Freitag, 19. April 2024

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Honoré-Gabriel Riqueti de Mirabeau
Skandalumwittert und politisch hellsichtig

Der französische Schriftsteller und Politiker Honoré-Gabriel Riqueti de Mirabeau war seit seiner Jugend von Skandalen umwittert. Er verfasste staatstheoretische Schriften, aber auch einen erotischen Roman, der Europa elektrisierte. Als brillanter Redner war er einer der Wortführer während der Französischen Revolution. Er starb heute vor 225 Jahren.

Von Maike Albath | 02.04.2016
    Ein Porträt des französischen Schriftstellers und Politikers Honore Gabriel Riqueti, Comte de Mirabeau (1749-1791).
    Porträt des französischen Schriftstellers und Politikers Honore Gabriel Riqueti, Comte de Mirabeau. (imago / Leemage)
    "Verehrte, ehrenwerte Mitbürger! Hat man mich nicht maßlos beleidigt? Wer von Euch würde mit Nein antworten und behaupten, man habe mich nicht diffamiert?"
    Im Justizpalast von Aix-en-Provence herrscht ein gewaltiger Aufruhr! Der Redner ist zwar von Pockennarben verunziert und nachlässig gekleidet, aber er gewinnt im Sommer 1783 die Zuhörer im Sturm. Man kannte ihn als Verfasser politisch hellsichtiger Schriften; Sein eigener Vater hatte ihn hinter Gitter gebracht, er war während der Haft mit einer verheirateten Frau getürmt und wegen Ehebruch und Entführung zum Tode verurteilt worden. Gerade erst hatte er die Annullierung des Urteils erreicht. Jetzt führt Honoré Gabriel de Riqueti, Comte de Mirabeau, selbst einen Prozess, um die vermögende und notorisch untreue Madame de Mirabeau zurückzugewinnen.
    "Meine Herren, entehren Sie mich, um meine Frau im uneingeschränkten Besitz ihrer Unabhängigkeit zu belassen. Ja, entehren Sie mich aus Angst, man werde es sonst nicht glauben, dass sie mich verleumdet hat."
    Aber das Gericht gibt Madame Recht, und Mirabeau steht mittellos da. Der 1749 in Le Bignon in der Provence geborene Graf muss sich als Publizist durchschlagen. Er schifft sich nach England ein. Sein Vater, der Volkswirt Victor de Riqueti, hat seit jeher nur Verachtung für seinen verschwenderischen ältesten Sohn übrig.
    "Dieser Charakter ist von einer ungeheuerlichen Gemeinheit, von einer abgrundtiefen Banalität; er gleicht einer im Schmutz daher kriechenden Raupe, die sich nie entpuppen wird."
    Verfasser eines erotischen Romans
    Der tyrannische Patriarch lag falsch. Gabriel de Mirabeau studierte die englische Regierungsform, hielt sich 1786 in Potsdam auf, trat in seinen Essays für eine konstitutionelle Monarchie ein und nahm für die Gleichberechtigung der Juden Partei. Zwei Jahre später benannte er klar die Defizite Frankreichs.
    "In unserer Nation wird kein öffentlicher Geist herrschen, ehe sie nicht von Privilegien und Privilegierten befreit ist."
    1786 ließ Mirabeau unter der Hand den erotischen Roman "Der gelüftete Vorhang oder Lauras Erziehung" veröffentlichen, der in seiner Freizügigkeit ganz Europa elektrisierte.
    "Oh, wie liebkoste ich dieses schwellende Schwert, das nun bald gewaltsam meine Rose durchbohren sollte, die mit solcher Sorgfalt viele Jahre hindurch gepflegt worden war. Meine Phantasie brannte vor Verlangen nach diesem bedeutsamen Augenblick. Meine Liebesgrotte verzehrte sich …"
    Wortführer während der Französischen Revolution
    Die lustvolle Überschreitung von Tabus, Inzest inklusive, hatte Mirabeau im Privaten verortet, kurze Zeit später geriet das Gesellschaftsgefüge ins Wanken. Als sich wegen zerrütteter Staatsfinanzen und Brotrevolten 1788 die Lage zuspitzte, wusste er den Moment zu nutzen. Der einstige Paria wurde vom Dritten Stand zum Abgeordneten gewählt, zog im Mai 1789 zur Versammlung der Generalstände in Versailles ein und wurde durch glänzende Parlamentsreden zum Meinungsführer. Am 23. Juni hob Ludwig XVI. die mühsam errungenen Beschlüsse auf und ordnete das Ende der Versammlung an. Mirabeau trat dem Zeremonienmeister entgegen.
    "Sie, mein Herr, der Sie nicht das Organ des Königs gegenüber den Generalständen sein können, der Sie hier weder Sitz noch Stimme, noch das Recht zu sprechen haben, Sie sind nicht befugt, uns seine Rede ins Gedächtnis zu rufen. Um indessen jedes Missverständnis und jede Verzögerung zu vermeiden, erkläre ich Ihnen: Wenn man Sie dazu beauftragt hat, uns von hier zu entfernen, müssen Sie sich den Befehl zur Anwendung von Gewalt verschaffen. Denn wir werden nur der Macht der Bajonette weichen."
    Drei Wochen später folgte der Sturm auf die Bastille. Mirabeau agierte mit politischem Geschick und plädierte dafür, den Kirchenbesitz der Nation zu überlassen. Als im Frühjahr 1790 Ludwig XVI. insgeheim mit ihm in Verbindung trat und anbot, bei diskreter Unterstützung der königlichen Interessen für seine Schulden aufzukommen, ließ er sich auf das doppelte Spiel ein. Honoré Gabriel de Mirabeau starb am 2. April 1791 mit nur 44 Jahren und bekam ein Staatsbegräbnis. Für Gerüchte über eine Vergiftung gab es keine Belege. Nachdem seine Absprache mit dem König ruchbar wurde, entfernte man seinen Leichnam aus dem Panthéon. Sein Werk sei nicht die Republik, sondern die Revolution, befand Victor Hugo später.