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HSBC-Skandal
"Wir brauchen klare Ansagen"

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) hat im Zusammenhang mit den Swiss-Leaks einen verpflichtenden Informationsaustausch von Steuerdaten zwischen den Staaten gefordert. Der Druck auf die Schweiz müsse erhöht werden, sagte er im DLF. "Vertrauen ist an dieser Stelle nicht mehr die richtige Basis."

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Dirk Müller | 11.02.2015
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD).
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). (imago / Astrid Schmidhuber)
    Der Austausch zwischen den Staaten müsse verpflichtend werden, sagte Walter-Borjans. Er forderte im Deutschlandfunk Gesetze, die es der Finanzaufsichtsbehörde BaFin ermöglichen sollen, Banken "bis zum Lizenzentzug drohen" zu können.
    Deutschland müsse auch sein Gewicht in der weltweiten Wirtschaft nutzen, um Druck auszuüben, sagte Nordrhein-Westfalens Finanzminister von der SPD: "Das Ganze geht nicht mit Harmonie." Zwar seien vor allem die Banken das Problem und nicht der Staat Schweiz, jedoch habe auch die Politik in der Schweiz vom Bankensektor profitiert.
    Gegen das Steuerabkommen mit der Schweiz vor zwei Jahren habe er sich nur ausgesprochen, weil es "lediglich dazu diente, Ruhe in den Karton zu bringen", um dann mit alten Praktiken weiterzumachen. Die neue "Weißgeld-Strategie" vieler Banken, bei der nur noch Geld angelegt werden darf, das nachweislich versteuert wurde, hält er nicht für ehrlich - sie solle lediglich den Imageverlust und die damit einhergehenden Einbußen wieder ausgleichen. "Der Gegenstand von Bankgeschäften ist Geld - die Banken werden also immer versuchen, diesen Gegenstand so groß wie möglich zu machen."
    Den im Zuge des HSBC-Skandals ermittelten Vergehen werde bereits seit Jahren nachgegangen, Deutschland habe Daten von 1.136 Fällen übermittelt bekommen. Das Steuergeheimnis habe die Behörden jedoch bisher in vielen Fällen daran gehindert, die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Waffenhändler, Diktatoren, Diamantenschmuggler, Politiker, Sportler, Künstler, sie hatten eins gemein, Tausende von ihnen jedenfalls, nämlich jeweils ein Konto beim Ableger des britischen Geldhauses HSBC in der Schweiz, Konten, mit denen Milliarden-Vermögen versteckt wurden und damit Milliarden an Steuern hinterzogen wurden. Das hat ein internationales Recherche-Netzwerk herausgefunden. Wer hatte alles ein Konto? Die Tochter des früheren chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng beispielsweise, der marokkanische König hatte eins, dann ein Cousin von Baschar al-Assad, der frühere ägyptische Handelsminister Rachid, und dann viele russische Oligarchen und britische Politiker, auch David Bowie wird in diesem Zusammenhang genannt. Es geht um mehr als 100.000 Personen weltweit. Bereits 2009 sind diese Daten über einen früheren Mitarbeiter der Bank weitergegeben worden nach Frankreich. Daraufhin haben die französischen Behörden die Informationen auch nach Deutschland weitergegeben. Und was ist dann damit passiert?
    Die Eidgenossen und die Steuern und was Deutschland tut und tun kann - unser Thema mit NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Der SPD-Politiker hat sich auch einen Namen damit gemacht, energisch gegen Steuerhinterziehung einzutreten, auch mit Hilfe umstrittener Steuer-CDs. Guten Morgen!
    Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Walter-Borjans, denken Sie bei der Schweiz auch automatisch immer an Kavallerie?
    Walter-Borjans: Nein. Mir liegt so eine martialische Vorgehensweise weniger. Allerdings glaube ich, auf den Gedanken kann man schon kommen. Man muss jedenfalls deutliche Ansagen machen. Es geht aber hier vor allem ja nicht um ein Land, sondern es geht um Banken, und man muss auch in einem Land, das Möglichkeiten eröffnet und noch immer ein bisschen Geheimniskrämerei betreibt, nicht automatisch kriminelle Handlungen vollziehen. Aber man muss die Leute schon beim Namen nennen. Es sind große Banken, die ein Geschäftsmodell daraus machen, dass sie anderen beim Steuerbetrug helfen.
    Müller: Es fällt vermutlich schwerer, Schweizer Banken aufzuzählen und zu finden, die nichts damit zu tun haben.
    Walter-Borjans: Ja insofern ist es dann am Ende auch die Politik in der Schweiz gewesen, die eben davon profitiert hat, dass ein großer Teil ihres Bruttoinlandsprodukts damit erwirtschaftet wird, dass es einen Sektor gibt, der es schon verstanden hat, aus aller Welt Gelder mit dubioser Herkunft anzulocken.
    Müller: Jetzt reden ja viele darüber, gerade jetzt im Zusammenhang mit Swiss-Leaks, was wir zumindest hier in den Medien seit diesem Wochenende erfahren haben, die Öffentlichkeit damit ja auch. Das liegt ja sieben, acht Jahre zurück und dann hat es ein bisschen auch ein Nachspiel gegeben. Die Informationen sind weitergetragen worden. Viele fragen sich aber jetzt, wie ist Deutschland dann mit diesen Datensätzen umgegangen. Wann haben Sie davon erfahren?
    Walter-Borjans: Die Daten, die seinerzeit nach Deutschland gekommen sind, sind über das Bundeszentralamt für Steuern und unter anderem dann die nordrhein-westfälische Steuerfahndung an die jeweiligen Wohnort-Finanzämter weitergeleitet worden, und die Fälle sind auch verfolgt und werden auch nach wie vor verfolgt. Das ist bei Daten, die man übermittelt bekommt, denen man nachgeht, immer etwas schwieriger als etwa bei Selbstanzeigen. Bei Selbstanzeigen meldet sich jemand freiwillig. Bei den anderen müssen Sie mit Klein-Klein hinterher, und das ist natürlich alles andere als einfach, und das ist natürlich alles andere als einfach, weil niemand will gerne entdeckt werden.
    Müller: Das heißt, wenn ich Sie beispielsweise vor drei Jahren gefragt hätte, HSBC, ist da was im Argen, hätten Sie sagen können, ja?
    Walter-Borjans: Ja!
    Müller: Haben wir aber nicht getan.
    Walter-Borjans: Weil das Steuergeheimnis uns auch bindet, über Personen und Vorgänge zu reden, selbst wenn sie einen absolut, in diesem Fall wirklich auch kriminellen Hintergrund haben. Wir haben im Übrigen aber damals schon deutlich gemacht, Nordrhein-Westfalen, und zu den CDs, die Nordrhein-Westfalen erworben hat, gehörte ja, wie Sie vielleicht wissen, unter anderem auch mal HSBC. Das war noch mal ein Sonderfall, ein anderer Fall als dieser. Aber bestimmte Vorgänge, die sind auch deutlich von uns gemacht worden, wo wir nicht in Konflikt kamen mit dem Steuergeheimnis.
    "Rund 700 Millionen Euro an Nachzahlungen"
    Müller: Haben Sie jetzt Erkenntnisse darüber, was das Ganze finanziell gebracht hat?
    Walter-Borjans: Was die 1136 Fälle, waren es, glaube ich, in diesem Zusammenhang genau gebracht haben, kann ich im Einzelnen nicht sagen. Was ich sagen kann ist die Gesamtsicht, dass wir, jedenfalls solange ich jetzt Verantwortung trage - das ist fast fünf Jahre -, ganz systematisch gesagt haben, in einen solchen Sumpf dringen Sie nur vor, wenn Sie auch auf Daten derer zurückgreifen, die letztendlich ihre Unternehmen auch ein Stück verraten. Das machen Sie bei Drogendelikten, das machen Sie in anderen schweren Fällen von Kriminalität und wir haben immer hier ein Gebäude aufgebaut, das darf man im Bankwesen bei Menschen, die mit Geld betrügen, nicht machen. Seither haben wir rund 700 Millionen Euro an Nachzahlungen aus diesen gelieferten Daten erreicht und wir haben eine Welle von Selbstanzeigen ausgelöst, die über vier Milliarden - und wir reden hier nur von Deutschland - in die öffentlichen Kassen gespült haben, die vorher diesem Staat und dieser Allgemeinheit vorenthalten worden sind.
    Müller: Das sind ein bisschen viel Zahlen, gebe ich zu. Da müssen wir aber noch mal nachfragen. Wir haben eben in dem Korrespondentenbericht von Arne Meyer gehört, in Wirklichkeit geht es, jedenfalls laut Recherche-Ergebnis, um 2100 Datensätze für Deutschland. Haben Sie eine Erklärung dafür, wo diese 700, 800 sich im Moment befinden?
    Walter-Borjans: Die Erklärung, die ich bisher habe, ist die, dass es nicht irgendeinen Verlust, einen Datenverlust innerhalb von Deutschland gegeben hat, sondern die Daten sind ja von Frankreich übermittelt worden, mussten in Frankreich den einzelnen Herkunftsstaaten zugeordnet werden, und dann sind eben diese 1136 Daten nach Deutschland gekommen. Mir ist im Übrigen in diesem Punkt, in dem wir jetzt im Trüben fischen, klar, dass wir eine vollständige Erfassung nur kriegen, wenn die Staaten untereinander endlich zu dem Punkt kommen, dass sie einen automatischen Informationsaustausch zwischen Banken und Steuerbehörden vereinbaren, verpflichtend machen, was jeder Arbeitnehmer in Kauf nimmt, denn der Arbeitgeber meldet das, was er an Löhnen und Gehältern zahlt, an das Finanzamt. Das gilt nicht für Banken und riesige Kapitaleinkünfte. Da können Sie die Lücke schließen. Ansonsten ist es so, dass Sie immer darauf hoffen müssen, aus bestimmten Bereichen etwas zu bekommen, allerdings damit auch so viel Unsicherheit erzeugen, wie wir jetzt gesehen haben, dass doch der eine oder andere dann kalte Füße bekommt.
    "Lücken beherzt schließen"
    Müller: Bleibt aber, Herr Walter-Borjans, noch mal die Frage von ungefähr zwischen 900 und 1.000 Daten, die fehlen. Sie sagen, die Franzosen waren für die Verteilung verantwortlich. Das heißt, Sie sind sich sicher, dass diese 2100 Datensätze nicht vollständig hier angekommen sind?
    Walter-Borjans: Ich kann nur das sagen, was mir an Informationen vorliegt. Ich bin natürlich dieser Frage auch nachgegangen, und da ging es darum, dass bei uns 1136 Datensätze angekommen sind. Und ich sage noch mal: Ob 1000 oder 2000, das ist nach meiner festen Überzeugung immer nur ein kleiner Teil des Gesamten. Wir brauchen eine klare beherzte Vorgehensweise darin, Lücken gesetzlich zu schließen und durch internationale Vereinbarungen. Es tut sich ja auch etwas, das muss man sagen, aber sie sehen auch, mit welcher Energie große Finanzinstitute vorgegangen sind. Sie sagen jetzt, es ist alles anders heute, aber da sage ich natürlich auch, Vertrauen ist an dieser Stelle nicht mehr die richtige Basis, da ist Kontrolle besser.
    Müller: Jetzt müssen Sie mir die Frage auch gestatten, weil mir das jetzt so in den Sinn kommt. Sie sagen, Datenaustausch, Informationsaustausch. Davon redet ja jeder europäische Politiker. Aber Sie sagen auch immer wieder, na ja, wir sind zwar einen Schritt weiter gekommen, aber noch nicht richtig weit gekommen. Wenn Sie jetzt demnächst mit Jean-Claude Juncker darüber reden, was empfinden Sie dann?
    Walter-Borjans: Ich habe schon mit Jean-Claude Juncker darüber geredet.
    Müller: Der kennt sich ja aus beim Informationsaustausch.
    Walter-Borjans: Ja! Er hat sicher in diesem Punkt auch einen Erklärungsbedarf. Wir haben es ja schon oft erlebt, dass jemand mit einem neuen Amt dann vielleicht auch an ein und dieselbe Sache anders herangeht. Aber die Erwartung ist schon, dass auch dieser Kommissionspräsident in dem Amt, in dem er ist, die Verantwortung für die europäischen Steuerzahler insgesamt übernimmt und nicht etwa die Vorzüge eines bestimmten kleinen Finanzplatzes mit großer Auswirkung unterstützt.
    "Gewinnerwirtschaftung auf dem Rücken der anderen"
    Müller: Das heißt, jeder Politiker, der prominent ist, darf mal 20 Jahre tricksen, und dann sagt er, okay, ich kriege einen neuen Job, dann mache ich die ganze Sache noch mal neu?
    Walter-Borjans: Nein! Ich sage Ihnen, wenn diese Debatte vor der Europawahl bekannt gewesen wäre, hätte es sicher andere Konsequenzen gegeben. Die Wähler sind in diesem Punkt mittlerweile sehr sensibel. Es geht ja darum, das ist ja das Schlimme an der Sache, dass die Staaten Gesetze geben, Gesetze machen, sich ja gar nicht ungesetzlich verhalten haben. Man muss nur als betroffener Staat nebenan deutlich machen, dass das eine Art der Gewinnerwirtschaftung auch von Volkswirtschaften ist, die man nicht zulassen kann, weil sie auf dem Rücken der Allgemeinheit anderer entsteht.
    Müller: Fragen wir doch zum Schluss noch einmal, wie weit wir denn sind mit Blick auf die Schweiz. Es gibt ja jetzt die sogenannte Weißgeld-Strategie. Das heißt, das Geld, was jetzt dort angelegt wird, von ausländischen Investoren wie auch immer, vielleicht ja auch vom Diamantenschmuggler, das muss jetzt sauber sein. Viele bezweifeln, dass das überhaupt möglich ist, beziehungsweise das soll angeblich dann alles so verschleiert werden, so reingewaschen sein, dass es offiziell sauber ist und die Schweizer so weitermachen wie bisher.
    Walter-Borjans: Das Thema hatten wir ja schon seinerzeit vor zwei oder drei Jahren mit dem Abkommen, das mit der Schweiz geschlossen werden sollte, gegen das ich entschieden vorgegangen bin, weil ich gesagt habe, das dient nur dazu, am Ende wieder Ruhe in den Karton zu bringen und die Praktiken, die üblich sind, wieder weitergehen lassen zu können. Die Schweiz hat schon damals gesagt, wir machen jetzt eine Weißgeld-Strategie. Ich glaube übrigens einigen, auch einigen großen Banken, dass sie ihre Konsequenzen gezogen haben, aber der Hintergrund ist ganz einfach. Der Gegenstand von Bankgeschäften ist Geld und die Banken werden immer wieder alles tun, um diesen Gegenstand so groß wie möglich zu machen.
    Und das bedeutet, dass sie jetzt eine Weißgeld-Strategie angekündigt haben, hat als Erstes damit zu tun, dass sie Verluste fürchten, wenn sie so weitermachen: Image-Verluste, Verluste durch harte Strafen der Staaten, angefangen bei den USA. Wir selbst haben mittlerweile, nur das Land Nordrhein-Westfalen, von Schweizer Banken 500 Millionen Bußgelder eingenommen. Aber wenn Sie die Zahlen insgesamt nennen, dann sehen Sie ja, dass das immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Aber das ist der eigentliche Beweggrund und deswegen brauchen wir auch Gesetze, wir brauchen Möglichkeiten, dass die BAFIN, die Bundesaufsicht für das Finanzwesen, dass die wirklich bis zum Lizenzentzug drohen kann, wenn ihr solche Geschäfte macht, dann habt ihr, ich sage mal, im normalen Bankwesen bei uns nichts mehr verloren.
    Müller: Die Schweizer müssen noch klipp und klar weitere Hausaufgaben erledigen?
    Walter-Borjans: Wir müssen klare Ansagen machen. Wir müssen auch das Gewicht, das Deutschland in der Wirtschaft, in der weltweiten Wirtschaft hat, ein Stück mehr mit nutzen, weil das Ganze geht nicht durch Harmonie, denn da machen Länder ihr Geld damit, dass sie da, wo die Wirtschaft in anderen Ländern sich der Mitfinanzierung entzieht, dass sich Menschen der Mitfinanzierung entziehen, dass sie das zu billigeren Preisen anderswo anlegen können, und das kann man auf Dauer, wenn man es dann nicht den Ehrlichen auflasten will bei uns, dann kann man das nicht dulden.
    Müller: NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Walter-Borjans: Gerne, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.