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Honduras
Befreiungstheologie on air

Der christliche Sender Radio Progreso mischt sich in Honduras in die Politik ein, ergreift Partei für die Schwachen und gegen die Regierung. Das bringt den Journalisten viele Sympathien ein, aber auch Probleme. Manche fürchten um ihr Leben.

Von Petra Sorge | 02.10.2018
    Eine Jesus-Statue in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa - davor dunkle Wollken
    Eine Jesus-Statue in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa (AFP/Orlando Sierra)
    Im Norden von Honduras, mitten im Dschungel, packt der Journalist Inmar Chavez sein Mikrofon aus. Hier, in Parjuiles, gibt es Proteste, über die Chavez für den christlichen Sender Radio Progreso berichtet. Die Menschen wehren sich gegen einen Staudamm, der in ihrem Dorf gebaut werden soll. Sie fürchten, dass dadurch ihre Felder vertrocknen. Chavez, seit 16 Jahren bei Radio Progreso, hat die Proteste von Anfang an begleitet.
    "Die Menschen hier kämpfen permanent. Aber sie kriegen Todesdrohungen, gegen zehn Personen läuft ein Strafprozess. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Privateigentum angegriffen zu haben."
    Luz Elena Varella bei einer Versammlung von Staudamm-Gegnern
    Luz Elena Varella beteiligt sich an den Protesten gegen einen geplanten Staudamm im Norden von Honduras (Deutschlandradio / Petra Sorge)
    Obwohl der Staat und der Staudamm-Konzern immer stärkeren Druck ausüben, gehen die Proteste weiter. Aber die Angst sei größer geworden, erzählt die Demonstrantin Luz Varella dem Reporter von Radio Progreso.
    "Die Angst ist normal, denn wir sind Menschen, Menschen aus Fleisch. Wir sind nicht aus Eisen. Ich weiß, dass Kugeln uns durchlöchern können. Aber ich glaube, dass wir der Stärke Gottes vertrauen können. Und was uns nicht tötet, macht uns stärker."
    "Sie wüssten nicht, dass es eine Revolution gibt"
    Radio Progreso wird von Jesuiten betrieben und von christlichen Organisationen aus aller Welt finanziert. Der Sender ist religiös, vor allem aber: politisch.
    Foto der Internetseite von Radio Progreso
    Die Internetseite von Radio Progreso (Deutschlandfunk)
    Radio Progreso ist in Honduras sehr einflussreich. Im vergangenen Jahr gab es landesweite Proteste gegen die Regierung. Staatspräsident Juan Orlando Hernández wurde trotz massiver Betrugsvorwürfe wiedergewählt. Hunderttausende gingen auf die Straße. Mehr als 30 Menschen wurden getötet, mehr als 2000 inhaftiert. Die Anwältin und Frauenrechtlerin Merary Ávila ist überzeugt: Ohne Radio Progreso hätten sich die regierungskritischen Proteste nicht so schnell ausgebreitet.
    "Ohne die Arbeit des Radios und derjenigen, die die Informationen in die Gemeinden weitergeben, wüssten die Leute nicht, dass es eine Revolution im Land gibt. Sie würden auch nicht dazu ermutigt werden, auf die Straße zu gehen."
    Kein Vertrauen in die Polizei
    Radio Progreso, gegründet 1956 und inzwischen in 14 von 18 Departamentos des Landes zu hören, versteht sich als Oppositionssender. Als Stimme der Unterdrückten. In den Studios in der Stadt El Progreso dokumentieren sie, wie sich die Menschenrechtslage in Honduras zunehmend verschlechtert.
    Dieser kritische Journalismus gefällt nicht allen. Der christliche Sender ist Ziel von Attacken. Im Dezember zerstörte jemand den Sendemast in der Hauptstadt Tegucigalpa. Zwei Mitarbeiter wurden in den vergangenen Jahren brutal ermordet. Seitdem stehen zwanzig Journalisten unter Polizeischutz. Auch Inmar Chavez.
    "Das Problem ist, dass wir der Präventionsarbeit der Nationalpolizei nicht vertrauen. Wenn ich die Polizei sehe, fühle ich mich eher noch hilfloser. Die Polizeipatrouille kommt abends um 9 einmal an meinem Haus vorbei. Sie kommt, bleibt für 30 Sekunden, und dann geht sie. Das ist das Einzige, deswegen fühle ich mich unsicherer. In Honduras ist es Extremsport, Journalist zu sein. Du verlässt dein Haus – und weißt nicht, ob du lebend zurückkommst."
    Informationssperre gegen Radio Progreso?
    Chavez fühlt sich nicht nur vom Staat alleingelassen, sondern auch in seiner journalistischen Arbeit behindert:
    "Wenn der Präsident in den Norden kommt und ich darüber berichten will, lassen sie mich nicht rein."
    Inmar Gerardo Chavez, Journalist bei Radio Progreso
    Inmar Gerardo Chavez, Journalist bei Radio Progreso (Deutschlandradio / Petra Sorge)
    Auch seine Kollegen in der Hauptstadt Tegucigalpa hätten keinen Zugang zu den Pressekonferenzen der Regierung. Die Bergbauministerin Nividia Hernandez sagt auf Nachfrage, sie wisse nichts von einer staatlichen Informationssperre gegen Radio Progreso:
    "Das ist nicht mein Job. Aber vielleicht macht das jemand, wenn er die Presse oder einen bestimmten Journalisten nicht mag, weil sie Feinde sind. ‚Den will ich nicht bei mir, weil ich nicht weiß, was er über mich sagt."
    "Sie behandeln uns wie Kommunisten"
    Radio Progreso – auf Deutsch: Radio Fortschritt - sieht sich in der Tradition der Befreiungstheologie. Der christlichen Theologie also, die Ende der 1960er Jahre in Lateinamerika entstanden ist, im Kampf gegen Unterdrückung und Diktaturen. Viele Befreiungstheologen riskierten nicht nur ihr Leben, wenn sie gegen die Staatsmacht predigten. Sie gerieten oft mit ihrer eigenen Kirche in Konflikt. Auch bei Radio Progreso sei das so, sagt Inmar Chavez:
    "Also - die Gegensätze prallen aufeinander, zwischen der konservativen Kirche und der Kirche der Befreiung. Sie behandeln uns wie ein kommunistisches Radio, und uns wie Kommunisten."