Donnerstag, 28. März 2024

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Hoffnung und Zweifel

Am Sonntag wurde in der russischen Teilrepublik Tschetschenien ein neues Parlament gewählt, bei dem die Kreml-Partei "Geeintes Russland" als Sieger hervorging. Russlands Präsident Putin wertete die Wahl als letzten Baustein zur Wiederherstellung aller staatlichen Organe in dem kriegszerstörten Gebiet. Bürgerrechtler hingegen sprachen von einer Farce, denn die reale Macht liege weiter beim gefürchteten Clan von Vize-Regierungschef Ramsan Kadyrow und den russischen Sicherheitskräften. Isabella Kolar über die Stimmung nach der Wahl.

01.12.2005
    Abstimmen in guter Stimmung. In dem kleinen Wahllokal in Alchan Jurt bei Grosny wird die Wahlurne fast zur Nebensache: die rauen Hände der lachenden Frauen mit den bunten Kopftüchern fliegen über die Trommel, ein alter Tschetschene mit zerfurchtem Gesicht und schwarzem Hut gibt beim Tanz sein Bestes. Alchan Jurt, das ist der Geburtsort des tschetschenischen Präsidenten Alu Alchanow und die Lehrerin Naschubek Adajewa setzt alle Hoffnung auf ihn und auf das neue Parlament, dem sie heute ihre Stimme gegeben hat:

    "Wir tanzen, weil wir hoffen, endlich frei aufatmen zu können. Wir wollen, dass unsere Selbstachtung wiederaufersteht und das Gesetz in unsere Republik zurückkehrt. Wir alle haben vor allem seelisch gelitten, nicht nur materiell. Jede Hilfe, die wir bekommen, nehmen wir mit Würde."

    Hoffnung und Begeisterung mögen echt sein, die Veranstaltung ist inszeniert. Die etwa siebzig in- und ausländischen Journalisten, die die tschetschenischen Wahlen besuchten, bekamen eine kontrollierte Führung durch die Wahllokale in und um Grosny, immer unter der Obhut der Mitarbeiter des Moskauer Außenministeriums, der tschetschenischen Spezialtruppe OMON und des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Doch die 48jährige Lena aus Assinowskij bei Grosny lässt sich nicht einschüchtern, sie hat nur einen Wunsch:

    "Wir wollen, dass alles wieder normal wird. Dass der Krieg hier aufhört. Dass sie uns nicht weiter quälen. Sie holen doch immer noch unsere Jugendlichen, sie kommen mit Masken und in Uniform. Der eine kommt zurück, der andere nicht. Ich bin doch Mutter. Jedes Mal schaust du und hast Angst um sie."

    Der russische Präsident Putin erzählt in Moskau, dass es in Grosny keinen Krieg mehr gibt, aber die 72-jährige Salma Gajewa aus Grosny weiß es besser. Sie hat beide Kriege hier erlebt und sie hasst alle Russen:

    "Wir haben es so satt. Wir waren den ganzen Krieg hier. Schrecklich! Tote, Entführte. Das russische Volk wird mit dem tschetschenischen Volk nie Frieden schließen. Ich würde alle Russen zerreißen. Ein böses giftiges Volk ist das. Sie haben überhaupt keinen Glauben."

    Der Mechaniker Ruslan empfindet nicht Hass, sondern nur noch Erschöpfung:

    "Wir erwarten den Frieden. Wir sind müde, es geht nicht mehr. Wir sind es leid zu kämpfen. Mehr wollen wir gar nicht. Das hängt jetzt alles von denen ab, die wir gewählt haben. Wenn sie Frieden wollen, werden wir Frieden haben."

    Es gibt sie tatsächlich, die Menschen in Tschetschenien, die ohne Befehl von oben Hoffnung setzen auf das neue Parlament. Doch es ist schwer auszumachen, wie viele das sind. Die Wahlbeteiligung soll laut offiziellen Angaben bei über 60 Prozent gelegen haben. Doch Grosny war am Wahltag wie ausgestorben. Anders dagegen die Situation auf dem Land: dort ist es durchaus üblich die Menschen zur Wahl zu zwingen. Der Dorfvorsteher steht dann persönlich am Wahllokal und hakt die Liste ab. Der tschetschenische Präsident Alchanow dementiert das heftig:

    "Das tschetschenische Volk kann man nicht dazu zwingen, wählen zu gehen. Weder Alchanow noch Kadyrow können das tun, niemand kann das. Die Menschen sind freiwillig zu den Wahllokalen gegangen und haben dort ihre Stimme abgegeben."

    Mit Alchanow an einem Tisch saßen bei dieser Aussage die Mitglieder des Europarates. Alu Alchanow beglückwünschte sie dazu, dass sie bei diesen freien und fairen Wahlen mit dabei sein konnten. Und der Europarat schwieg. Denn die Parlamentarier waren bei diesen Parlamentswahlen in Tschetschenien keine offiziellen Beobachter. Ihr Motto daher: besser kein Statement als ein Statement. Kritik äußerten sie dann hinterher. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig:

    "Ich kann ganz persönlich sagen, dass ich den Eindruck hatte, dass hier noch ein Klima der Angst und Furcht herrscht. Ich persönlich werde eine neue Stellungnahme erarbeiten zur Menschenrechtslage in Tschetschenien, das ist bereits weit fortgeschritten. Ich habe achtzig Fälle von schwersten Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und wir werden dieses im Dezember beraten."

    Stellungnahmen einreichen, beraten in Konferenzen, sammeln von Petitionen - die Tschetschenen wissen nach über zehn Jahren Krieg, Terror und Angst was sie davon zu halten haben. Die tschetschenische Journalistin Heda Saratowa ist tief enttäuscht:

    "Bis jetzt hatte ich noch etwas Hoffnung auf den Europarat, dass wenn man uns plötzlich vernichtet, der Westen irgendwie helfen wird. Jetzt habe ich auch diese Hoffnung nicht mehr. Das heißt, wir müssen leise, leise sterben. Selbst wenn man uns umbringt - schweigend."

    Aber noch schweigen sie nicht, noch tanzen und klatschen sie, wie zum Trotz. Wir sind ein zähes Volk, sagt der Bauer Musaim Sultanow. Wir haben bis jetzt ausgehalten, wir werden es auch weiter tun. Schlimmer kann es nicht mehr kommen.