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Homophobie in Polen
Als Lesbe in der "LGBT-freien-Zone"

Die polnische Schülerin Alicja wird in ihrem Dorf beleidigt und ausgegrenzt - weil sie lesbisch ist. Homophobe Einstellungen führten in vielen polnischen Kommunen sogar zu Gesetzen. Viele Homosexuelle verlassen Polen, doch Alicja lässt sich dadurch von ihrem Kampf für LGBT-Rechte nicht abhalten.

Von Florian Kellermann | 14.03.2020
Alicja überklebt einen homophoben Sticker.
In ihrem Dorf überklebt Alicja regelmäßig homophobe Sticker (Dlf / F. Kellermann)
Alicja Sienkiewicz schaut auf die andere Straßenseite, auf ein kleines Einfamilienhaus, oben am Hügel. Die Nachbarn dort haben die Polizei gerufen, am Morgen standen die Beamten bei ihr vor der Tür. Der Grund: Eine Zeitung hatte über die Schülerin und homosexuelle Aktivistin berichtet, mit einem Foto – Alicja auf der Dorfstraße und dahinter das Einfamilienhaus. Für die Nachbarn ein Skandal. In so einem Zusammenhang dürfe ihr Haus nicht gezeigt werden, erklärten sie der Polizei.
Alicja wirkt immer noch ein bisschen mitgenommen:
"Außerdem hat jemand den Zeitungsartikel über einen anonymen Twitter-Account verschickt. Mit dem Kommentar: Seht her, ein 19-jähriges Flittchen aus dem Dorf Ciecierzyn. Der Autor gibt an, in welche Grundschule ich gegangen bin und welche Noten ich da hatte. Dass jemand mich so ausspioniert hat, das schockiert mich schon."
Die Nachbarn, anonyme Hasser, und auch der Pfarrer reden schlecht über Alicja. Jahrelang hat sie im Kirchenchor Psalmen gesungen. Jetzt stellt sie der Pfarrer vor anderen Jugendlichen als jemanden dar, der sich von Gott abgewendet habe.
Bezirksparlamente sehen polnische Werte bedroht
Denn Alicja setzt sich für die Rechte von Homosexuellen ein. Im vergangenen Jahr hat sie deren sogenannten Gleichheits-Marsch mitorganisiert, im elf Kilometer entfernten Lublin, der größten Stadt im Osten von Polen. Und sie hat im Bezirksparlament eine kurze Rede gehalten:
"Der Leiter der Sitzung hat mich ständig lautstark mit Kommentaren unterbrochen. Dass ich doch nur Unsinn rede. Die Abgeordneten haben mich ausgelacht, mir direkt ins Gesicht, und ich wusste überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte."
Bei der Sitzung ging es um eines der zuletzt brisantesten Themen in Polen. Kommunalparlamente haben sich zur sogenannten LGBT-Bewegung positioniert. LGBT steht dabei für Homosexuelle, Bisexuelle und Transsexuelle. Der Tenor der Parlamentsbeschlüsse: Diese Bewegung bedrohe die traditionellen polnischen Werte, vor allem das traditionelle Familienbild. Vor allem Kommunalpolitiker der rechtskonservativen Regierungspartei PiS haben für die Beschlüssen gestimmt, aber nicht nur.
Eine lächerliche Propaganda sei das, meint Alicja, die ihr Coming-out als Lesbe vor weniger als einem Jahr hatte:
"Wir fühlen uns immer schlechter. Ich wundere mich nicht, dass sich vor allem immer mehr Junge entschließen, das Land zu verlassen. Aber jemand muss ja auch hier bleiben, um zu kämpfen und das Karussell des Hasses anzuhalten. Und ich fühle, ich bin eine von denen, die hierbleiben sollten."
Alicja geht die Dorfstraße entlang, direkt an einem idyllischen Bach. Nach Hause lädt sie lieber nicht ein. Die Mutter versuche, sie zu verstehen. Aber die meisten anderen in der Familie schwiegen das Thema einfach tot. Und manche Verwandte fragten sie bei Treffen immer noch, wann denn mit der Hochzeit und mit Kindern zu rechnen sei.
Unverstanden und ausgegrenzt fühlen sich viele Polen, die nicht dem gängigen sexuellen Rollenbild entsprechen.
Doch das sei ein Missverständnis, meinen die Politiker, die für die Beschlüsse der Kommunalparlamente verantwortlich sind. So Radoslaw Brzozka, Abgeordneter im Kreis Swidnik, ebenfalls in der Nähe von Lublin.
"Der Landkreis arbeitet für alle Bewohner gleichermaßen, ohne Ausnahme, er achtet ihre Würde und ihre Privatsphäre. Er hält sich an geltendes Recht. Und das Recht verpflichtet uns nun mal, uns um die Familien zu kümmern. Das ist doch eine Manipulation zu behaupten, wir säten Hass und unsere Gegner brächten uns die Liebe hierher."
Das Saarland an den Grenzen seiner Freundschaft
Homosexuelle Menschen oder Transgender werden in Polen durch kommunale Gesetze ausgegrenzt. Das Europäische Parlament hat Polen dafür gerügt. Im Saarland zeigt sich, wie dieser Konflikt auf kommunaler Ebene ausgetragen wird.

Die Abgeordneten wollten doch nur eines klarstellen: dass sich die Mehrheit der Bürger der katholischen Tradition und dem traditionellen Familienbild verpflichtet fühlten. Sie stünden gegen die gesellschaftliche Revolution, die manche anstrebten. Revolution – darunter fällt für Brzozka auch die Forderung, dass homosexuelle Paare heiraten dürfen.
Schon über 90 kommunale und regionale Parlamente in Polen haben Beschlüsse gefasst, die sich direkt oder indirekt gegen die LGBT-Community richten. Die zu ihnen gehörigen Gemeinden liegen vor allem im Südosten und machen fast ein Drittel des Staatsgebiets aus.
Angriffe auf Homosexuelle
Der Schwulen-Aktivist Bartosz Staszewski hat viele dieser Gemeinden bereist:
"Ja, wenn es nur diese Beschlüsse wären. Aber wir haben ja auch handfeste Angriffe auf unsere Märsche in Lublin und in Bialystok im vergangenen Jahr erlebt. Auf uns sind Steine geflogen. Jugendliche, die wegen ihrer Homosexualität verspottet werden, begehen Selbstmord. Diese Beschlüsse sind doch nur der formale Ausdruck dieser Homophobie. Sie sind die Spitze des Eisbergs."
Bartosz Staszewski ist mit einem von ihm angefertigten Schild in die betroffenen Gemeinden gereist. "LGBT-freie Zone" steht darauf, und Bartosz hat es jeweils neben das Ortsschild montiert und fotografiert. Eine künstlerische Aktion, die international Wellen schlug und sogar im EU-Parlament wahrgenommen wurde.
Seitdem haben sich die Fronten in Polen noch verhärtet. Schwulen-Aktivisten haben alle Gemeinden mit sogenannten Anti-LGBT-Beschlüssen auf einer interaktiven Karte eingezeichnet und sprechen von einem "Atlas des Hasses". Die ultrakonservative Stiftung hat dagegen Klage eingereicht.
Alicja Sienkiewicz, die Schülerin aus dem Dorf Ciecierzyn kämpft einen viel konkreteren Kampf. Sie geht regelmäßig durch ihr Dorf und überklebt homophobe Aufkleber an Straßenschildern. Auf ihren Aufklebern steht: "Hier darf jeder er selbst sein". Alicja:
"Natürlich gehen mir die Hass-Nachrichten nahe, die ich lese. Ich muss mir täglich sagen: Du tust das Richtige. Du tust etwas Gutes. Du darfst nicht aufgeben."