Hörspiel des Monats

Normalverdiener

Die österreichische Autorin Kathrin Röggla
Die österreichische Autorin Kathrin Röggla © dpa / picture alliance / Peter Roggenthin
Von Kathrin Röggla · 01.10.2016
"Ein Stück, in dem das Reden über Geld mit dem Schweigen über Geld zusammenkommen soll; eine Beschwörung der Finanzkraft von Seiten des untergehenden Mittelstandes, eine Verdrehung der Opfer-Täter-Optik, wie es nur in diesem Milieu vorkommen kann": So beschreibt die Autorin Kathrin Röggla ihr Hörspiel "Normalverdiener".
In der Begründung Jury der Akademie der Darstellenden Künste heißt es:
Sie hätten etwas sagen, sie hätten etwas tun sollen: Aber sie haben nichts gesagt, und sie haben nichts getan: diese Gruppe von "Normalverdienern", Ärzten, Architekten, Juristen, Agenturbesitzern, Existenzgründern, die auf Einladung ihres ehemaligen Schulkameraden in dessen Luxusresort auf einer thailändischen Insel ein paar Tage Urlaub machen und in der Faszination für IHN, der es mit Geldgeschäften zu sagenhaftem Reichtum gebracht hat, komplett aufgehen.
Dass ER nicht auftritt und nur ein-, zweimal im Hintergrund am Telefon zu hören ist, ist in Kathrin Rögglas Hörspiel „Normalverdiener“ folgerichtig: Der Finanzmogul erscheint als der Gott unserer Zeit, auf den die Vertreter der Mittelschicht mit Angstlust starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Er gibt den Ton an, er beherrscht die Diskussionen, er entscheidet, was knallharte Realität ist und was naives Gutmenschentum - obwohl oder gerade weil er akustisch abwesend ist.
Und so fällt alles zurück auf den mehrstimmigen Chor der Feiglinge und Mitläufer, die noch nicht einmal reagieren, als die Leichen von Bootsflüchtlingen vor der Küste angeschwemmt werden, und sich stattdessen mit den fadenscheinigsten Rechtfertigungen vor der Verantwortung drücken.
Kathrin Rögglas Verfahren, das Personal ihres Hörspiels fast durchgehend im Konjunktiv sprechen zu lassen, ist entlarvender als jeder kritische Diskurs und jede Psychologisierung. Ihr Zugriff auf Sprechweisen, die ungefiltert ins Ohr dringen, macht sich die Möglichkeiten des akustischen Mediums in besonderer Weise zunutze. Mit dieser subjektlosen ästhetischen Methode zielt „Normalverdiener“ ins Herz der globale Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse.
Komposition: Bo Wiget
Regie: Leopold von Verschuer
Mit: Martin Engler, Leslie Malton, Verena Unbehaun, Severin von Hoensbroech, Cornelius Schwalm, Heiko Scholz, Georg Scharegg, Ulrich Peltzer, Tony de Maeyer
Produktion BR 2016
Länge: ca. 54'

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