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Hofberichterstattung im Hochsommer

Egal ob zu dem bald erscheinenden neuen Roman von "Feuchtgebieterin" Charlotte Roche oder zu einem Fernsehporträt über Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass: Kritische Töne bleiben in der Hofberichterstattung im Hochsommer aus, bemängelt Hajo Steinert.

Von Hajo Steinert | 04.08.2011
    Keine schwierigere Zeit für den Kulturjournalismus als die Sommerferien. Auch wir hier im Radio müssen uns anstrengen, das berühmt-berüchtigte "Sommerloch" zu füllen. Mal abgesehen von Bayreuth oder Salzburg und diesem oder jenem Sommerfestival in der Provinz - auf deutschsprachigen Bühnen ist während der Ferien derzeit wirklich nicht viel los.

    Und das neue Buch der "Feuchtgebieterin", Charlotte Roche, ist auch noch nicht da. "Schoßgebete" erscheint erst am 10. August. Nur vier der Autorin genehme und dem Piper-Verlag zugeneigte Redaktionen haben ein Vorabexemplar bekommen und dürfen nun prahlen mit Herrschaftswissen. Hofberichterstattung ist somit garantiert.

    "Die Zeit" und die "FAZ" haben das schon getan. Schönes Farbfoto der Roche zur Lobeshymne von FAZ-Literaturchefin Felicitas von Lovenberg am 1. August. "Schoßgebete wird jene, die den Bestseller 'Feuchtgebiete' ablehnten, positiv überraschen und die Fans des früheren Buchs nicht enttäuschen", wird die Nation eingeschworen. Und hat sich mit ihrem sich vordrängenden Artikel ja selbst eine Vorlage gegeben. Sie macht nach der PR in der Zeitung demnächst auch das Fernsehinterview mit Charlotte Roche zum Wohle der Schriftstellerin und zum eigenen Ruf als FAZ-SWR-Fernsehfrau.

    Wer gehört noch zum "Hof"? Der "Spiegel" kommt am kommenden Montag mit dem ersten Interview. Redaktionen wie die, die für Sendungen wie die, die Sie gerade hören, zuständig sind, müssen warten. Es könnten ja unangenehm kritische Worte fallen.

    Apropos Fernsehen. Was machen wir noch in Zeiten des Sommerlochs als Warten? – In der Tat, wir gucken in die Röhre. Nicht nur sprichwörtlich, auch buchstäblich. Notgedrungen häufiger als sonst im Jahr. Gestern Abend zum Beispiel. Erstes Programm. In der Serie "Deutschland, deine Künstler" ein Porträt über unseren Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass. Das Filmporträt brachte das Kunststück fertig, nur Freunde und Fellow Travellers zu Wort kommen zu lassen und folglich, so sommerlich-weich gezeichnet wie es war, von einer rabiaten Abstinenz kritischer Worte geprägt war. Statt konträre Stimmen, etwa die von Marcel Reich-Ranicki, aus dem Archiv zu holen, das ewig gleiche Lamento des Günter Grass, wie böse die Kritik mit ihm doch umgegangen, wie betroffen er noch heute sei. Der Film tat alles, um Günter Grass ein Forum zu geben. Nichts Neues kam dabei heraus. Kinderjahre in Danzig, die Jahre in Paris, wo er "Die Blechtrommel" schrieb, "Gruppe 47", Wahlkampf für Willy Brandt.

    Eine artige Chronologie mit melancholischen Landschaftsaufnahmen und Klavierbegleitung. Noch der kleinste Ansatz von Kritik am Nobelpreisträger, zum Beispiel der kurze, aber dann doch plötzlich verschwundene und zum Positiven gedrehte O-Ton des israelischen Schriftstellers Amos Oz, als er vernahm, dass Grass einer SS-Panzer-Division beigetreten, was aber letztlich doch nicht so schlimm war – jeder Ansatz leisester Kritik wurde im Keim erstickt.

    Günter Grass erstem Lektor, dem heutigen Verleger Klaus Wagenbach, war der treue Sozialdemokrat politisch damals nicht radikal genug, aber dass sie bis heute Freunde geblieben sind, versteht sich von selbst. Im Film wurde nur gelächelt. Gattin Ute lächelte immerzu. Ein anhimmelndes Lächeln. Aber reden durfte sie im Film nicht. Das durfte nur eines von seinem halben Dutzend Kindern. Selbstredend nur die, die es auch zur Kunst gebracht hat. Helene singt. Die anderen durften nicht vor die Kamera. Und Günter Grass hat sogar gelacht.

    Wir sahen gestern einen Schriftsteller im Fernsehen mit Pfeife und Freunden, Genossen des Alters und der Partei. Wir mussten seine in Kunstkreisen nicht unumstrittenen Zeichnungen ansehen und wurden in harmoniesüchtigen Salonbildern von einer Übersetzertagung darüber ins Benehmen gesetzt, wie lieb sich alle haben. Es sollte ein Porträt "jenseits von Starrummel" sein. Es wurde daraus reine Hofberichterstattung. Ein Sommerloch.