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Holocaust im Kabarett?

Darf man über den Holocaust Witze machen? Und dann noch vor Publikum? Das Stück "Die Demjanjuk-Prozesse" des kanadisch-jüdischen Autors Jonathan Carfinkel läuft derzeit in Heidelberg und ist ein intelligenter Mix aus Kamauk und Tiefsinn.

Von Christian Gampert | 01.04.2010
    Ist der mutmaßliche KZ-Scherge John Demjanjuk ein armes Opfer? Zusammengesunken, nach Luft schnappend liegt der alte Mann auf seinem Bett im Münchner Gerichtssaal, zusammengesunken liegt er auch auf der Bühne im Heidelberger Theater. Muß man so einen noch verurteilen? Der junge kanadische Autor Jonathan Garfinkel, erzogen im jüdischen Glauben, erfahrener Israel-Reisender, nimmt sich die Freiheit zu sagen: solche Prozesse sind absurd, sie kratzen nur an der Oberfläche. Garfinkel betreibt seine Publikums-Verunsicherung allerdings mit theatralischen Mitteln, die in Deutschland bei diesem Thema neu sind: Verständnis auch für die Täter, bissige Songs, Gerichts-Satire, Holocaust-Witze.

    "Warum können Nazis keine DJs sein? Weil sie den Unterschied zwischen 33 und 45 nicht kennen."

    Oder, eine Spur härter: warum hat VW so wenig jüdische Kunden? Die meisten haben Probleme mit den deutschen Vergasern.

    Man mag das für abgeschmackt halten, aber: das Publikum lacht - und schämt sich dann. In der israelischen Linken kursieren solche Scherze schon lange, und auch das kanadische Off-Theater ist offenbar wenig zimperlich, wenn es um die Shoah geht. There is no business like Shoah business – das ist das Leitmotiv: Täter und Opfer durch das Inferno einer grotesken Show zu treiben. Der Zuschauer wird hinterrücks zum Komplizen gemacht:

    "Soll mer einen singen? Soll mer einen singen?"

    Und dann singt Iwan der Schreckliche, der SS-Scherge, der junge Demjanjuk wie im 20er-Jahre-Cabaret (und leider auf Englisch), dass es in Treblinka großartig gewesen sei, aber nach dem Krieg habe er auch viel zu tun gehabt.

    Das ist der Punkt: ist dieser John Demjanjuk nicht einfach nur ein freundlicher Biedermann, treusorgender Vater, der zu Hause den Rasen mäht? Was hat der mit seinem früheren Leben als KZ-Aufseher zu tun, als er angeblich Schwangere mit der Machete aufschlitzte? Hat er sich geläutert? Ist er überhaupt der Gesuchte? Klaus Cofalka-Adami spielt mit rührender, scheinnaiver Zähigkeit einen empörten Rentner, gegen den sich die ganze Welt verschworen hat. Was können wir über diesen Demjanjuk wissen? Die Erinnerung ist trügerisch: die Opfer, die in ihm "Iwan den Schrecklichen" zu erkennen meinten, haben augenscheinlich geirrt. Demjanjuk (der gar nicht freiwillig, sondern als Kriegsgefangener zur SS kam) war nicht in Treblinka, er war in Sobibór, wahrscheinlich als Wächter. Seine deutschen Vorgesetzten kamen in den 60er-Jahren mit milden Strafen davon. Warum dieser hochsymbolische Schauprozess, fragt Autor Garfinkel, und untergräbt immer weiter unser Vertrauen in die Justiz - und in die Menschheit.

    Der Regisseurin Catja Baumann gelingt es (bis auf wenige Ausnahmen) verblüffend gut, die vielen verschiedenen Schreibweisen des Stücks zusammenzuhalten: Dokumentation und Disput, Song und Publikums-Anmache, bösartige Satire und einsamen Monolog. Cofalka-Adami kriecht in seinen Flash-Backs zurück in die Kindheit, liegt verloren in der Zelle, leugnet seine Verbrechen und weint. Und was bei Autor Garfinkel nur als Stimme aus dem Off vorkommt, wird in Heidelberg zu einer zweiten Hauptfigur: Daniel Stock spielt den jungen Demjanjuk, den präsumtiven Nazi-Schlächter, als bleichen Thanatos-Mephisto in SS-schwarzen Kleidern, und er übernimmt noch viele andere Rollen, Zwischenrufer, Anpeitscher, Derwisch - ein böser Geist.

    2008, beim "Theater der Welt" in Halle, kam die "Dritte Generation" der israelischen Regisseurin Yael Ronen heraus. Im Gegensatz zu dieser anmaßenden Aufführung, in der sich quietschjunge deutsche Schauspieler satirisch-fidel für den Holocaust entschuldigten, lässt Catja Baumann hinter der Provokation immer den Abgrund sichtbar werden, der in uns allen lauert: in den Staats- und Rechtsanwälten, den Geheimdienstlern, den Zuschauern – und eben auch in dem ukrainischen Automechaniker John Demjanjuk, wer immer das sei.