    "Tschüss. Ich wünsch Euch was. Und grüß schön, ja."