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Houellebecq
Solide, aber uninspiriert

Die Inszenierung von Michel Houellebecqs Roman "Die Unterwerfung" am Staatsschauspiel Dresden kann unseren Kritiker nicht so recht überzeugen: Solide sei sie, das ja - aber eben auch uninspiriert. Und das, so Hartmut Krug, nimmt den vier Schauspielern im Grunde jede ernsthafte Spielmöglichkeit.

Von Hartmut Krug | 07.03.2016
    Der französische Autor Michel Houellebecq
    Der französische Autor Michel Houellebecq (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Es ist eine schlaffe, leidenschaftslose Gestalt, die hoch oben unterm Dach des Kleinen Hauses des Dresdner Staatsschauspiels im blauen Jeanshemd und mit einem Buch in der Hand wie zu einer Vorlesung vor das Publikum tritt. Intellektuell und sexuell unerfüllt wirkt dieser Literaturwissenschaftler François, wenn er von seinem Leben als Intellektueller und seinen Affären mit jungen Studentinnen erzählt. Im Gespräch mit Myriam erweist er sich als recht konservativ:
    Myriam: "Stört dich doch nicht, wenn ich sage, dass du ein Macho bist?"
    François: "Ich meine, ich hielt es nie für eine gute Idee, den Frauen das Wahlrecht zu geben. Ja, oder sie zu denselben Berufsgruppen und denselben Berufsfeldern zuzulassen. Ich meine, wir haben uns nur daran gewöhnt, aber ist es wirklich eine gute Idee?"
    Myriam: "Ja, wirklich, du bist für die Rückkehr zum Patriarchat."
    François: "Ich bin für nichts."
    Zwar ist François umgeben von den Parolen der Französischen Revolution, denn hinter ihm leuchten von zwei schrägen Wandelementen in großen weißen Buchstaben die Wörter Liberté und Egalité, und vor ihm ist mit Holzklötzen das Wort Fraternité aufgebaut. Doch ein Bezugssystem sind diese Begriffe für ihn kaum - die Buchstaben der Fraternité nutzt er als Stehpult oder Sitzgelegenheit.
    In Frankreich toben im Jahr 2022 nach einer Wahl Straßenkämpfe. Eine Koalition zwischen einer moderaten muslimischen Partei und den Sozialisten verhindert, dass die von vielen gewählte "Front National" von Marine Le Pen an die Regierung kommt. Ein Muslim wird Präsident Frankreichs.
    Die politische Entwicklung verfolgt François, indem er über sein Smartphone wischt und Fernsehbilder abruft. In den über die Parolen der Französischen Revolution geblendeten Videos von Robert Lehniger vermischen sich echte mit gefakten Bildern. Auf diesen Wimmelbildern sehen wir Kämpfe zwischen Demonstranten und Polizei, Frauen mit Burkas, die Politikerin Marine Le Pen und immer wieder Nachrichtensprecher.
    Während François im Roman kurz vor dem Selbstmord steht, weil er sein Dasein vom heftigen Gefühl absoluter Sinnlosigkeit bestimmt sieht und seine Entlassung erhalten hat, spielt ihn der Schauspieler Christian Erdmann zwar bravourös als eine in sich zusammengesunkene Jammergestalt. Doch zugleich nimmt er damit dem von der gesellschaftlichen Entwicklung überrolltem Meinungslosen jede innere wie äußere Spannung. So wirkt die Aufführung recht monoton und schleppt sich immer wieder nur schwerfällig durch ihre etlichen Spannungslöcher.
    Dabei ist sie mit zwei Stunden Spielzeit immerhin eine halbe Stunde kürzer als Karin Beiers Inszenierung, mit der Houllebecqs Roman Anfang Februar in Hamburg erstmals auf die Bühne kam. Beier inszenierte den Roman als Solo für den Schauspieler Edgar Selge.
    In Dresden versagt der junge Regisseur Malte C. Lachmann den immerhin vier Schauspielern in seiner nur soliden und ziemlich uninspirierten Inszenierung jede ernsthafte Spielmöglichkeit. Als wollte er Leben in die Redeschlacht seines François bringen, dürfen allerdings die drei Schauspieler, die sich viele weitere Rollen teilen, an Figurenkarikaturen versuchen. Lea Ruckpaul, die als jüdische Freundin von François nach der muslimischen Machtübernahme nach Israel auswandert, erzählt François ihre Beweggründe. Ihre anderen Frauenrollen aber markiert die Schauspielerin nur. Und wo der Autor zeigt, wie Männer unter gesellschaftlichem Druck Opportunisten werden, da liefert Lorenz Nufer seine Männerrollen hemmungslos der Komik alberner Klischees aus. Und Ben Daniel Jöhnk lässt seine Figur des neuen, muslimischen Universitätspräsidenten im schwarzen Anzug wie einen mephistophelischen Charmeur daherkommen.
    Wie der ehemalige Rechtsradikale François die Vorzüge einer muslimischen Regierung nahebringt, mit gutem Wein, mit einer erneuter Anstellung mit tollem Einkommen, das ist reine Komödie.
    François: "Ich hatte mich noch nie in einem solchen Maße begehrt gefühlt."
    Präsident: "Es gibt allerdings eine Bedingung, die alles andere als unerheblich ist."
    François: "Ich muss zum Islam konvertieren."
    Präsident: "Ja."
    François hat nicht lange Probleme, sich der Pflicht des Konvertierens zum Islam zu unterwerfen. Immerhin kann er dann drei Ehefrauen haben!
    Anspielungen auf Dresden und die Pegida-Bewegung versagt sich die Inszenierung. Sie bleibt ganz in Frankreich und lässt, bei offenem Schluss, am Sternenhimmel das islamische Glaubensbekenntnis funkeln.