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Hoffnung auf unbekannte Texte von Franz Kafka

Das deutsche Literaturarchiv in Marbach bemüht sich um den Erwerb des Nachlasses von Max Brod. Nach Einschätzung des Leiters der Handschriftenabteilung im Literaturarchiv, Ulrich von Bülow, könnten darin auch bisher als verschollen geltende Texte Franz Kafkas enthalten sein, dessen Nachlass Brod verwaltet hat.

07.07.2008
    Stefan Koldehoff: In Flammen solle auch sein Nachlass aufgehen, das hatte Frank Kafka seinen Freund, den Dichter Max Brod, gebeten, bevor er im Juni 1924 starb. Brod hielt sich bekanntlich nicht daran und erhielt so ein großartiges Werk. Was Brod noch besaß, vererbte er seiner Sekretärin Esther Hoffe, die wiederum im vergangenen November im Alter von 101 Jahren in Tel Aviv starb. Nun berichtet die israelische Tageszeitung "Haaretz" und die "FAZ" übernahm die Meldung heute wenige Tage nach Kafkas 125. Geburtstag, dass in der kleinen Wohnung von Esther Hoffe möglicherweise noch unbekannte Kafka-Texte liegen könnten. Die Frage geht an Ulrich von Bülow, den Leiter der Handschriftenabteilung im deutschen Literaturarchiv in Marbach. Gibt es in Tel Aviv einen geheimen Kafka-Schatz?

    Ulrich von Bülow: Ob es einen geheimen Kafka-Schatz gibt, das kann ich nicht sagen, denn ich kenne den Nachlass von Max Brod nicht im Detail. Aber was es eben gibt, ist der Nachlass von Max Brod, der eben sicherlich auch viele Dinge von Franz Kafka enthält. Allerdings neben vielen anderen interessanten Sachen, denn Max Brod war ja durchaus ein Mensch, der im Literaturbetrieb seinerzeit im Prager Kreis zusammen mit Felix Welsch eine große Rolle gespielt hat und viele Autoren gefördert hat.

    Koldehoff: Das heißt, Sie vermuten dort oder wissen dort Korrespondenzen mit den Geistesgrößen der Weimarer Republik?

    von Bülow: Ja, das vermute ich einfach daher, weil es eben schon zum Beispiel in unseren Beständen eine ganze Reihe von Briefen von Max Brod gibt in anderen Beständen, zum Beispiel bei Berthold Viertel. Wir haben Briefe von Max Brod eben an Kafka bereits, an Willi Haas, an Ricarda Huch, an Arthur Schnitzler, an Stefan Zweig, an René Schickele und noch viele andere. Da vermute ich, dass Max Brod die Briefe hat, die von diesen Leuten und von vielen anderen Literaten seinerzeit bekommen hat.

    Koldehoff: Das würde bei Kafka zum Beispiel auch bedeuten, jenen berühmten Brief, in dem er darum bittet, dass nach seinem Tod alles, was es an Texten gibt, noch zu vernichten. Oder ist dieser Brief irgendwo schon jetzt gesichert?

    von Bülow: So viel ich weiß, hat die kritische Kafka-Ausgabe im S. Fischer Verlag, den Bearbeitern dort lagen eigentlich die Briefe vor, und die haben auch Zugang gehabt zu den Briefen, die Frau Hoffe in Tel Aviv hütet.

    Koldehoff: Es gibt bei Kafka ja durchaus noch Texte, von denen man weiß, dass sie bestehen müssen, beispielsweise das Manuskript zur "Hochzeitsvorbereitung auf dem Lande", die bisher nicht lokalisiert sind. Haben Sie denn die Hoffnung, das so was im Nachlass Max Brod zu finden sein könnte?

    von Bülow: Ja, natürlich. Wir hoffen das, und wir hoffen auch, dass wir wohlmöglich sogar Sachen finden, die bisher noch ganz unbekannt waren. Aber genau kann ich es nicht sagen.

    Koldehoff: Gibt es denn Kontakte zu den Töchtern von Esther Hoffe? Gibt es, na ja, sagen wir mal, so etwas wie die Hoffnung, dass der Nachlass von Max Brod möglicherweise mal in Deutschland, möglicherweise mal in Marbach landen könnte?

    von Bülow: Ja, die Hoffnung hegen wir schon übrigens eine ganze Weile. Max Brod selber war kurz vor seinem Tod mal in Marbach, hat hier Kurt Pinthus, den Herausgeber der expressionistischen Anthologie "Menschheitsdämmerung" getroffen und Eduard Behrendt. Denn es war schon immer vom deutschen Literaturarchiv ein besonderes Anliegen, die Emigranten wieder zurückzuholen ins Land, sei es in Gestalt ihrer Papiere oder auch sei es in Gestalt ihrer wirklichen Person. Und so hat eben Kurt Pinthus und Eduard Behrend, der Jean-Paul-Forscher, die haben hier ihre letzten Lebensjahre verbracht, und die hat eben Max Brod besucht. Und dann ist eigentlich der Kontakt nie mehr abgerissen. Kollegen aus Marbach sind immer wieder bei Frau Hoffe gewesen in Tel Aviv. Frau Hoffe war auch öfter in Marbach, hat sich alles angesehen. Und eigentlich ging es immer auch ein bisschen im Hintergrund darum, ob Marbach nicht ein guter Ort wäre für die Papiere von Max Brod. Und wir meinen eben, dass es sein sehr guter Ort wäre, weil es hier die größte Kafka-Sammlung in Europa gibt, auf dem Kontinent, besser gesagt, und weil wir hier eben schon sehr viel Anknüpfungspunkte auch in Gestalt von Briefen Max Brods haben.

    Koldehoff: Und glaubt man aufseiten des Brod-Nachlasses auch, dass Marbach ein guter Ort sein könnte? Ist man da im Grundsatz derselben Meinung?

    von Bülow: Ja, wir haben hoffnungsvolle Signale bekommen. Und wir denke eigentlich, dass die Verbindung zu Marbach stark ist. Aber andererseits stehen wir auch auf dem Standpunkt, dass ein Archiv warten können muss. Wir wollen nicht jetzt die Töchter bedrängen. Sie kennen unsere Interessen. Und wir hoffen, dass wir zu gegebener Zeit im richtigen Moment zur Stelle sind. Und wir hoffen auch, dass die Töchter eben sich an uns erinnern dann.

    Koldehoff: So etwas kostet ja auch Geld. Stünden Mittel zur Verfügung?

    von Bülow: Das ist eigentlich der dritte Schritt. Wir müssen vorher noch erst mal eine Einigung erzielen. Wir müssen die Sachen gründlich ansehen und dann schätzen. Und wenn dann eine Summe herauskommt, das ist sehr wahrscheinlich, da haben Sie ganz recht, die unsere Mittel übersteigt, dann müssen wir versuchen, Drittmittel zu beantragen. Und da stehen aber, glaube ich, die Chancen nicht schlecht bei der Bedeutung, die Max Brod hat durch Kafka, aber auch durch sein übriges Korrespondenznetz, wenn es denn erhalten ist.

    Koldehoff: Kafka in Israel. Das war Ulrich von Bülow, der Leiter der Handschriftenabteilung im Deutschen Literaturarchiv Marbach.