Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Hommage an ein Mode-Alien

Leigh Bowery war einer der Stars des Punk. Als 19-Jähriger kam er aus Australien nach London und trat dort regelmäßig in einer Clubnachtreihe namens Taboo auf. Bowery zahlte den höchsten Preis, der auf Exzesse steht: Er starb 1994 im Alter von nur 33 Jahren. Sein Vermächtnis fasziniert heute wieder viele. Der Kunstverein Hannover widmet ihm eine eigene Ausstellung.

Von Carsten Probst | 30.08.2008
    Es gibt zwei Seiten an der Selbstinszenierungskunst von Leigh Bowery: eine offizielle, optisch geglättete, und eine intime und subversive. Bowery beherrschte beide Metiers virtuos, sowohl den Hochglanz der Modefotografie in den 80er und 90er Jahren als auch die Sprache der Londoner Subkultur.

    Seine ersten ausgefallenen Kostüme präsentierte er in den Londoner Musikklubs Anfang der 80er Jahre, wie immer ausschließlich am eigenen Körper. Zweifellos war er damit kein Einzelfall, weil es in der Szene schon länger einen regelrechten Wettbewerb um die kompromisslosesten Kostümierungen und Auftritte gab.

    Bowery aber ging es aber nie um das Partyleben und um die Selbstdarstellung allein, sondern um die Bühne, die ihm diese Clubs boten, und um das Outfit als Selbstzweck, wie Michael Bracewell in Charles Atlas’ Dokumentation "The Legend of Leigh Bowery" schreibt.
    1980 war er aus Melbourne, wo er ein Studium als Modedesigner abgebrochen hatte, weil es ihm zu akademisch gewesen war, nach London gekommen. Fünf Jahre später startete er zusammen mit Tony Gordon die wöchentliche Clubnachtreihe "Taboo", in der er regelmäßig selbst auftrat und sich selbst in seinen skulpturalen und theatralischen Kostümen und Rollenspielen präsentierte.

    Das Prinzip war, dass das Kostüm den Körper komplett überformte und verfremdete, ihn unpersönlich und zu einem "living object" machte, ihm damit jedoch eine neue, intime Ausdruckskraft verlieh. In seiner "Birth-Performance" von 1992 tritt Bowery beispielsweise als comichaft stilisierte, fettleibige Matrone auf und gebiert in einem schrill-kleinbürgerlichen Mysterienspiel aus einem speziell angefertigten Bauchsack seine Assistentin Nicola Bateman.

    Ein Jahr zuvor zeigt er sich als "Wannabe Model", als Mode-Alien in einer khakifarbenen Ganzkörper-Röhre, aus der nur ein riesiger pelziger Haarschopf herausragt und in der Mitte sich ein Schwangerschaftsbauch wölbt, und verhöhnt so die vermeintliche Extravaganz der traditionellen Haut Couture.
    In den Modefotografien eines Fergus Greer oder Johnny Rosza wiederum wird die Verfremdung zugleich veredelt, ikonisiert und ironisiert. 1986 sieht man Bowery als rosa "Hochzeitstorte" mit herzförmigem Clownsmund, Luftballons und Kerzenhütchen, bei Fergus Greer als Karikatur eines Vorstadtgartens mit goldenem Weihnachtsbaum oder als seltsam kopflose goldene Skulptur, die an manche Kreaturen Picassos oder Francis Bacons erinnert, tatsächlich aber wohl in die Reihe der Science-Fiction-Veräppelungen gehört, der sich Bowery mit Eleganz und Hingabe gewidmet hat.

    Die Vermischung von Geschlechtern, Ding und Kreatur, Öffentlich und Privat, Vergangenheit und Zukunft, High and Low wurde von Bowery zwar nicht erfunden, aber eindeutig auf die Spitze getrieben.

    David Robert Jones, besser bekannt als David Bowie, hatte ja schon in den 60er und 70er Jahren mit seinem Alter Ego Ziggy Stardust ein androgynes Alien in der Popkultur verbreitet. Leigh Bowery wechselt dagegen vor dem Hintergrund der Londoner Gay-Szene der 80er Jahre seine Alter Egos nunmehr ständig, mit jedem neuen Kostüm, erfindet immer neue, führt den Begriff des "Ego" damit ohnehin schon ad absurdum.

    Das eröffnet ihm riesige, immer wieder existenzialistisch-pathetisch getönte Themen wie: Geburt und Tod, Liebe und Religion, Krieg und Geschlechterrollen, die in seinen Kostümierungen zu Körperzeichen, zu schönen Versehrungen, Entstellungen werden, die Persönlichkeit einschmelzen und zu einem Fantasma gerinnen lassen.

    Vorrangig, so scheint es, hat Bowerys Werk sich vor allem auf die Popkultur und Mode der 90er Jahre ausgewirkt. John Gallianos Haut Couture-Präsentation von 2003, im zehnten Jahr nach Bowerys frühem Tod, soll explizit als Hommage an den Modemacher und Performer konzipiert gewesen sein. Der Sänger Boy George, für den Bowery anfangs das Bühnenoutfit entworfen hatte, bezeugte später immer wieder seine Verehrung für den Kollegen.

    In der Kunstszene dagegen sind merkwürdigerweise keine Reaktionen auf Bowerys Performances bekannt. Allerdings hat seine Freundschaft mit dem Maler Lucian Freud zu zahlreichen Bildern geführt, in denen Bowerys massiger, muskulöser Körper völlig unkostümiert zu sehen ist, als handele es sich um einen Gegenentwurf zu seiner Bühnen- und Modeexistenz. Für einige der berühmtesten Gemälde von Freud stand Bowery Modell, zusammen mit Nicola Bateman etwa als schlafendes Paar auf einem Bett für das bekannte Werk "And the Bridegroom" von 1993.
    Kurz vor seinem Tod heiratete der homosexuelle Bowery seine Assistentin übrigens tatsächlich, die seither den Nachlass betreut. Bislang hat sich noch in keine öffentliche Sammlung dessen angenommen, obwohl er zu den wichtigen Werken an der Grenze von Popkultur und Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts zählt.