Samstag, 20. April 2024

Archiv


Hunde als Tiefflieger

Der 1966 geborene bulgarische Autor Alek Popov veröffentlichte bislang sechs Erzählbände und zwei Romane. In "Die Hunde fliegen tief" suchen zwei bulgarische Brüder in Amerika ihr Glück und auch in "Mission London" geht es um Glückssehnsucht und die Erfüllung von Wohlstandsträumen. Mirko Schwanitz besuchte den Autor in seiner Heimatstadt Sofia.

Von Mirko Schwanitz | 15.04.2008
    Es gibt Tage, da muss Alek Popov einfach raus aus der Stadt. Um den Kopf freizubekommen lässt er seinen mit Manuskripten überhäuften Schreibtisch für ein paar Stunden zurück. Mit der Straßenbahn geht es an den Fuß des Witoscha-Gebirges.

    "Ich schreibe schon seit sehr langer Zeit. Irgendwann habe ich bemerkt, das ich nicht bereit bin, irgend etwas anderes zu tun. Das Nicht-Schreiben kostete mich einfach zu viele Opfer. Inzwischen habe ich sieben Erzählbände und zwei Romane veröffentlicht. Geschichten erzählen ist einfach das, das ich am besten kann."

    Von der Endhaltestelle geht es weiter zu Fuß in die Berge. Eine knappe Stunde, dann liegt ihm Sofia zu Füßen. Jene Stadt, aus der er und die Helden seines neuesten Buches stammen - mit dem ebenso kuriosen wie vielsagenden Titel "Die Hunde fliegen tief".

    " Im Bulgarischen kommt dieser Titel von einem Witz: Darin tobt ein Betrunkener in seiner Wohnung herum und wirft in seinem Suff den Hund aus dem Fenster. Unten, auf der Straße, geht ein ebenfalls nicht mehr ganz nüchterner Mann. Als der Hund an ihm vorübersegelt, schüttelt der Mann den Kopf und brabbelt: Die Hunde fliegen heute aber tief, es wird wohl Regen geben. Für mich ist dieser Titel sozusagen ein Sujet, das beide Handlungsstränge des Buches miteinander verbindet."

    Popov erzählt darin aus ständig wechselnder Perspektive die Geschichte zweier bulgarischer Brüder, die ihr Glück in den USA versuchen. Ned hat es immerhin an die Wallstreet geschafft. Ango führt nur die Hunde reicher Snobs im Central-Park spazieren. Den Anfang aber macht ein merkwürdiges Paket, das eines Tages in Sofia eintrifft. Darin die Asche des verstorbenen Vaters.

    "Die gesamte Konstruktion des Romans ist im Grunde genommen autobiografisch. Der Anfang ist sogar dokumentarisch. Denn wir bekamen tatsächlich die Asche meines Vaters nach Sofia geschickt. Der war in den USA Mathematikprofessor und kam dort bei einem Brand ums Leben. Und mein Bruder ist tatsächlich Finanzmanager. Das Schwierigste war, die notwendige Distanz zu finden, um frei fabulieren zu können."

    Das gelingt Popov meisterhaft. Mit einer schwebenden Leichtigkeit vermag er zwischen geradezu slapstickhaften Szenen und ernsthaften Betrachtungen über den Handel mit Derivaten und anderen hochkomplizierten Börsenprodukten hin- und herzuspringen, die für ihn die Globalisierung versinnbildlichen.

    " Mich interessiert schon seit längerem die Philosophie der Ökonomie. Womit ich mich in meinem Buch eigentlich befasse, dass sind die Zusammenhänge zwischen der monetären und der nichtmonetären Welt."

    Im Roman dokumentieren sich diese Zusammenhänge am deutlichsten in den verschiedenen Formen der Diaspora, deren genetischen Bauplan er in einzelnen Geschichten gleichsam entschlüsselt. Konsequent setzt Popov dabei fort, was er in seinem inzwischen in zehn Sprachen übersetzten Roman "Mission London" begonnen hatte. Erstmals in der bulgarischen Literatur kreierte er hier so etwas wie universale Helden. Die stammen zwar vom Balkan, lassen diesen aber hinter sich, ziehen hinaus in die Welt - und bringen die gehörig durcheinander. Das es Bulgaren sind, spielt keine Rolle. Denn sie stehen nur stellvertretend für jene Spezies, die der entfesselte Kapitalismus permanent um den Globus ziehen lässt - immer auf der Suche nach der Erfüllung ihrer Wohlstandsträume.

    "Sie sind einerseits Opfer sozialer Illusionen. Andererseits sind sie gefangen in ihrem emotionalen Gedächtnis. Mein Buch ist ein Buch über das Heranwachsen der Helden aber auch ein Buch über das Heranwachsen der Gesellschaft."

    Deren Personal besteht in Popovs Roman aus lauter Karikaturen, die in jeder Cartoon-Ausstellung einen herausgehobenen Platz einnehmen würden, wären sie nicht mit Worten, sondern mit Pinsel oder Stift gezeichnet. Auch wenn die Übersetzung kleinere Fehler aufweist, etwa bei der Übertragung militärischer Dienstränge, so ist Übersetzer Alexander Sitzmann doch ein schwieriges Kunststück gelungen. Kongenial übertrug er nicht nur den Humor Popovs, sondern auch dessen hintergründig sexualisierte Sprache. Kaum eine andere Übersetzung vermittelte bisher einen derart präzisen Eindruck vom Alltagsslang auf dem Balkan. Für Popov ist auch das ein Stilmittel zur genauen Zeichnung seiner Figuren und ihrer Gedankenwelt.

    "In Osteuropa war der Humor schon immer ein starkes Mittel der Freiheit. Weil die Völker hier eine lange Unterdrückung erlebten, waren Satire und das Lachen ein wichtiger Bestandteil des Überlebens. Mein Buch hat sehr viele Schichten und die Satire ist nur jene, die sich dem Leser am leichtesten erschließt. Aber unterschwellig liegen darin viele Dinge, die mir wichtig sind. In diesem Buch spreche ich auch über die Einsamkeit und Leere im Menschen."

    Seinen Bruder verwandelt Popov deshalb in die postmoderne Figur eines Spekulanten, wie sie auch in Büchern Louis Begleys oder Richard Fords auftauchen. Sein alter Ego selbst lässt der Autor für zehn Dollar pro Stück traurige Hundeexemplare durch New Yorks grüne Lunge führen..

    "Lange habe ich dort gesessen und die Hundeausführer aufmerksam beobachtet. Zuerst habe ich das von der heiteren Seite gesehen. Aber je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr nahm ich den sozialen Aspekt dieser Tätigkeit wahr, weil sie zu den Absurditäten dieser Welt gehört, in der wir leben. Aber diese Absurditäten haben eine tiefe innere Logik. Und zwar in der Hinsicht, dass sie völlig neue Beschäftigungsfelder hervorbringt, an die früher nicht zu denken war."

    Diese Hundeausführer rufen ganz neue gesellschaftliche Erscheinungen auf den Plan - Hundeausführergewerkschaften etwa oder eine auf Hunde-Entführungen spezialisierte Schutzgelderpressermafia. Die Gesellschaft karikiert sich bei Popov zunehmend selbst.

    "Prinzipiell: Ich kritisiere niemanden. Meine Helden, meine Figuren sind so wie sie sind. Ich versuche zu ergründen, was das Absurde im Leben der einen wie der anderen ist. Das Paradoxe ist es, was mich interessiert. Daraus schöpfe ich meine Energie."

    Popov demontiert mit geradezu diebischer Freude die Klischees vom stets erfolgreichen Diaspora-Emigranten und dem daheim gebliebenen "Looser". Sein Roman ist ein Spiegel, aus dem einem Fratzen entgegen starren. Über die lässt sich laut lachen, bis plötzlich die Frage auftaucht, ob sie nicht Ähnlichkeiten mit uns selbst, den Lesern haben. Bei allem Humor regt dieses Buch auch zum Nachdenken an. Zum Nachdenken über . . .

    "Die größte Mission, die die Literatur für mich in Zukunft haben wird, ist es, den Menschen zu helfen, sich für einige Momente von den glitzernden Lügen der Medienwelt zu isolieren und ihnen klar zu machen, dass sie ihre Seelen mich noch soviel Konsum nicht werden füllen können."