Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Holocaust als Farce

Der österreichische Schriftsteller Franzobel hat für sein Theaterstück "Große Kiste oder das Spiel vom Zeugen" die historische Geschichte eines Hauses zum Hintergrund erkoren, in dem nach dem Krieg NS-Täter und Juden einquartiert waren. Franzobels Auftragswerk für das Nürnberger Theater hatte nun ebendort Premiere.

Von Barbara Bogen | 12.12.2009
    Man sollte vielleicht doch etwas weiter ausholen: Natürlich weiß ein Theater, was es erwartet, wenn es einen Autor wie Franzobel beauftragt, ein Stück zu schreiben über Opfer, Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus. Franzobel, Jahrgang 1967, der sich schon in Texten wie "Hunt" und "Hirschen" mit verdrängten Aspekten der Nazi-Vergangenheit beschäftigt hatte, würde ein Konglomerat servieren aus brachialem Volksstück, fantastischem Realismus, Satire, Farce und einer satten Zutat von Sprachspielerei aus der Schule des Dada. Der Autor hatte denn auch seinem jetzt für das Nürnberger Staatsschauspiel geschriebenem Stück "Große Kiste oder das Spiel vom Zeugen" nach dem Dokumentarroman von Christiane Kohl eine sogenannte Präambel, es ließe sich auch sagen, eine Art Bedienungsanleitung vorangestellt. Dort heißt es, "Man muss über den Holocaust auch lachen können, jedenfalls dann, wenn man ihn von der Opferperspektive aus betrachtet." Das ist heute weder sonderlich provozierend mehr noch originell.

    Spätestens seit der Autor George Tabori im Jahr 1987 mit seinem Stück "Mein Kampf" eine schwarze poetische Farce schrieb über Adolf Hitlers Zeit als glückloser Kunststudent in Wien, weiß man, dass das Projekt funktionieren kann, wenn man es kann. Auch der italienische Filmregisseur Roberto Benigni hatte das mit seinem Film "Das Leben ist schön" gezeigt und Ende der 90er-Jahre eine heftige Debatte ausgelöst über den Zusammenhang von Lachen und Holocaust.

    Franzobel erklärte im Vorfeld der Uraufführung, er wolle ambivalente Figuren schaffen, schreiben über die Sünden der Heiligen und die guten Taten der Verbrecher. Auch darüber lässt sich reden, natürlich, wenn auch das keineswegs als neu gilt. Dabei ist das Thema, das Franzobel nach den Recherchen der Journalistin Christiane Kohl bearbeitet hat, im Kern interessant, vor allem weil es historisch kaum bekannt ist. Im Nürnberger Villenviertel Erlenstegen waren zur Zeit der sogenannten Kriegsverbrecherprozesse zwei Villen als Gästehäuser für die Zeugen eingerichtet worden, wo sich auf groteske Weise kurz nach Kriegsende plötzlich Täter und Opfer auf engstem Raum gegenüberstanden: darunter etwa Rudolf Diels, der erste Gestapo-Chef, Heinrich Hoffmann, Hitlers Leibfotograf und Henriette von Schirach, Baldur von Schirachs Ehefrau sowie der ehemalige KZ-Häftling, Schriftsteller und Publizist Eugen Kogon, der später erster Autor einer Studie über den NS-Staat wurde.

    Franzobel hat jetzt für sein Stück dieses Personal klamaukhaft verfremdet. So wird etwa aus der dort im Zeugenhaus anwesenden Gräfin Faber-Castell "Nora Gräfin von Farben-Schatull". Aus Tut Ench Amun wird in Franzobels Text "Tut Ench Adolf". Sprachspiele auf dem Niveau von "Sei doch nicht so hysterisch, äh, historisch" sind zu ertragen oder Scherze wie:

    "Hitler hat die Eva nur ihres Namens wegen geheiratet: Braun."

    Die Buchautorin des "Zeugenhaus" Christiane Kohl hatte sich im Vorfeld heftig von Franzobels dramatischer Umsetzung der durch sie recherchierten Grundlagen distanziert. Was Regisseur Kay Neumann allerdings gestern Abend in der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände auf einer erstarrten Drehbühne in Schräglage hinlegte, war eine ebenso verzweifelt wie vergeblich um Komik bemühte, längliche Mixtur aus Zirkusmanege, Komödienstadl und Dumpfbackigkeit, schrill und bieder zugleich, begleitet von Drehorgelmusik und Johann Strauß-Walzerseligkeit treten hier die Protagonisten auf mal mit Strumpf- mal mit Schweinsmasken über den Gesichtern, servieren ein redundantes Programm aus Schuldgefühl und Verdrängung, Unschuldsbekenntnis und Opportunismus. Die "Kiste" ist die Kiste mit der deutschen Vergangenheit, sie steht auf der Bühne und niemand weiß genau, was sich darin befindet. Hitler selbst? oder das von Nazis geraubte Gold der Juden? Alles ist Gerücht, ein Nebel. Am Ende findet sich darin der tote Sohn der Zeugenhauswirtin, dessen Leiche zum blonden HJ-Engel mit schwarzen Flügeln umdekoriert wird, und Ex-Gestapochef Diels fabuliert von einer fernen Zukunft, in der sich die Erfolgreichen Bonifikationen auszahlen lassen. Eine bemühte Aktualisierung.

    "Deutschsein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, selbst wenn sie noch so blöd ist", heißt es im Stück einmal. Man sollte vielleicht den Satz zum Anlass nehmen, so eminent blöde Kisten wie diese endgültig zu begraben und darüber zu räsonieren, ob man das hinreichend erörterte Kapitel "Holocaust als Farce" bei Gelegenheit nicht auch wieder zuschlagen möchte.