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Hurrelmann: CDU öffnet ihre Bildungspolitik

Die CDU will das dreigliedrige Schulsystem reformieren. Neben dem Gymnasium soll es eine sogenannte Oberschule geben, in der Haupt- und Realschulen vereint werden. Bildungsforscher Klaus Hurrelmann stellt den Plänen der Christdemokraten ein gutes Zeugnis aus.

15.11.2011
    Jörg Biesler: "Bildungsrepublik Deutschland", das ist die Überschrift, die sich die CDU selbst über ihre Bildungspolitik gesetzt hat. Heute hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan ihrer Partei einen entsprechenden Antrag vorgelegt, der doch nicht weniger ist als ein Richtungswechsel in der Schulpolitik, aber auch in der Bildung insgesamt. Die CDU bekennt sich zur integrativen Schulform, obwohl Hauptschule und Gymnasium weiterhin eine Rolle spielen sollen, und die Basis reagiert darauf noch ein bisschen zurückhaltend, wie man der Debatte entnehmen kann. Wir haben es gerade gehört. Professor Klaus Hurrelmann ist Bildungsforscher an der Hertie School of Governance in Berlin. Herr Hurrelmann, ist das ein Richtungswechsel, den die CDU heute vorgenommen hat, auch wenn die Basis ihn vielleicht noch nicht ganz mitgeht?

    Klaus Hurrelmann: Meiner Ansicht nach ja, denn in dem Gesamtpapier stecken sehr viele Punkte, die eine zumindest unauffällige Entfernung von alten Positionen der CDU mit sich bringen. Der Vorschulbereich als Bestandteil des Bildungssystems, das steht da drin, die Eltern mit ihrer wichtigen Rolle, die aber mit den öffentlichen Bildungseinrichtungen kooperieren sollen, eine Partnerschaft eingehen sollen, ein bemerkenswerter Punkt, der zeigt, dass die CDU sich in diesem Bereich öffnet. Die ganze Frage des Ganztagsunterrichtes wird hier wirklich programmatisch festgeschrieben, die Schulen sollen Eigenständigkeit bekommen, das alles deutet darauf hin, dass das Papier doch die Bildungspolitik für die CDU öffnet und ganz festgezurrte Positionen von früheren Jahren eindeutig aufgibt.

    Biesler: Das Ganze funktioniert offensichtlich nur in Schritten: Bundesbildungsministerin Annette Schavan spricht sich ja sowohl für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern in der Bildung aus und trifft dabei aber bei ihren Länderkollegen auf taube Ohren, die wollen das nicht mittragen, und sie hatte auch die Hauptschule in diesem Programm aufgegeben, eine Oberschule soll es geben, eine Kombination aus Realschule und Hauptschule, und daneben das Gymnasium. Auf Druck der Basis aber – 1.600 Änderungsanträge, muss man vielleicht noch mal dazu sagen, hat es insgesamt gegeben –, auf Druck der Basis ist jetzt doch wieder die Hauptschule drin, und die Realschule dort, wo die Eltern sie wollen. Also es ist eine schrittweise Veränderung?

    Hurrelmann: Ja, so ist das nun einmal, das gilt sicherlich für alle Parteien, und die CDU stand nun – das haben ja auch einige der Redner in der Debatte zwischendurch jetzt schon gesagt –, die CDU stand nun jahrzehntelang für das gegliederte Schulsystem, und das Papier will davon abrücken. Das ist ganz klar, dass hierüber die Hauptdiskussionen laufen. In dem ursprünglichen Papier stand ja sehr, sehr kühn der Satz drin, dass ein Zwei-Wege-Modell angestrebt wird, neben den Gymnasium, was alle Abschlüsse bis zum Abitur anbietet, eine zweite Schulform, die aus den heutigen Hauptschulen, Realschulen – sicherlich ist nicht direkt erwähnt –, auch den heutigen Gesamtschulen, wenn es sie gibt besteht, die auch alle Abschlüsse anbietet im dualen beruflichen System, aber auch im normalen schulischen System bis zum Abitur. Das scheint etwas aufgeweicht zu werden oder zumindest gibt es die Möglichkeit – der neue Wortlaut des Papieres gibt die Möglichkeit her –, dass daneben auch die bisherigen Schulformen bestehen bleiben, aber das wäre nicht so dramatisch. Ich glaube, entscheidend ist, ob Länder – auch dann CDU-regierte Länder, die es möchten – in diese neue Richtung zu gehen, also ein Zwei-Wege-Modell, wie es dort auch heißt, dass die das dann auch tatsächlich können, während andere, die das nicht möchten, es nicht tun. Ich denke, da wird in dieser Richtung etwa der Kompromiss liegen.

    Biesler: Die CDU stellt ja im Augenblick nur in drei Ländern die Kultusminister. Bildungsrepublik, das ist ja das Wort, das Angela Merkel 2008 dafür gefunden hat, suggeriert ja auch eine einheitliche Strategie, einheitliche Standards und eine gewisse Systematisierung in allen Bundesländern. Die gibt es ja eigentlich im Augenblick gar nicht. Wäre sie denn erstrebenswert, wäre es sinnvoll, es in allen Bundesländern jedenfalls ähnlich zu machen?

    Hurrelmann: Das stand zumindest in der ursprünglichen Fassung des Papiers, an dem Frau Schavan maßgeblich mitgearbeitet hat, wörtlich drin. Wir haben zu viele Abschlüsse, wir haben zu viele Schulformen, die Unübersichtlichkeit ist groß. Ich füge hinzu, das Grundgesetz verlangt ja auch eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, sodass man wechseln kann von einem Bundesland zum anderen, und das ist im Bildungsbereich wirklich gefährdet. Meiner Ansicht nach hätten wir das dringend nötig, und dann käme auch wieder der Wettbewerb zwischen den Ländern an die Stelle, wo er hingehört, nämlich um die Qualität und nicht: Wer hat das bunteste und namensreicheste Schulsystem?

    Biesler: Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister, auch von der CDU natürlich, hat heute auf dem Parteitag gesagt, er kann die ewigen Schulstrukturdebatten nicht mehr hören. Ist denn da tatsächlich zu Ende diskutiert?

    Hurrelmann: Nun, das ist natürlich wie immer in der Politik so eine Sache. Man kann das nicht mehr hören, man diskutiert aber gleichzeitig hauptsächlich diesen einen Punkt. Ich habe eben schon gesagt, der ist ja gar nicht der einzige Punkt in dem Gesamtkonzept der CDU. Was ich wichtig finde – und das hat der McAllister auch herausgearbeitet –, ist, dass wir in der Tat die Tradition des deutschen Schulsystems wahren, und die besteht darin, dass wir ein sehr erfolgreiches Gymnasium haben mit einer an der wissenschaftlichen Fachlichkeit orientierten Ausbildung der Schülerinnen und Schüler. Ist aber ganz klar, dass diese Schulform nicht alle Schülerinnen und Schüler ansprechen kann, doch wo sie in den Städten heute teilweise deutlich über 50 Prozent der Schülerschaft schon hat, und deswegen finde ich selbst die Idee sehr überzeugend, daneben eine zweite Schulform zu bilden, sodass ein zweiter Strang entsteht, und in den würde ich auch die traditionelle duale Berufsausbildung hineintun. Und das ist die ursprüngliche Idee dieses CDU-Antrages, und Sie merken, die finde ich sehr gut, ich würde mich freuen, wenn da möglichst viel davon übrig bliebe.

    Biesler: Mal über die Schulpolitik hinaus schauend noch mal: Wenn Sie als Wissenschaftler aufgerufen werden, die Bildungsrepublik Deutschland zu gestalten, was würde Ihnen da am dringendsten noch fehlen im Augenblick?

    Hurrelmann: Ich habe Stichworte schon genannt, sie sind drin in dem CDU-Papier. Man muss da fairerweise sagen, es fängt an im Vorschulbereich. Dass der Vorschulbereich in Deutschland vernachlässigt wurde, weil wir jahrzehntelang darauf gesetzt haben, dass in den ersten sechs Lebensjahren ein Kind in der Familie am besten aufgehoben ist, das wird implizit unausgesprochen damit widerrufen. Es wird anerkannt, dass dazu auch Nachmittagsunterricht stattfinden kann, das sind wirklich auch aus der Forschung die entscheidenden Punkte, um die es geht, und der dritte ist halt in Deutschland immer die frühe Aufteilung der Kinder nach wenigen Grundschuljahrgängen. Wenn dieser Punkt gelöst würde, wären drei wirklich auch in der internationalen Forschung anerkannte Meilensteine wirklich von der CDU bearbeitet.

    Biesler: Die Bildungsrepublik Deutschland heute, ein Thema auf dem Parteitag der CDU, der der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann ein ganz gutes Zeugnis ausstellt. Vielen Dank dafür!

    Hurrelmann: Ich danke auch, tschüss!

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