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Hübner: Clements Austritt aus SPD ist sehr bedauerlich

Klaas Hübner, Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD, zeigt sich enttäuscht über Wolfgang Clements Entschluss, aus der SPD auszutreten. Die Bundesschiedskommission der Partei habe ihm mit ihrer Rüge die Hand gereicht - Clements Entscheidung sei aber zu respektieren.

Klaas Hübner im Gespräch mit Sandra Schulz | 25.11.2008
    Sandra Schulz: Der SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering heute Vormittag in Berlin. – Eine zeitliche Koinzidenz war es gewiss nicht. Erst gestern hatte die Bundesschiedskommission der SPD entschieden, Clement nicht aus der Partei auszuschließen, sondern es bei einer Rüge zu belassen. Diese Rüge hatte Clement heute Vormittag in einem Interview seinerseits gerügt.
    Unmittelbar vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Klaas Hübner zu telefonieren. Er ist Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD. Meine erste Frage: Reisende soll man nicht aufhalten, sagte SPD-Vize Andrea Nahles. Irrt sie?

    Klaas Hübner: In meinen Augen ist es sehr bedauerlich, dass Wolfgang Clement zurückgetreten ist beziehungsweise die Partei verlassen hat. Ich glaube, es hat genügend Brücken gegeben für ihn, in der Partei zu verbleiben. Die Bundesschiedskommission hat ein Urteil gefällt, was, glaube ich, ihm klar die Hand gereicht hat, was klar gemacht hat, dass ein Wolfgang Clement immer Platz hat in der Partei. Er hat eine andere Entscheidung getroffen. Ich bedauere das und ich bin auch ein wenig enttäuscht, enttäuscht deswegen, weil viele in der Partei vermittelnd unterwegs gewesen sind, um Wolfgang Clement Brücken zu bauen. Er hat eine andere Entscheidung getroffen, das haben wir zu respektieren.

    Schulz: Sie sind enttäuscht über Wolfgang Clement, oder über das Prozedere in den letzten Monaten?

    Hübner: Nein. Ich bin enttäuscht darüber, dass Wolfgang Clement diese Hand nicht angenommen hat, die die Partei gereicht hat, und viele sind wirklich vermittelnd tätig gewesen für ihn. Ich glaube, die werden auch alle ein Stück weit enttäuscht sein. Nichts desto Trotz bleibt seine Lebensleistung natürlich vollkommen unbestritten. Er hat Großartiges geleistet für die SPD. Darum respektieren wir auch diesen Schritt. Aber ein Stück weit Enttäuschung ist trotzdem, menschlicher Natur, mit dabei.

    Schulz: Wie groß ist der Schaden, den die SPD durch den Austritt Wolfgang Clements nimmt?

    Hübner: Ich glaube, dass wir keinen Schaden davon tragen werden. Wolfgang Clement war kein aktiver Politiker mehr. Wir werden momentan aktiv vertreten durch Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Franz Müntefering, die alle drei eine sehr klare Industrie- und wirtschaftspolitische Konzeption haben und auch vertreten. Insofern ist ein ehemaliger Minister aus der Partei ausgetreten. Das ist bedauerlich, wird uns aber nicht nachhaltig beeinflussen können.

    Schulz: Die Stimme aus der CDU von Volker Kauder. Er sagt, es gebe keine Heimat für bürgerliche Stimmen in der SPD. Welches Argument halten Sie ihm denn entgegen nach diesem Verfahren in den letzten Monaten?

    Hübner: Ich finde es immerhin eine ziemliche Arroganz, dass die Bürgerlichkeit allein immer von der Union für sich reklamiert wird. Auch wir Sozialdemokraten sind Bürger dieses Landes und auch die Wähler von Sozialdemokraten sind Bürger dieses Landes. Bürgerlichkeit ist kein Begriff, den die Union allein für sich gepachtet hat, sondern ist ein Begriff für die gesamte Gesellschaft. Insofern werden uns auch Bürger weiterhin wählen und wir werden auch weiterhin ein Hort sein für Bürger, die eine soziale Verantwortung tragen, die für eine Fortschritts- und für eine moderne Politik sind. Insofern muss man das deutlich zurückweisen, was Volker Kauder hier gesagt hat.

    Schulz: Sie sagen, die Partei nimmt keinen Schaden. Heißt das, dass man umgekehrt Wolfgang Clement auch hätte ausschließen können?

    Hübner: Nein. Ich glaube, das entspricht nicht unserer Tradition. Wir sind eine Volkspartei, eine breit aufgestellte Volkspartei, in der viele Stimmen ihre Berechtigung haben, auch ihren Platz haben. Eine Stimme wie Wolfgang Clement könnte immer dazu gehören, aber es ist seine eigene Entscheidung zu sagen, dass er in dieser Partei nicht mehr verbleiben möchte. Das ist eine ganz persönliche menschliche Entscheidung. Die Partei hat klar gemacht, wir wollen solche Leute wie Wolfgang Clement bei uns in der Partei haben. Er hat eine andere Entscheidung getroffen. Das bedauere ich.

    Schulz: Wer trägt jetzt die Verantwortung für die Situation?

    Hübner: Selbstverständlich Wolfgang Clement selbst, weil Wolfgang Clement diese Entscheidung getroffen hat, nicht in der Partei zu verbleiben, nachdem die Partei diese Brücken jetzt letztinstanzlich ihm ja auch gebaut hat. Insofern ist das keine Verantwortung der Partei, sondern im Gegenteil. Die Partei hat ja klar gesagt, Wolfgang Clement, wir wollen dich haben bei uns, wir sind nicht immer mit allem einverstanden. Das gilt für viele, sicherlich auch für mich. Das ist so in einer Partei. Aber wir wissen, dass wir alle Kräfte und auch alle verschiedenen Flügel in dieser Partei brauchen, du könntest immer mit dabei sein. Aber wenn du selber nicht willst, können wir dich auch nicht zwingen, mit dabei zu sein.

    Schulz: Keine Verantwortung der Partei. Also auch keine Verantwortung der Parteilinken?

    Hübner: Nein, das kann man so nicht sehen. Die Parteilinke hat inhaltlich zum Teil eine andere Position als Wolfgang Clement. Das ist vollkommen natürlich. Das ist so bei uns in der Partei, dass wir versuchen, im Diskurs, also von verschiedenen Positionen aus kommend, eine gemeinsame Lösung festzulegen. Da gehört Streit mit dazu. Insofern kann man, wenn man einen Streit dann führt in einer offenen Diskussion, daraus keine Verantwortung ableiten dafür, dass der eine oder andere dann das Boot verlässt. In diesem Fall kann man auch den Linken keinen Vorwurf machen.

    Schulz: Glauben Sie nicht, dass Wolfgang Clement noch Mitglied der Sozialdemokraten wäre, wenn es dieses Parteiausschlussverfahren nicht gegeben hätte?

    Hübner: Das ist Spekulation, aber auch das muss man, glaube ich, aushalten können. Es kann immer sein, dass ein Ortsverein einen Parteiausschluss beantragt. Dafür gibt es dann ja die Gremien, die das zu beurteilen haben. Die Gremien der Partei, das heißt die offiziellen Gremien haben gesagt, dieses Ausschlussverfahren hat keine Berechtigung in unserer Partei. Insofern hätte es für mich keinen Grund gegeben für Wolfgang Clement, die Partei zu verlassen. Dass irgendein Gremium immer wieder mal einen Ausschluss eines prominenten oder auch weniger prominenten Mitgliedes beantragt, das wird man nicht verhindern können. Entscheidend ist: Ist die Partei danach in der Lage, ein objektives Urteil zu fällen? Das hat sie in diesem Fall getan und insofern, glaube ich, hat die Partei gut und richtig gehandelt.

    Schulz: Sehen Sie Franz Müntefering, den SPD-Parteichef, auch beschädigt, der sich gestern ja noch eingemischt hat in das Ausschlussverfahren?

    Hübner: Nein, ich sehe ihn überhaupt nicht beschädigt. Erstens hat er sich nicht eingemischt; das kann er auch gar nicht. Die Schiedskommission ist eine unabhängige Kommission. Aber er hat mit daran teilgenommen. Er hat sicherlich auch mit gewirkt und klar gemacht, dass er meint, dass wir mit allen Flügeln in der ganzen Breite in der Partei vertreten sein müssen. Insofern hat er eine positive Rolle gespielt. Ob dann der eine oder andere individuell dieses Angebot dann annimmt, was die Partei macht, das kann auch ein Franz Müntefering nicht beeinflussen, sondern das muss die Person selber entscheiden. Insofern hat Franz Müntefering, wie ich finde, sehr, sehr honorig an der Stelle gehandelt. Die Entscheidung über den Schritt, den Clement gemacht hat, liegt ganz allein bei ihm selbst.

    Schulz: Jetzt gibt Wolfgang Clement ja nicht einfach nur sein Parteibuch ab, sondern er übt auch noch mal Kritik in der Sache an der SPD, ziemlich harsche Kritik. Er wirft der SPD einen Wirtschaftskurs vor, der auf eine Deindustrialisierung hinauslaufe. Können Sie über diese Kritik hinweggehen?

    Hübner: Ich halte diese Kritik vollkommen für unberechtigt. Gerade Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und auch Franz Müntefering haben eine sehr, sehr klare industriepolitische Ausrichtung. Frank-Walter Steinmeier lässt keine Rede vergehen, um das immer wieder zu betonen. Wir haben gerade im Rahmen der Finanzkrise immer wieder darauf hingewiesen, dass wir Sozialdemokraten es waren, die sich den angloamerikanischen Tendenzen, alles auf eine Dienstleistungsgesellschaft umzubauen, zu widersetzen bereit sind, sondern dass wir auch auf die deutsche Industrie setzen. Insofern halte ich diesen Vorwurf für vollkommen irre und irregeleitet und auch nicht berechtigt.

    Schulz: In der Frage können Sie also ohne die Stimme Wolfgang Clements?

    Hübner: Selbstverständlich! Wir sind ohnehin eine starke Partei, die nicht von einer einzelnen Person abhängig ist. Wir hätten ihn gerne an der Stelle mit dabei gehabt, aber das wird nichts daran ändern, dass wir unseren klaren, auch industriepolitischen Kurs weiter fahren, der, glaube ich, letztendlich auch in dem Sinne ist, was Wolfgang Clement zumindest an Grundzügen selber uns empfohlen hätte.

    Schulz: Als Sozialdemokrat ohne Parteibuch will sich Clement ja auch weiterhin an der öffentlichen Debatte beteiligen. Was erwarten Sie als nächstes?

    Hübner: Es ist sein gutes Recht als freier Bürger, sich an jeder Debatte zu beteiligen. Wir werden einfach abwarten, in welcher Art und Weise er das tut. Klar ist, Wolfgang Clement hat auch schon in der Vergangenheit keine Verantwortung mehr in der Regierung und in Parteiämtern getragen. Insofern ist er auch dort ja schon als freier Bürger aufgetreten. Er wird das weiterhin tun. Ich bin da auf Diskussionen mit ihm gespannt. Wir würden ihnen auch nicht aus dem Wege gehen. Das wollen wir auch überhaupt gar nicht. Insofern freuen wir uns auf rege Diskussionen, auch mit Wolfgang Clement.

    Schulz: Klaas Hübner, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD.