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Hongkong
"Wirtschaft befürchtet Veränderungen"

Die Finanzwelt in Hongkong befürchte, dass China "einen diktatorischen Einfluss" geltend mache, sagte der Chinaexperte Jens Peter Otto im Deutschlandfunk. Für die Wirtschaft vor Ort seien die Unruhen besorgniserregend.

Jens Peter Otto im Gespräch mit Ursula Mense | 30.09.2014
    Demonstranten in Hongkong.
    Demonstranten in Hongkong. (AFP / Philippe Lopez)
    Ursula Mense: Zum Start blicken wir aber nach Hongkong, wo sich angesichts der Massenproteste die Wirtschaft dort, vor allem die Finanzwirtschaft in Zurückhaltung übt. Unruhen sind nicht erwünscht, sie schaden dem Geschäft. Auch wenn man einen Rechtsstaat erhalten möchte, liegt der Wirtschaft insgesamt offenbar daran, Peking nicht zu provozieren. Oder gibt es andere Gründe? - Auch die örtliche Netzwerkfirma der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers hat zur Besonnenheit aufgerufen. Ich hatte Gelegenheit, den PWC-China-Experten Jens Peter Otto vor der Sendung zu sprechen, und habe ihn gefragt, was genau die Finanzbranche und die Wirtschaft insgesamt in Hongkong befürchten.
    Jens Peter Otto: Es gibt ja den Grundsatz "ein Land, zwei Systeme". Aber da China ja keine westlich orientierte Demokratie ist, steht natürlich zu befürchten, dass China entsprechend einen diktatorischen Einfluss auf Hongkong geltend machen wird.
    Mense: Können Sie denn mal an einem Beispiel verdeutlichen, was da auf dem Spiel stehen würde?
    Otto: Wirtschaftlich steht sicherlich die Sonderstellung auch auf dem Spiel, wenn man sich den Hafen Hongkong anschaut, wo ja sehr viele Güter drüber umgeschlagen werden, wenn man sich jetzt anschaut, wie die anderen Häfen in China an Bedeutung gewonnen haben, ob das nun in Tianjin oben bei Peking ist, oder aber der Ningbo-Hafen und der Shanghai-Hafen im Jangtse-Delta, die sind dabei, Hongkong dann auch zu überholen.
    Mense: Andererseits ist es ja jetzt schon so, dass Shanghai eigentlich als Finanzplatz dabei ist, Hongkong zu überholen. Wo sehen Sie da den Zusammenhang?
    Otto: Shanghai ist insofern noch nicht mit Hongkong vergleichbar, da dort noch die Devisenbewirtschaftung gilt. Das heißt, der Renminbi ist nicht frei konvertierbar und auch die anderen Währungen dort nicht. Das ist der Unterschied zum Finanzplatz Hongkong.
    Mense: Das heißt, die Finanzwelt vor allen Dingen in Hongkong, als auch die Wirtschaft befürchten durch mehr Demokratisierung, dass im Grunde genommen ihre führende Position eingeschränkt wird. Habe ich das richtig verstanden?
    Otto: Ich würde nicht sagen, dass die Demokratisierung die Befürchtung ist, sondern die Unruhen, was dann natürlich weiter dazu führen wird, wie gut kann man in Hongkong dann noch wirtschaften. Es ist die Unruhe, es ist nicht die Demokratie an sich.
    Mense: Nun sind aber die Wünsche der Demonstranten teilweise ja auch nicht so freundlich für die Finanzwirtschaft. Zum Beispiel könnte es ja sein, wenn sich bei freien Wahlen ein Verwaltungsratschef durchsetzen würde, der zum Beispiel die Bankenregulierung durchsetzen möchte, oder die Mietpreisbremse - die Immobilienpreise in Hongkong sind ja sehr hoch. Sind das auch konkret Beispiele, wo Sie sagen, na ja, genau das ist es?
    "Auch die einfachen Arbeiten fürchten Veränderungen"
    Otto: Aus der westlichen Brille müssten wir natürlich sagen, die Demokratie führt nicht dazu, dass bestimmte wirtschaftliche Rechte eingeschränkt werden, und auch in einer vollen Demokratie kann die Wirtschaft und können die Unternehmen gute Gewinne erwirtschaften. Langfristig gesehen, würde ich sagen, kann es das nicht sein.
    Mense: Das heißt, im Moment fürchten Sie eigentlich nur die Unruhen?
    Otto: Würde ich so sehen, ja. Die Wirtschaft hat sich natürlich gut eingerichtet in Hongkong und jegliche Veränderung ist natürlich auch auf Seiten der Wirtschaft erst mal mit Unsicherheiten behaftet, welche Maßnahmen dagegen müssen die einzelnen Unternehmen denn treffen, um weiterhin im Markt bestehen zu können.
    Mense: ... , dass man aber auch vielleicht sagt aus Sicht der Wirtschaft, na ja, so ein bisschen autoritär schadet ja nichts, eine gewisse Reglementierung haben wir ja ganz gerne. Das würden Sie abstreiten?
    Otto: Ich kann es nicht abstreiten, ich bin kein Hongkong-Wirtschaftslenker. Ich habe einen anderen Hintergrund. Natürlich haben dort auch die Wirtschaftslenker einen starken chinesischen Hintergrund, auch einen kulturellen Hintergrund, und von daher mag es verständlich sein, wenn die jetzige Wirtschaftselite nicht so in Opposition zur Zentralregierung in China ist wie andere Bevölkerungsschichten, die auch ebenfalls befürchten, dass deren derzeitige Stellung in Gefahr ist. Gerade die einfachen Arbeiter befürchten, auch durch die Veränderungen in Hongkong, dass deren Stellungen dann gefährdet werden, insbesondere auch durch den weiteren Zustrom weiterer Chinesen, dass die dort ...
    Mense: ... denen die Arbeitsplätze wegnehmen könnten?
    Otto: ... denen die Arbeitsplätze wegnehmen, ja.
    Mense: Vielleicht mögen Sie dazu auch was sagen. Es gab in Hongkong im vergangenen Jahr einen Wirtschaftskongress. Da haben sich Vertreter des neuen ökonomischen Denkens hervorgetan - insofern, als dass sie den Zusammenhang von freier Gesellschaft und freier Marktwirtschaft nicht mehr als zwingend sehen. Da könnte man jetzt natürlich auf die Idee kommen und fragen, ob diese Entwicklung und jetzt auch das Verhalten der Wirtschaft und der Finanzwirtschaft diesen Trend oder dieses Denken bestätigt.
    Otto: Meine persönliche Meinung dazu ist, dass natürlich den Schwellenländern, die dann ja größtenteils nicht die Demokratie als Regierungsform haben, denen fällt es jetzt durch ihre Wirtschaftslenkungsmaßnahmen leicht, an den Westen anzuschließen. Sie wissen den Weg. Wenn sie dann aber irgendwann mal genauso wie der Westen an der technologischen Front arbeiten, dann ist die Frage, ist Wirtschaftslenkung wirklich das beste Instrumentarium, oder braucht man da nicht wieder trial and error, um dann zu weiterem Fortschritt zu kommen. Das ist natürlich jetzt sehr einfach zu sagen, eine Form von Regierung, die nicht Demokratie ist, ist möglicherweise auch besser für die Wirtschaft. Dem möchte ich mich nicht anschließen.
    Mense: Einschätzungen waren das von Jens Peter Otto, China-Experte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.