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Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Die unerwartete Kandidatur des Kriegshelden Sarath Fonseka hat die Bürger des Inselstaats Sri Lanka elektrisiert. Er könnte die Wiederwahl Mahinda Rajapakses verhindern. Überfällige Reformen scheinen auf einmal möglich. Trotz der Gewalt, die auch diesen Wahlkampf in Sri Lanka begleitet hat, wird mit einer hohen Beteiligung am Urnengang gerechnet.

Von Sabina Matthay | 25.01.2010
    Es war Mahinda Rajapakses größte Stunde: Mitte Mai 2009 verkündete Sri Lankas Präsident den Sieg über die Befreiungstiger von Tamil Elam LTTE und damit das Ende des fast 26 Jahre währenden Bürgerkriegs in dem Inselstaat im indischen Ozean:

    "Viele in aller Welt hielten die LTTE für unbesiegbar. Aber meine Regierung hat mithilfe des totalen Einsatzes unserer Streitkräfte die LTTE in einer nie dagewesenen humanitären Aktion endlich geschlagen."

    Rajapakse ließ sich als alleiniger Sieger feiern und zog die Präsidentschaftswahl vor. Die Welle des Triumphes sollte ihn für weitere sechs Jahre ins Amt tragen.

    Doch die Bestätigung im Amt, die der Präsident sicher glaubte, ist in Gefahr. Ex-Armee-Chef Sarath Fonseka, der Mann, der die Tamilischen Separatisten auf dem Schlachtfeld besiegte, tritt gegen Rajapakse an:

    "Anfangs war ich ein Niemand ohne jeglichen politischen Hintergrund. Heute liege ich weit vor meinen Hauptgegner Mahinda Rajapakse.""
    Präsidentschaftskandidat Sarath FonsekaSarath Fonseka wenige Tage vor den Wahlen. Der Präsident hatte den General nach dem Sieg über die LTTE auf einen zeremoniellen Posten abschieben wollen, aber der verließ das Militär und fordert den Staats- und Regierungschef nun heraus. Dass sich jetzt Rajapakses einflussreiche Vorgängerin und Parteifreundin Chandrika Kumaratunge für Fonseka ausgesprochen hat, ist ein Indiz dafür, wie stark der Kontrahent des Präsidenten aufgeholt hat.

    Niemand wage, den Ausgang der Wahl vorherzusagen, sagt Jehan Perera vom National Peace Council:

    "Rajapakses scheinbar sicherer Wahlsieg ist nun zu einem Kampf mit ungewissem Ausgang geworden, weil der Präsident den Kriegstriumph nicht mehr für sich allein verbuchen kann."

    Viele ethnische Sinhalesen, die Mehrheit der 21 Millionen Bürger Sri Lankas, schreiben beiden, Rajapakse und Fonseka, den Sieg über die LTTE zu und sind nun gespalten. Der Kriegsheld hat den größten Pluspunkt des Oberbefehlshabers neutralisiert, damit sind andere Probleme Sri Lankas in den Vordergrund des Wahlkampfs gerückt.

    "People want change! And believable change!"

    Die Leute wollen den Wandel und zwar einen glaubwürdigen Wandel, sagt Ranil Wickramasinghe. Der einstige Premierminister führt die Oppositionspartei UNP, stärkste Kraft des Bündnisses, das den Herausforderer stützt. Fonseka hat der LTTE die Niederlage beigebracht, aber Rajapakse hat versäumt, danach die Versöhnung herbeizuführen, meint Wickramasinghe.

    "Fonseka was able to defeat the LTTE ground forces, Rajapakse but could not bring reconciliation after it."
    Die Versöhnung mit der ethnischen Minderheit der Tamilen, deren systematische Benachteiligung dem jahrzehntelangen Konflikt auf Sri Lanka zugrunde lag. Nicht das einzige Problem, das die Bürger Sri Lankas bewegt. Jehan Perera vom National Peace Council:

    "Das wichtigste Thema ist der gewaltige Anstieg der Lebenshaltungskosten, die hohe Inflation, die vor allem die Städter belastet."

    Fehlplanungen im Gesundheits- und im Bildungswesen werden der Regierung ebenso zur Last gelegt wie ihr ungeschickter Umgang mit der EU. Sri Lanka könnte seine Handelsprivilegien verlieren, das wäre ein herber Schlag für die Textilindustrie des Landes.

    Vor allem hat die Beliebtheit des Staats- und Regierungschefs unter den Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der Korruption gelitten, drei seiner Brüder mischen in der Politik Sri Lankas mit. Sri Lanka, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Muttukrishna Sarvannthan, werde längst nicht mehr von Parteien beherrscht, sondern von einer Dynastie:

    "Rund einhundert Mitglieder der Familie Rajapakse sitzen heute an den Schaltstellen von Wirtschaft und Regierung."

    Die unerwartete Kandidatur des Kriegshelden Fonseka hat die Bürger des Inselstaats elektrisiert. Überfällige Reformen scheinen auf einmal möglich. Trotz der Gewalt, die auch diesen Wahlkampf in Sri Lanka begleitet hat, wird mit einer hohen Beteiligung am Urnengang gerechnet:

    Alle werden wählen gehen, alle, davon ist dieser Taxifahrer in der Hauptstadt Colombo überzeugt.

    Egal, was passiert, man muss einfach abstimmen, bekräftigt dieser Geschäftsmann. Er selbst will sich am Wahltag gleich ganz früh anstellen.

    Nur für welchen Kandidaten er sich entschieden hat, verrät er nicht. Die Furcht, die eigene Ansicht zu äußern, ist eine Folge der Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Namen der Terrorbekämpfung unter der Regierung Rajapakse. Eine Regierung, die den buddhistischen Nationalismus der singhalesischen Mehrheit instrumentalisiert hat.

    Abendgebete im buddhistischen Gangaram Tempel in Colombo, eine friedliche Szene. Doch der Buddhismus hat in Sri Lanka schon lange einen militanten Charakter. Die buddhistisch-nationalistische JHU nimmt für sich sogar in Anspruch, Präsident Rajapakse zur Offensive gegen die Separatisten der LTTE bewegt zu haben. Uday Gammanpila ist stellvertretender Generalsekretär der Partei:

    "Die JHU verfolgte drei Hauptziele, als sie die Koalition mit dem Präsidenten einging: Die Beibehaltung des einheitlichen Charakters des sri-lankischen Staates, die militärische Niederlage der LTTE und die Wiederherstellung des Erbes der Nation, das durch 450 Jahre westlicher Kolonialherrschaft zerstört und entstellt worden war."

    Das Ausland, neben Indien die westlichen Industriestaaten mit ihren Menschenrechtsbedenken und Verhandlungsforderungen, habe die Bekämpfung der Befreiungstiger jahrzehntelang verhindert, um Sri Lanka kleinzuhalten, so Gammanpila. Anti-kolonialer Reflex mischt sich mit der Überzeugung, dass der Buddhismus allen anderen Religionen, die Sinhalesen allen andere Ethnien überlegen seien.

    Die JHU sei nicht rassistisch, behauptet Uday Gammanpila, aber Autonomie, eine föderale Lösung zugunsten der Tamilen im Norden und Osten des Landes, lehnt die Buddhistenpartei ab:

    "Die haben einfach kein Recht dazu. Die singhalesische Kultur ist die einzig wahre einheimische Kultur Sri Lankas. Die Tamilen sind aus Indien eingewandert, die Muslime aus Arabien. (Wie kann man den Tamilen das Recht auf Selbstbestimmung einräumen.)"

    Doch ausgerechnet die Tamilen könnten bei dieser Präsidentschaftswahl Zünglein an der Waage sein, beide Kandidaten umwerben sie. Vor allem deshalb dürfte sich die Lage der zumeist tamilischen Vertriebenen im Norden Sri Lankas in den letzten Wochen gebessert haben. Weit über 300.000 Menschen lebten bis Anfang Dezember in Vertriebenenlagern, seither durften viele gehen. Andere erhalten Genehmigungen, um die Camps tageweise zu verlassen. Mitte Januar waren immer noch rund 100.000 Menschen in den Lagern, sagt Zola Dowell, die das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UNO in Sri Lanka leitet:

    "Das größte Lager ist Menik Farm mit jetzt rund 98.000 Menschen, die auf sieben Zonen verteilt sind. Das ist immer noch groß und die humanitäre Not weiterhin erheblich, obwohl die UNO, Nicht-Regierungsorganisationen und humanitäre Partner sehr eng mit der sri-lankischen Regierung zusammenarbeiten, um die Infrastruktur aufzubauen und Unterkünfte, Wasser, Lebensmittel und Sanitäranlagen bereitzustellen."

    Kurz vor den Wahlen hat die sri-lankische Regierung die Auflagen für Journalisten gelockert und gestattet Besuche in ausgesuchten Teilen von Menik Farm. Zone 1 des Lagers beherbergt Ende Januar 35.000 Menschen in Wellblechhütten. Eine Familie lebt auf acht Quadratmetern. Latrinen und Kochstellen sind ebenso vorhanden wie Ambulanzen, Nahrungsmittelausgaben und Geschäfte. Die Organisation Terre des Hommes ist hier seit Oktober tätig:

    Die zivile Lagerverwaltung und die örtlichen Behörden ermöglichen der Organisation die Arbeit, sagt Laurence Souloumiac, Leiterin des Kinderbetreuungsprojekts. Terre des Hommes bildet Freiwillige aus, die Kinder und Jugendliche in Menik Farm bei sportlichen und spielerischen Aktivitäten betreuen. Hilfe bei der Bewältigung der tiefsitzenden Traumata nach Jahren des Krieges und der Vertreibung. Junge Männer waren anfangs nur schwer als Helfer zu mobilisieren.

    Sie fürchteten, im Lagerleben aufzufallen, sagt Laurence Souloumiac. Es herrsche großes Misstrauen. Auch in ein Mikrofon mag niemand sprechen, um sich nicht in Gefahr zu bringen. Informanten könnten die Behörden benachrichtigen, die dann Befragungen durchführen.

    So ist der Jubel der Menge beim Sportfest an diesem Nachmittag mit einem verborgenen Mikrofon aufgenommen:

    Bei kurzen Gesprächen in Zone 1 von Menik Farm kehrt ein Thema immer wieder: die ungewisse Zukunft. Das Leben in dem Vertriebenenlager mag unbequem sein, doch viele Menschen wissen nicht, was sie bei der Rückkehr in ihre Heimatorte erwartet. Die Infrastruktur ist zerstört, die Häuser liegen in Trümmern, Gehöfte, Felder, Wege sind vermint.

    "We have here electric mines, these are all made by LTTE, electric mines. Anti-tilt, here we have also electric mines, here Jony 99, this is normal. WE have China type 72, we have P4 Pakistan, we have a vs 50 – Italia and 969 from Portuguese. ... and lay down on the ground."

    Jean Claude Amand, technischer Berater der Schweizer Stiftung für Minenräumung, kurz FSD, betrachtet das Beet vor seinem Büro. Dort wachsen keine Blumen, dort liegen entschärfte Minen unterschiedlichster Art, die die Tamilischen Befreiungstiger besonders in den letzten Kriegsmonaten verlegt hatten. Antipersonenminen und Antipanzerminen aus China, Pakistan, Italien und Portugal sind dabei und solche, die die LTTE in eigener Produktion fertigte. wie viele Minen die Guerillas in den Kriegsjahren insgesamt verlegten, ist ungewiss.

    Allein in dem Dorf Periyathampanai bei Vavunya hat das Team von FSD in zwei Monaten mehr als 2000 Sprengkörper gefunden und vernichtet. In anstrengender Kleinarbeit wird das Gelände von Minenräumern abgesucht, jedes Gehöft, jedes Feld in Periyathampanai hat dutzende Markierungen.

    "Wir räumen zunächst alle Gebäude, auch die Gärten und Brunnen. Auch Kanäle und Straßen müssen frei sein, bevor die Vertriebenen zurückkommen und in den Reisfeldern arbeiten können."

    Doch nicht alle Vertriebenen wollen in ihre Heimatorte zurück. Mira aus der Vanni-Region treibt die Erinnung an die Jahre unter der Herrschaft der Befreiungstiger immer noch um. Vor allem die Endphase des Krieges war grauenvoll, sagt die Mutter zweier Töchter:

    "Die LTTE begann, Kinder mit Gewalt zu rekrutieren. Nach und nach in allen Dörfern und immer mehr. Die Großen wurden rekrutiert. Und sie starben. Und starben."

    Mehrfach versuchte Mira zu flüchten, um ihre Töchter vor der Zwangsrekrutierung zu bewahren. Mit der Eskalation der Kämpfe wurde die Lage der Unbeteiligten immer schwieriger. Die sri-lankische Armee beschoss die Stellungen der LTTE, die Rebellen versteckten sich hinter den Zivilisten und schossen zurück:

    "Noch in den letzten Tagen war die LTTE sehr grausam. Sie hielten die Menschen fest, sie töteten genau die Leute, für die sie angeblich kämpften, aber dann haben sie ihre eigenen Leute getötet."

    Das Leben im Vertriebenenlager in Vavunya danach hat Mira nicht als hart erlebt, das Militär habe sie gut behandelt. Heute lebt die resolute Frau mit ihrem Mann und den Kindern in einem kleinen Zimmer von Unterstützung aus dem Ausland. Sie ist zuversichtlich, dass sie Arbeit finden, sich eine Existenz aufbauen kann. Und auch an der nächsten Präsidentenwahl will sie teilnehmen. Ihre Stimme bekommt Mahinda Rajapakse:

    "Hut ab vor unserem Präsidenten. Da drüben ging es mir so schlecht, ich hätte nicht gedacht, dass ich da lebend rauskomme."

    Beobachter glauben, dass Tamilen wie Mira eine Ausnahme sind. Ihre Stimmen dürften eher Mahinda Rajapakses Herausforderer Sarath Fonseka zugutekommen, meint Jehan Perera vom National Peace Council:

    "Sie sind unzufrieden, weil die Regierung sie nach Kriegsende nicht adäquat entschädigt und keine politische Lösung für ihre Probleme gefunden hat. Sie hoffen, dass sie von einer Koalition unter General Fonseka in dieser Hinsicht mehr bekommen."

    So wird der Mann, der die LTTE vernichtend geschlagen hat und stets als singhalesischer Hardliner galt, nun von der Tamilischen Natonal Allianz TNA unterstützt, die einst als politischer Flügel der Rebellen auftrat.
    TNA-Chef R. Sampanthan gestand Anfang Januar ein, dass seiner Partei die Entscheidung schwer gefallen sei, doch Amtsinhaber Rajapakses Verstöße gegen die Menschenrechte, die Misswirtschaft unter seiner Regierung und das Ausbleiben von Vorschlägen zur politischen Lösung der Tamilenfrage hätten den Ausschlag für den Oppositionskandidaten gegeben:

    "Nach unserer Einschätzung versteht General Sarath Fonseka, dass eine akzeptable, dauerhafte politische Lösung nötig ist, damit Frieden zwischen den unterschiedlichen Völkern in diesem Land gestiftet wird."

    Gleichheit und politische Dezentralisierung sind die Hauptforderungen der Tamilen, die vor allem im Norden und Osten Sri Lankas leben. Wie eine politische Lösung des vielleicht drängendsten Problems Sri Lankas aussehen könnte, dazu hat Kandidat Fonseka sich bisher allerdings ebenso wenig geäußert wie Präsident Rajapakse. Auch Fonsekas wichtigster politischer Verbündeter, UNP-Chef Ranil Wickremansinghe bleibt vage:

    "Das ist eine Sache für das nächste Parlament. Erstmal muss der Alltag der Tamilen organisiert werden. In Jaffna, im Vanni, in den größeren Städten."

    Wie Fonseka als Präsident eine kohärente Politik mit seinen Unterstützern zustande bringen will, ist eine offene Frage: Neben der gemäßigten UNP und der tamilischen TNA unterstützen ihn die Marxisten, eine muslimische und eine extrem singhalesisch-nationalistische Partei.

    Nicht Schüsse, sondern Böller untermalten die Abschlusskundgebungen der Präsidentschaftskandidaten. Doch Gewalt überschattete auch diesen Wahlkampf in Sri Lanka. Knapp 600 Zwischenfälle –haben die einheimischen Wahlbeobachter vom Centre for Monitoring Election Violence registriert. Paikiasothy Saravanamuttu ist Chef des CMEV:

    "Die meisten Vorwürfe und Beschwerden richten sich gegen das Regierungsbündnis. Morde, Mordversuche, Überfälle, schwere Körperverletzung, Bedrohung und Einschüchterung, Waffengewalt, Brandstiftung."

    CMEV will Beweise für die Beteiligung von Kommunalpolitikern, Behörden, Anhängern von Abgeordneten haben. Sarath Fonseka behauptet nun, die Regierung werde am Wahltag versuchen, seinen Sieg zu verhindern:

    "They are getting ready for violence. The violence will support the rigging basically. The violence will reduce the voter attendance, then the rigging will take place."

    Im Schatten der Gewalt sollten die Wahlen dann gefälscht werden, so Fonseka. Er fürchtet gar, dass die Regierung ihm mithilfe des Militärs den Sieg nehmen wolle. Das Regierungslager wiederum wirft dem Ex-General vor, der lasse Angriffe fingieren, um sich Wählersympathien zu erschleichen, lasse gar desertierte Soldaten Jagd auf Anhänger des Präsidenten machen. Beweise kann keine Seite präsentieren. Doch Paikiasothy Saravanamuttu von der Wahlbeobachterorganisation CMEV sind die Anschuldigungen Anlass genug zur Sorge:

    "Ein Wahlkampf bildet auch den Zustand eines Staates ab, die Gesundheit seiner Institutionen und seiner Regierungsverfahren. Diese Vorgänge belegen die Dysfunktionalität unserer demokratischen Einrichtungen."

    Ob Fonseka oder Rajapakse – der nächste Präsident Sri Lankas muss den militärischen Sieg im Bürgerkrieg in politische Verständigung mit seinen Bürgern ummünzen, wenn er einen friedlichen und wohlhabenden Inselstaat regieren will.
    Mahinda Rajapakse, Präsident Sri Lankas
    Mahinda Rajapakse, Präsident Sri Lankas (AP)