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Hubertus Knabe: Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien

Es hat schon viel Staub aufgewirbelt, noch ehe es erschienen war. Nun ist es auf dem Markt - und sorgt weiter für Zündstoff: Das neue Buch von Hubertus Knabe: Der diskrete Charme der DDR. Der Autor beschreibt das Verhältnis von Stasi, Studentenbewegung und westdeutschen Medien. Dabei kommt er zu dem Schluss - Zitat: Die Stasi bediente sich vor allem linksorientierten Journalisten, die DDR-Material veröffentlichten, ohne es zu hinterfragen. Eine These, die Knabe vor allem aus den vorliegenden Stasi-Akten ableitet. Mit den betroffenen Journalisten selbst hat er nicht geredet. So lautet nun umgekehrt der Vorwurf gegen Knabe: viel Interpretation, unsaubere Recherche, politische Überspitzung, unzulässige Verallgemeinerung und Effekthascherei. Das umstrittene Buch über Stasi und Westmedien stellt Jaqueline Boysen vor:

Jaqueline Boysen | 28.05.2001
    Um es gleich vorab zu sagen: Hubertus Knabes Intention ist gut, sein erklärtes Ziel ein durchaus ehrenwertes: Er möchte die eklatante Schieflage in der Betrachtung der unrühmlichen Geschichte der Staatssicherheit der DDR, die er zwischen Ost- und Westdeutschland ausmacht, bekämpfen. Völlig zu Unrecht gilt die Kollaboration mit dem Geheimdienst heute ausschließlich als ein Problem Ostdeutschlands. In der öffentlichen Wahrnehmung, in den Debatten um Inoffizielle Mitarbeiter spielen die vielfältigen und üblicherweise freiwillig eingegangenen Verflechtungen zwischen Bundesbürgern und dem Herrschaftsinstrument der SED nahezu keine Rolle. Dass die Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit in der Bundesrepublik den Straftatbestand der Spionage erfüllte, wird nur zu gern ignoriert, und das erbost den Historiker, der seinerseits aus dem Westen stammt, allerdings schon in jungen Jahren selbst von der Stasi ins Visier genommen wurde und bis vor Kurzem in der Forschungsabteilung der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gearbeitet hat.

    Allerdings ist Hubertus Knabe, Jahrgang 1955, von seiner Idee der Aufklärung unangenehmer westdeutscher Verstrickungen in einer Weise besessen, die ihn wohl mit missionarischem Eifer ausstattet, aber nicht immer mit der gebotenen Abgewogenheit vorgehen lässt. Das ist die eigentliche Krux an Knabes jüngstem, höchst umstrittenen und mit juristischen Mitteln bekämpften Werk. Der Historiker beschreibt den "diskreten Charme der DDR", der dem 500 Seiten starken Werk seinen Titel gab und dem ausgerechnet - ach so kritische - westdeutsche Journalisten in unterschiedlicher Weise in vierzig Jahren deutsch-deutscher Zweistaatlichkeit immer wieder erlegen sind. Befremdet sei er - so Knabe - darüber, wie weit in einigen Fällen die Bereitschaft ging, sich auf ostdeutschen Machthaber einzulassen und wie auch westdeutsche Politiker diese vertrauensvollen Kontakte zwischen Ost und West als "backchannels" gezielt für ihre Zwecke einsetzten:

    Diese Geheimdiplomatie hatte freilich einen gravierenden Haken, sie führte nämlich direkt in die Fänge des Staatssicherheitsdienstes. Die vermeintlichen SED-Funktionäre die die vertraulichen Nachrichten für die DDR-Führung entgegennahmen, waren in Wahrheit erfahrene Mitarbeiter des MfS, die auf diese Weise nicht nur höchst sensible Informationen beschafften, sondern ihre Gesprächspartner nach Möglichkeit für eine dauerhafte, inoffizielle Zusammenarbeit gewinnen sollten.

    Der Wissenschaftler Knabe stellt sich einer heiklen Aufgabe, geht es ihm doch nicht allein darum, jene etwa drei Dutzend namentlich bekannte Journalisten aufzulisten, die sich bewusst auf die inoffizielle und vielfach bezahlte Mitarbeit mit "Schild und Schwert der Partei" einließen. Er möchte die subtilen Mechanismen aufzeigen, vermittels derer sich Meinungsmacher in der freien Welt instrumentalisieren und abschöpfen ließen. Es wurmt Knabe, dass namhafte Mitarbeiter großer westdeutscher Illustrierten auf fingierte Geschichten hereinfielen, dass beispielsweise die edle Equipe der "Zeit" wie auch Mitarbeiter des "Stern" - offiziell, wie auch sonst? - durch die DDR reisten und sich von potemkinschen Dörfern blenden ließen - von rasch in Vergessenheit geratenen Spitzeln auch in Rundfunk- und Fernsehanstalten ganz abgesehen. Dass nur ganz wenige derjenigen, die sich ausnutzen ließen, im Nachhinein ein Unrechtsbewusstsein entwickelt haben, darf als bizarre Ähnlichkeit zwischen Kollaboratoren west- und ostdeutscher Herkunft konstatiert werden.

    Ziel der DDR war es - Zitat - maximal objektivierte Informationen und Erkenntnisse über die DDR und ihre Politik zu verbreiten, den Einfluss der Antikommunistischen gegen die DDR gerichteten Feindpropaganda insbesondere der Springer-Presse zurückzudrängen und die progressiven, demokratischen Kräfte in Westdeutschland und West-Berlin ihre Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen.

    Längst bekannt sind spektakuläre Geschichten über haarsträubende Interventionen der Stasi wie im Falle des Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der über gezielt gestreute und verfälschte Dokumente zum "KZ-Baumeister" stilisiert werden sollte. Knabe schildert, wie das MfS mehrfach gezielte Kampagnen zur Desinformation nicht allein im eigenen Herrschaftsraum, sondern mit besonderer Vorliebe auch im sogenannten "Operationsgebiet", also in der Bundesrepublik führte. Die SED konnte sich immer wieder auf willige Helfershelfer im Westen verlassen, die sich aus Eitelkeit, Geltungssucht oder politischer Überzeugung auf offene oder verdeckte Händel mit der Diktatur einließen. Unzählige Belege dafür hat Hubertus Knabe, bis vor Kurzem noch wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, in den Akten gefunden. Aber es muss die Frage erlaubt sein, ob diese Belege immer verifizierbar sind. Knabe zitiert beispielsweise eine Aktennotiz über ein Gespräch mit einem besonders offenherzigen ZDF-Korrespondenten aus dem Jahre 1966.

    Wiederholt informierte er über Bonner politische Interna und gab Einschätzungen über führende Politiker ab, darunter über den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, der sich, so wörtlich, 'vom kleinen Kirchenlicht zum großen Armleuchter entwickelt habe'.

    Ostdeutsche Gesprächspartner muss eine respektlose Bemerkung über den Regierenden Bürgermeister der Frontstadt verblüfft haben, für ein Zitat - West - in einer Aktennotiz - Ost - war sie prädestiniert. Aber lässt sich aus einer zweifellos geschmacklosen, anbiedernd wirkenden Äußerung mehr als die unangemessene Schwatzhaftigkeit eines überheblichen Journalisten ablesen? Hätte nicht auch der Protokollant um der Pointierung willen im Nachhinein in der Formulierung etwas nachhelfen können? Wollte der ZDF-Mann, ein Sozialdemokrat, das Gesprächsklima schlicht erwärmen, sein Gegenüber gewissermaßen anfüttern? Man darf dem Westdeutschen hier plumpe, ungezogene Kumpanei vorhalten, aber schlüssiger wäre die Darstellung, wenn Knabe das Zitat mit einem der zahlreichen Beispiele für einen verharmlosenden Bericht über die DDR ergänzt hätte. Davon gibt es schließlich reichlich - wie es übrigens auch Belege für einen differenzierten Umgang mit präparierten Informationen gibt:

    Ein und dasselbe Papier, des KGBs in diesem Fall, ist an den Stern und den Spiegel geschickt worden. Da ging es um NATO-Planungen, die angeblich Europa in einen Schutthaufen verwandeln sollten, aber schon gar nicht mehr in Kraft waren. Der Stern hat das Papier nachgedruckt. Der Spiegel hat solange recherchiert, bis er die Hintermänner herausfand, und dann, natürlich einige Zeit später ein Bericht veröffentlicht wurde, wo er genau das schrieb, das nämlich dies Papier vom KGB stammt und zwar dort von der Desinformationsabteilung.

    Knabes Absicht, Kollaborationen West mit den Machthabern Ost zu erklären, stößt auf immensen Widerstand. Wird der Wissenschaftler, der nicht ganz freiwillig aus der Forschungsabteilung der Gauck-Behörde ausgeschieden ist und seitdem die Gedenkstätte Hohenschönhausen leitet, von Bürgerrechtlern von einst in seinen Vorhaben ermutigt, so versuchen andere unangenehme Enthüllungen per Gerichtsbescheid zu verhindern. Jüngster Schritt: eine gerichtliche Verfügung gegen die Auslieferung des Buches, erwirkt von Götz Aly, einst Mitarbeiter der taz. Götz Aly, selbst Historiker, und sein taz-Kollege, der heutige Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Hans Christian Ströbele, bemühten sich seit dem Ende der siebziger Jahre um die Akkreditierung eines Korrespondenten ihrer Zeitung in Ost-Berlin. Verhandlungen mit dem Außenministerium der DDR gestalteten sich als schwierig. Die DDR-Spitze betrachtete das alternative Blatt mit Misstrauen, galt als anarchisch und drohte zu einer schwer kalkulierbaren Konkurrenz für kleinere unterwanderte und finanziell unterstützte linke Blätter im Westen zu werden. Hubertus Knabes Zitate aus ihrer Korrespondenz von damals empört die einstigen taz-Vertreter, wie auch andere Betroffene mit den zugespitzten Interpretationen des Historikers nicht konform gehen und völlig zu recht Auslassungen monieren. Knabes Quellen sind die Akten des MfS und diese sind oft ergänzungsbedürftig, das gilt für die Betrachtung der Hinterlassenschaften der Opfer und der Täter im Osten wie im Westen gleichermaßen. Prägend für das von Hubertus Knabe dankenswerterweise untersuchte schöngefärbte DDR-Bild im Westen waren die in Ost- Berlin ansässigen westdeutschen Korrespondenten. Ihre tägliche Arbeit war eine Gratwanderung, sie wurden überwacht, gegängelt. Und zu allem Überfluss stießen die unter schwierigen Bedingungen verfassten kritischen Stücke oft auch in den Heimatredaktionen auf Unverständnis - widersprachen solche Betrachtungen doch in Zeiten des "Wandels durch Annäherung" dem Zeitgeist. Diese Korrespondenten durften ihre Quellen nicht verraten, keine Spuren hinterlassen und sahen sich bei Unbotmäßigkeit mit staatlichen Verweisen - bis hin zur Ausweisung konfrontiert, wie das Beispiel Lothar Loewes zeigt. Die Schilderung dieser Korrespondententätigkeit hätte bei Knabe differenzierter ausfallen müssen - nicht zuletzt auch als Würdigung derer, die sich nicht verbiegen ließen, die den Verlockungen von Mielkes amtlich tätigen Prostituierten widerstanden haben und die der allfälligen Propaganda nicht auf den Leim gegangen sind. Dann läse sich Knabes Schlusswort noch eindrucksvoller:

    Die oftmals gleichgültige bis verständnisvolle Haltung der westdeutschen Öffentlichkeit gegenüber der SED-Herrschaft und die Vorreiterrolle, die der `progressiven´ Publizistik vielfach zufiel, sind nach der Wende weitgehend verdrängt worden. Ihre Nachwirkungen sind bis heute sichtbar, wenn man die Einstellung zum Realsozialismus mit jener zum Nationalsozialismus vergleicht: Während die braune Diktatur in der Öffentlichkeit weitgehend stigmatisiert ist, haben die Verbrechen des Kommunismus noch lange nicht in gleicher Schärfe den Weg ins politischen Bewusstsein gefunden. Der diskrete Charme der DDR hat somit auf subtile Weise sogar ihren Untergang überlebt.

    Jaqueline Boysen rezensierte das neue Buch von Hubertus Knabe: Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien. Es ist erschienen im Propyläen-Verlag München, umfasst 504 Seiten und kostet 49 Mark 90.