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Hooligan-Demos
"Der letzte Warnschuss"

Die Deutsche Polizeigewerkschaft bedauert die Genehmigung einer Anti-Islamismus-Kundgebung in Hannover. Die Polizei sei jedoch nach den Erfahrungen von Köln besser vorbereitet, sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt im DLF. Und käme es wieder zu Gewalt, seien künftig Verbote wahrscheinlich.

Rainer Wendt im Gespräch mit Christoph Heinemann | 14.11.2014
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. (Picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Das Gericht habe strenge Auflagen erlassen und damit die Arbeit der Polizei erleichtert, sagte Wendt im Deutschlandfunk. Er forderte jedoch, eine bessere Ausstattung für Polizei und Verfassungsschutz.
    Nur so könne man sicherstellen, dass man nicht von Aktionen überrascht werde. Wendt fügte hinzu, ein neues Versammlungsrecht sei nicht nötig. Der Rechtsstaat funktioniere, wenn man ihn nicht kaputtspare, so Wendt. "Die Gesetze sind in Ordnung und ausreichend."

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Rainer Wendt:
    Christoph Heinemann: 26. Oktober: Köln-Hauptbahnhof. Bürgerinnen und Bürger konnten den Vorplatz des Bahnhofs nur unter Gefahr für Leib und vielleicht auch Leben überqueren. Rechtsradikale lieferten sich eine Schlacht mit der Polizei. Der Aufmarsch der Extremisten, zusammen mit Hooligans, war angemeldet und nicht verboten worden. Veranstalter war eine Gruppierung mit der Bezeichnung "Hooligans gegen Salafisten". Für morgen haben diese Herrschaften eine Kundgebung in Hannover angekündigt. Nach den Erfahrungen von Köln hatte die Polizei diese Veranstaltung verboten. Das Verwaltungsgericht Hannover hat dieses Verbot aufgehoben, mit der Auflage, die Demonstranten dürfen nicht in die Innenstadt ziehen, sondern sie sollen sich hinter dem Hauptbahnhof versammeln, also genau dorthin, wo es in Köln geknallt hat. Am Telefon ist jetzt Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutsche Polizeigewerkschaft. Guten Morgen.
    Rainer Wendt: Guten Morgen. Hallo!
    Heinemann: Herr Wendt, das Gericht sagt, Gründe für ein Verbot liegen nicht vor. Verstehen Sie diese Begründung?
    Wendt: Ich will gar nicht verhehlen, dass wir uns als Polizei natürlich eine andere Entscheidung gewünscht hätten, aber ich bin weit davon entfernt, das Gericht nun zu beschimpfen, denn das Gericht hatte abzuwägen zwischen dem grundgesetzlich geschützten hohen Gut der Versammlungsfreiheit und den Gefahren, die die Polizei aufgezeigt hat. Nun ist dieses hohe Gut der Versammlungsfreiheit auch durch das Bundesverfassungsgericht immer wieder mit Prioritäten versehen worden. Deshalb hat das Verwaltungsgericht entschieden, jawohl, das darf stattfinden, aber unter sehr, sehr strengen Auflagen. Im Übrigen nicht nur eine Veränderung des Versammlungsortes, sondern auch Alkoholverbot, Verbot von alkoholisierten Teilnehmern. Das wird auch sehr streng kontrolliert werden. Und viele andere Auflagen mehr. Das ist so ein letzter Warnschuss des Gerichtes, bevor es zu einem Verbot einer solchen Veranstaltung kommt.
    Heinemann: Also hat das Gericht richtig abgewägt?
    Wendt: Das habe ich gar nicht zu beurteilen. Richter entscheiden unabhängig. Auch das ist ein hohes Rechtsgut in unserem Rechtsstaat, dass die Richter nicht etwa Wünsche der Polizei zu erfüllen haben oder Wünsche der Öffentlichkeit, sondern unabhängig abzuwägen haben zwischen den unterschiedlichen zu schützenden Rechtsgütern. In diesem Fall hat das Verwaltungsgericht so entschieden. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass, falls es zu gewalttätigen Ausschreitungen aus dieser Szene kommt, dieser letzte Warnschuss also nicht verstanden wird, es künftig dann auch zu Verboten kommt.
    Heinemann: Schließen Sie aus, dass es in Hannover zu Szenen wie in Köln kommt?
    Wendt: Nein, das kann man nie ausschließen. Bei aller Professionalität der Vorbereitung - und die Vorbereitungen sind sehr professionell - muss man sich schon vergegenwärtigen, dass es hier eine ganz andere Dimension geben könnte als in Köln. Wir haben 18 angemeldete Gegendemonstrationen. Wir wissen noch gar nicht, ob es bei diesen 5.000 angemeldeten Leuten bleibt, oder ob das möglicherweise mehr werden, weil wir nicht einschätzen können, welche Mobilisierungsdynamik auch jetzt die Berichterstattung über dieses Verbot oder dieses angestrebte Verbot genommen hat. Die Gerichtsverhandlung selber kann durchaus die Szene in eine Euphorie versetzt haben, so dass jetzt besonders viele kommen. Umso wichtiger ist es, dass die Polizei An- und Abfahrtswege genau überwacht und auch vor Ort sehr schnell und konsequent einschreitet. Genau das ist allerdings auch beabsichtigt.
    Heinemann: Wie muss sich die Polizei auch personell in Niedersachsen jetzt vorbereiten?
    "Bessere Erkenntnislage als in Köln"
    Wendt: Wir haben in Niedersachsen eine sehr viel bessere Erkenntnislage, als das in Köln der Fall gewesen ist. Der Veranstaltung in Köln waren einige friedliche Veranstaltungen vorausgegangen und deshalb konnte man nicht mit allen Dingen rechnen, die dort passiert sind. Gleichwohl weiß man jetzt, wer dort anreist und wie sich diese Leute verhalten können, dass sich die Gewalt nicht nur auf andere und auf Salafisten oder auf Gegendemonstranten, sondern ganz gezielt auf die Einsatzkräfte richtet. Insofern wird es sicherlich eine ganz andere Kräftesituation als in Nordrhein-Westfalen geben. Sie können sicher sein: Es wird ein Vielfaches der Einsatzkräfte wie in Nordrhein-Westfalen mobilisiert werden.
    Heinemann: Vielleicht kamen ja auch falsche Signale aus der Politik. Der Bundesinnenminister hatte ja nach den Schlägereien in Köln gesagt, solche Demonstrationen könnten verboten werden. Hat Thomas de Maizière das falsch eingeschätzt?
    Wendt: Nein! Thomas de Maizière hat Recht, wenn er die Wahrscheinlichkeitsform wählt, die könnten ja auch verboten werden. Nur entscheiden tut das im Rechtsstaat weder die Politik, noch die Polizei, sondern im Extremfall die Gerichte, denn es ist eine Verwaltungsentscheidung, ein solches Verbot, und alle Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung unterliegen auch der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das gefällt uns allen immer nicht, weder der Politik, noch der Polizei, aber es ist rechtsstaatlich so und deshalb kann man das auch nicht kritisieren. Aber die Möglichkeitsform zu wählen, war genau richtig, und ich kann ihn auch nur wiederholen. Auch in Zukunft könnten solche Veranstaltungen verboten werden, wenn die Szene nicht begreift, dass dieser letzte Warnschuss dann auch der letzte war. Das heißt, wer die Auflagen missachtet, wer gewalttätig wird, wer Straftaten begeht, der verwirkt dieses Recht, sich öffentlich zu versammeln, denn das ist nur geschützt, wenn es friedlich abläuft.
    Heinemann: Herr Wendt, Polizei und Verfassungsschutz beobachten ja Hooligans und Rechtsextremisten. Haben die Behörden den Schulterschluss beider Gruppierungen - das war ja diese gefährliche Mischung in Köln - verschlafen?
    Wendt: Nein, ganz bestimmt nicht, denn es war ja bekannt, dass Rechtsextremisten gemeinsam mit den Hooligans dort auftauchen würden. Diese Szene ist ausgesprochen mobil, im Internet unterwegs. Es gibt allerdings noch immer keine festen Strukturen, keine festen Organisationsstrukturen. Ich habe auch große Zweifel, dass sich diese Strukturen entwickeln. Es gibt zwar im Bereich der rechtsextremistischen Szene hier einige Erfahrung. Aber bei den Hooligans, mit Verlaub, ist auch nicht genügend an Intelligenz vorhanden, um das alles so zu organisieren. Ich glaube, man trifft sich eher, um sich zu prügeln und sich ordentlich zu betrinken, und dann kommen eben auch diese rechtsradikalen Parolen hinzu. Die Rechtsextremisten machen sich dieses dumpfe Gefühl der Unzufriedenheit in dieser Szene zunutze. Das wird man weiter beobachten müssen. Sie können auch sicher sein, dass die Polizei und auch der Verfassungsschutz das tut. Aber an diese Stelle gehört natürlich auch die Forderung, dass die Möglichkeiten von Polizei und Verfassungsschutz dringend verbessert werden müssen. Das heißt, wir brauchen eine vernünftige Technik, wir brauchen die Software, wir brauchen das Personal, um diese Szene genau im Blick zu behalten, damit wir nicht von Entwicklungen überrascht werden.
    Heinemann: Brauchen wir auch ein anderes Versammlungsrecht?
    "Die Gesetze sind in Ordnung"
    Wendt: Nein. Das Versammlungsrecht in Deutschland ist ein sehr freiheitliches und es ist auch gut so, dass wir in einem freiheitlichen Staat leben, in dem man sich friedlich und ohne Waffen versammeln kann und seine Meinung sagen kann. Man muss es nur konsequent anwenden. Wir haben auch ein Strafrecht. Das heißt, dieses Strafrecht sieht vor, dass Straftaten verfolgt werden. Wenn die Polizei in die Lage versetzt wird, mit ihrem Personal, auch mit Beweissicherungstrupps und mit Zugriffskräften diese Leute festzunehmen, und dann auch die Justiz in die Lage versetzt wird, das heißt die Staatsanwaltschaften in die Lage versetzt werden, personell diese Anklagen auch zu fertigen, und die Gerichte das dann auch möglichst zeitnah abarbeiten können, dann funktioniert der Rechtsstaat schon. Aber er funktioniert nicht, wenn man ihn genau an diesen Stellen kaputtspart. Die Gesetze sind in Ordnung, da müssen wir nichts verändern, aber bei der personellen und technischen Ausstattung unserer Sicherheitsorgane, da müssen wir dringend etwas verändern. Da gibt es ein erhebliches Vollzugsdefizit.
    Heinemann: Herr Wendt, Sie haben eben herausgestellt, das Versammlungsrecht ist eine Perle der freiheitlichen Gesellschaft. Lesen Sie die Entscheidung aus Hannover vielleicht auch als versteckten Hilferuf einer unteren Instanz an die Ober- oder an die Bundesinstanz, eine so heikle Frage zu entscheiden?
    Wendt: Nein. Das Gericht hat sehr sorgfältig abgewogen, was es aus Erkenntnissen von Köln gibt, welche Gewaltbereitschaft es dort gibt und wie man möglicherweise reagieren kann. Deshalb sind diese strengen Auflagen, die das Gericht ja nicht nur erlaubt hat, sondern das Gericht hat ja ausdrücklich die Erwartung geäußert, dass es solche strengen Auflagen gibt, für uns als Polizei natürlich jetzt sehr hilfreich. Das heißt, es werden Eingangskontrollen vorgenommen, es werden Alkoholtests gemacht. Wer oberhalb von 0,3 Promille liegt bei der Atemalkoholanalyse, wird an dieser Demonstration überhaupt gar nicht teilnehmen können, sondern den Versammlungsort sofort wieder verlassen müssen. Das wird sehr streng gehandhabt werden, da kann man ganz sicher sein. Insofern hat das Gericht schon sehr souverän entschieden und gut abgewogen, und die Entscheidung, insbesondere die Auflagen sind für uns im Ergebnis dann auch hilfreich.
    Heinemann: Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutsche Polizeigewerkschaft. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Wendt: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.