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Humanistischer Verband
Religionsfreiheit für Religionslose

Wo werden Konfessionslose benachteiligt? Eine neue Broschüre, die vom Humanistischen Verband Deutschland am Donnerstag in Berlin vorgestellt wird, beschreibt auf rund 100 Seiten "systematische Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland".

Von Thomas Klatt | 16.09.2015
    Kleiderhaken mit Namen von Kindern in einer Kita in Berlin.
    Benachteiligung religiös Ungebundener - zum Beispiel bei der Kita-Suche (picture alliance / dpa / Volkmar Heinz)
    "Auch diejenigen, die sich nicht in der Weltanschauung des HVD als Weltanschauungsgemeinschaft wiedererkennen, sind trotzdem Opfer von Diskriminierung, so dass wir hier gewissermaßen anwaltlich eine Rolle spielen."
    Der Berliner Philosoph Frieder Otto Wolf ist Präsident des Humanistischen Bundesverbandes in Deutschland (HVD). Auch wenn sein Verein als immerhin größte humanistische Organisation nur mehrere Tausend Mitglieder zählt, so spreche der Humanistische Verband doch für jenes Drittel der Bundesbürger, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Arik Platzek, Sprecher des HVD, nennt als Beispiel dafür, wie religiös Ungebundene aus seiner Sicht benachteiligt werden, die Kita-Suche von Eltern.
    "Wir haben, das gilt vor allem für die alten Bundesländer, die flächendeckende Präsenz, teilweise monopolhafte Aufstellung von Kindertagesstätten in kirchlicher Trägerschaft, die auch konfessionslosen Menschen keine Alternative lassen, als ihre Kinder eben in eine katholische oder evangelische KiTa zu geben."
    Das verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Nicht nur die Unterbringung der Vorschulkinder müsse staatlich garantiert sein, sondern auch die pädagogisch-inhaltliche Wahlmöglichkeit, sagt Platzek, der an der HVD-Studie mitgeschrieben hat.
    "Es ist doch vollkommen klar, dass Eltern aufgrund ihres Erziehungsrechtes den Anspruch haben, eine KiTa zu finden, die ihren weltanschaulichen Auffassungen und Haltungen entspricht. Wir haben ja auch Mitglieder in ganz vielen Bundesländern, die im kleinen Örtchen im Schwarzwald und um sich herum nur KiTas in kirchlicher Trägerschaft finden, durchaus auch in Städten wie Trier beispielsweise, wo auch ein ganz großer Teil des KiTa-Marktes in kirchlicher Trägerschaft ist. Und sie stellen fest, ich möchte eine andere als eine kirchlich getragene KiTa, ich bekomme sie aber nicht."
    Religiöse Symbole aus Schulen entfernen
    Die Diskriminierung nichtreligiöser Menschen setze sich ein Leben lang fort. So gebe es zwar in vielen Bundesländern neben dem staatlichen Ethik- und Normen-Unterricht einen konfessionellen Religionsunterricht, nicht aber den humanistisch ausgerichteten Lebenskundeunterricht. Die Regelung in Berlin hingegen sei vorbildlich: Dort werden evangelischer und katholischer Religionsunterricht neben humanistischem Lebenskundeunterricht gleichberechtigt als freiwilliges Fach angeboten. Arik Platzek.
    "Da haben viele Eltern auch in den alten Bundesländern ein starkes Interesse daran, dass sie ab der 1. Klassenstufe schon eben einen Ethik-Unterricht als Alternative zu den Religionsunterrichten angeboten bekommen können. Denn das haben wir in vielen Bundesländern noch nicht."
    Die Mängelliste des HVD ist lang: Religiöse Symbole sollten generell aus allen Schulen entfernt werden. Die öffentliche Bezuschussung von Kirchentagen müsse entfallen. Ebenso sei der der sogenannte Blasphemie-Paragraf zu streichen. Oder eben die immer noch gewährte Zahlung staatlicher Millionen an die Kirchen, um so die Verluste aus der Zeit der Säkularisierung im frühen 19. Jahrhundert auszugleichen. Doch der Humanistische Verband habe nicht die Ressourcen, um in allen Punkten Gerichtsverfahren anzustrengen. Man setze vielmehr auf politische Vernunft bei den Verantwortlichen. Zum Beispiel in den Krankenhäusern. Noch immer sei die Seelsorge von den Kirchen dominiert, beklagt Ines Scheibe, Mitglied des HVD-Bundesvorstandes.
    "Im Gesundheits- und Sozialbereich, die Benachteiligung, in Problemsituation die Heranziehung von Menschen, die die gleiche Weltanschauung haben und einfach ein Gespräch haben wollen zu Wertfragen, zu Orientierungsfragen in Krisensituationen. Da wird dann immer schnell der Seelsorger geschickt. Es gibt viele Menschen, die möchten nicht den Seelsorger, sondern jemanden vom Humanistischen Verband, um solche Fragen für sich und ihre Familien zu klären."
    Weltanschaulichen Pluralismus in Deutschland stärken
    Ebenso fehle es an einer humanistisch ausgerichteten Soldatenseelsorge. In NATO-Ländern wie Belgien, den Niederlanden oder den Vereinigten Staaten sei sie längst üblich. Die Bundeswehr aber will dem Humanistischen Verband die Kasernen-Tore nicht öffnen. Weiter fehle es an humanistischen Lehrstühlen an den Universitäten, analog zu theologischen Fakultäten für Christen, Juden und Muslime. Im Übrigen würden viele Theologen die Forderungen des Humanistischen Verbandes unterstützen, sagt HVD-Präsident Frieder Otto Wolf. Widerstand komme vor allen von den Kirchenleitungen. Und das, obwohl sie gar keinen Laizismus nach französischem Vorbild anstreben, sagen die Humanisten. Auch wollen sie die Religionen nicht aus dem öffentlichen Raum verdrängen, sondern den weltanschaulichen Pluralismus in Deutschland stärken.
    "Wir würden das als kooperativen Laizismus bezeichnen, das heißt auf der Ebene der Gleichbehandlung von religiösen wie Nichtreligiösen tatsächlich eine geförderte Gewährleistung und auf Dauer angelegte Präsenz im öffentlichen Raum."