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Hollywood
Der Pakt zwischen Filmwelt und NS-Deutschland

Das Geld spielt in Hollywood seit jeher eine zentrale Rolle. Da wundert es nicht, dass man in den 30er-Jahren das Filmgeschäft in NS-Deutschland nicht verlieren wollte und entsprechend Einfluss aus Berlin zuließ. Ben Urwand hat den Umfang der Einflüsterungen dokumentiert. Nun ist sein Buch "Der Pakt" auch auf Deutsch erhältlich.

Von Bernd Sobolla | 20.03.2017
    Das Logo des US-Filmstudios Metro Goldwyn Mayer: Ein brüllender Löwe verziert mit Filmbändern.
    Das Logo des US-Filmstudios Metro Goldwyn Mayer. "Das größte US-Filmstudio finanziert unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Rüstung," so Ben Urwand. (picture-alliance / dpa / Schmidt)
    Bereits in den 1920er Jahren erfreuten sich US-amerikanische Filme in Deutschland großer Beliebtheit. Zwei ihrer Fans: Adolph Hitler und Joseph Goebbels. Dass Hitler als Reichskanzler allabendlich sein Heimkino genoss und besonders die Filme aus Hollywood, ist allerdings keine Erkenntnis, die wir dem Autor Ben Urwand verdanken. Dass konnte man schon 1969 in Albert Speers Autobiografie lesen. Allerdings amüsiert Urwand die Leser, wenn er zum Beispiel Hitlers Vorliebe für Mickey Mouse oder King Kong beschreibt und zugleich die ideologischen Gräben innerhalb des NS-Apparats erläutert. So war für einige "King Kong"...
    "...eine Provokation des Rasseinstinkts, wenn vorliegend eine blonde Frau von germanischem Typ in der Hand eines Affen dargestellt wird". Während andere abwiegelten: "Der Film war schlicht zu 'unwirklich' und 'märchenhaft', um glaubhaft zu sein". So durfte "King Kong” auch die deutschen Kinos erobern.
    Kooperativ bis unterwürfig gab Hollywood NS-Vorgaben nach
    Auf den Vorwurf einiger Kritiker, der Begriff Kollaboration, den Ben Urwand benutzt, um das Verhältnis zwischen NS-Zensur und Hollywood-Studios zu beschreiben, sei übertrieben, entgegnet der Autor:
    "Der Begriff Kollaboration wurde von Anfang an benutzt. Niemand dachte, dass Hollywood in den 30er Jahren mit Deutschland Geschäfte machte, außer einige Historiker vielleicht, die aber nicht danach forschten. Aber die Studios arrangierten sich mit den Nazis für Filme, die weltweit gezeigt wurden, die ganzen 30er Jahre hindurch."
    Zudem werden selbst Filmwissenschaftler staunen, mit welcher Unterwürfigkeit die US-Studios bereit waren, den deutschen Forderungen nachzukommen. Urwands Analyse setzt mit dem Anti-Kriegsfilm "Im Westen nichts Neues" ein: Als die Verfilmung von Erich Maria Remarques Roman 1930 in Berlin Premiere hatte, schickte Goebbels, damals Berliner Gauleiter der NSDAP, seine Truppe in die Vorführung, um einen Eklat zu provozieren. Sechs Tage später wurde der Film, der angeblich die deutsche Soldatenehre beleidigte, aus den Kinos verbannt. Doch Studioboss Carl Laemmle gab nicht auf, setzte sich mit Vertretern der deutschen Zensur in Verbindung, und legte ein halbes Jahr später den Film mit acht Kürzungen erneut vor. So fehlten die Schulszenen, in denen ein Soldat über seine Fronterfahrungen spricht und ängstliche deutsche Soldaten gab es auch nicht mehr.
    "Das Auswärtige Amt stimmte bald zu, eine generelle Freigabe in Deutschland zu unterstützen, unter einer Bedingung: Laemmle hatte die Niederlassungen von Universal Pictures überall sonst auf der Welt anzuweisen, alle Ausgaben des Films in derselben Weise zu kürzen. Am 28. August informierte Laemmle seine Mitarbeiter in Berlin, er sei bereit, die Forderung zu erfüllen."
    Ben Urwand schreibt ohne Anklage, reiht detailliert und chronologisch die Fakten aneinander, wobei die Texte - in der Übersetzung von Gisella Vorderobermeier - eine angenehme Sogwirkung entfalten.
    Deutscher Konsul verhinderte Filmprojekt über Juden in Deutschland
    Inhaltlich kommt der Leser kaum aus dem Staunen heraus: Nur zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme 1933 entließ die UFA ihre jüdischen Beschäftigten, darunter viele ihrer besten Autoren, Regisseure, Schauspieler und Techniker. Doch in Hollywood regte sich kein Widerspruch. Mit einer Ausnahme: Der jüdische Autor Herman Mankiewicz schrieb das Drehbuch "The Mad Dog of Europe", das er der Produktionsgesellschaft RKO anbot. Die Geschichte handelt von einer patriotischen jüdischen Familie, die 1915 in Deutschland lebt, an Deutschland glaubt – und bitter enttäuscht wird. Urwand erläutert, wie der deutsche Konsul Gyssling in Los Angeles alle Hebel in Bewegung setzte, um das Filmprojekt zu verhindern und im Hays Office - einem Büro der US-Filmindustrie zur Selbstkontrolle - mit Sanktionen drohte. Das Büro vermerkte intern.
    "Die deutschen Funktionäre haben durchblicken lassen, dass das Vermögen der großen Hollywood-Produzenten in Deutschland konfisziert werden würde und keine weiteren amerikanischen Filme nach Deutschland importiert, sollte man dort nicht den entsprechenden Einfluss geltend machen."
    Auf jeden Fall wollte niemand das Filmprojekt finanzieren. Louis B. Mayer, ein potentieller Investor, schickte eine von vielen Absagen.
    "Weil wir Interessen in Deutschland haben; ich repräsentiere die Filmindustrie hier in Hollywood; wir stehen dort im Austausch; wir haben fantastische Einkünfte aus Deutschland, und wenn es nach mir geht, wird dieser Film nie gemacht werden.
    "The Mad Dog of Europe" scheiterte, und Gyssling mischte sich weiterhin massiv in Hollywood ein, sorgte dafür, dass jüdische Schauspieler nicht besetzt, Namen jüdischer Filmschaffender nicht im Abspann erschienen und forderte Schnitte, wenn Szenen angeblich dem Ansehen Deutschlands schadeten.
    Ausführliche Darstellung des Paktes zwischen Hollywood und Berlin
    Der Harvard-Absolvent Ben Urwand hat für sein Buch jahrelang in amerikanischen und deutschen Archiven recherchiert. Sein Quellenverzeichnis umfasst über 900 Fußnoten; mangelnde Akribie kann man dem Autor nicht vorwerfen. Rund 20 Filme bzw. Filmprojekte analysiert Urwand. Verblüffend, dass auch der immer offenere Antisemitismus im Deutschen Reich die Kooperation mit Hollywood nicht beendete. Ein Grund: Die Studios hätten nur mit Verlusten ihre Niederlassungen in Deutschland schließen können, da Gewinne nicht in die USA transferiert werden durften. Urwand fand gar ein Dokument, wie MGM noch 1938 seine Profite reinvestierte.
    "Und diese Dokument zeigt eindeutig, dass MGM Waffenproduktionen in Österreich und dem Sudetenland finanzierte. Das ist der Tiefpunkt der Geschichte: Das größte US-Filmstudio finanziert unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Rüstung."
    Ben Urwand hat ein hochinteressantes Buch geschrieben. Allerdings fehlt ein wichtiger Vergleich: Hatten Vertreter Frankreichs, Italiens oder anderer Länder ebenfalls derartigen Einfluss auf den Produktionsablauf? Wenn das der Fall war, würde sich die unerwartete Ergebenheit Hollywoods gegenüber dem NS-Staat relativieren. Aber auch sonst gilt: Wer glaubt, "Der Pakt" beschreibt ein singuläres Phänomen der Vergangenheit, irrt. Als US-Präsident Trump vor Kurzem Autobauern mit Strafzöllen drohte, wenn sie in Mexiko und nicht in den USA neue Produktionsstätten bauten, gab ein Unternehmen nach dem anderen seine Investitionspläne dort auf.
    Ben Urwand "Der Pakt – Hollywoods Geschäft mit Hitler"
    Theiss Verlag, 300 Seiten, 29,95 Euro.