Dienstag, 23. April 2024

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Hut-Museum im Allgäu
"Die Kulturgeschichte der Kopfbedeckung"

300 Jahre lang wurden in der Stadt Lindenberg im Allgäu Hüte produziert. Ob aus Stroh oder geschmückt mit echten Paradiesvögeln: Im Deutschen Hut-Museum kann man die Stadt- und Hutgeschichte des Ortes bewundern, der lange als "Klein-Paris der Hutmode" galt.

Angelika Schreiber im Gespräch mit Christoph Schmitz | 12.12.2014
    Eine Gruppe Gebirgsschützen nimmt am Patronatstag der bayerischen Gebirgsschützen am 04.05.2014 in Miesbach (Bayern) am Festzug teil.
    Im bayerischen Miesbach wird auch heute noch traditionell Hut getragen. (picture alliance / dpa / Foto: Sven Hoppe)
    Christoph Schmitz: "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, in allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei und an den Küsten, liest man, steigt die Flut." So beginnt das Gedicht "Weltende" des expressionistischen Dichters Jakob van Hoddis.
    Der Hut gehörte zur Ausstattung unbedingt dazu. Die Kopfbedeckung war immer hauptsächliches Leuchtfeuer auf der Turmgestalt des Menschen, ein Leuchtturm-Signal gewissermaßen an die Welt darüber, mit wem man es zu tun hat. Als Kleidungsstück gegen Wind und Wetter diente und dient der Hut oder die Mütze natürlich auch.
    In der Stadt Lindenberg im Allgäu wurden solche Hüte produziert, 300 Jahre lang. Diese Geschichte im Kontext des Modedesigns zeigt ein Museum, das Deutsche Hut-Museum in der ehemaligen Hutfabrik Reich. Ein Stück Kultur- und Wirtschaftsgeschichte? Das habe ich Museumsleiterin Angelika Schreiber gefragt.
    Industrialisierung aus dem Nichts
    Angelika Schreiber: Ja, auch das zeigen wir. Das ist die Geschichte unseres Ortes, der zur Stadt wird, und hier passieren dann wirtschaftlich ganz ungewöhnliche Dinge für so einen kleinen Ort im Allgäu, dass hier die Industrialisierung quasi wie aus dem Nichts einsetzt, ohne dass es da gewisse Vorentwicklungen gab, wie wir das von anderen Orten kennen.
    Wir gehen darüber hinaus, dass wir aufgrund von unserer Sammlungsstärke auch 300 Jahre deutsche Hutmode-Geschichte zeigen können und da auch in die unterschiedlichen Zeiten, auch in die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten hineinblicken und da beispielhaft diese Kulturgeschichte der Kopfbedeckung des Hutes zeigen.
    Schmitz: Was konkret gibt es zu sehen? Welche besonderen Stücke stellen Sie aus?
    Schreiber: Wir haben drei große Themen. Das eine hatten wir schon kurz erwähnt: Das ist unsere Hutgeschichte, unsere Stadtgeschichte. Dann ist ein weiteres großes Thema die Hutherstellung. Neben all diesen besonderen Werkzeugen, den ganzen Materialien, die man braucht, haben wir da ein ganz besonderes Stück. Das ist eine Haifisch-Haut. Die ist gebraucht worden, um die Oberfläche des Filzes auf ganz besondere Weise zu bearbeiten, und so was können wir auch zeigen, so überraschende kuriose Geschichten.
    Tierschutz für Hutvögel
    Dann haben wir aber noch ein weiteres großes Thema, wie schon erwähnt, die Hutmode, und da darf man wirklich eintauchen in ganz besondere Hüte, zum Beispiel in Kapotten um 1900, die die Damen dann mit echten Paradiesvögeln geschmückt haben. Wir gehen darüber hinaus und beleuchten einfach auch mal das Thema Tierschutz in dieser Zeit. Man sollte nicht meinen: Bereits 1912 ist dann dieser Paradiesvogel schon unter Schutz gestellt worden.
    Schmitz: Die Hutproduktion in Lindenberg hat ja mit dem Strohhut begonnen, um 1750 herum. Das ging einige Jahrhunderte so, zweieinhalb Jahrhunderte. Dann kamen die Stoffhüte dazu. Zeigen Sie diese Entwicklung auch in der materiellen Bearbeitung?
    Schreiber: Zunächst wurden hier aus Strohhalmen Borden geflochten und die dann zusammengenommen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Bei dieser kargen Landschaft hier war es sehr problematisch, sich nur von der Landwirtschaft zu ernähren. Man hat also einen Nebenerwerb gesucht und hat versucht, aus den Ressourcen, die einen umgeben haben, noch einen Gewinn zu erwirtschaften. Das waren bei uns diese Hüte aus groben Strohborden.
    Schmitz: In Ihrer Broschüre steht, dass Lindenberg im Allgäu so etwas wurde wie das Klein-Paris der Hutmode.
    Schreiber: Der Begriff stammt tatsächlich dann aus den 50er-Jahren, wo wir auch umgestellt haben. Wir waren vorher bis in die 1920er-Jahre Deutschlands Herren-Strohhut-Zentrum, und nach den beiden Weltkriegen, nach den großen Wirtschaftskrisen auch wurde die Produktion umgestellt und man hat mehr Damenhüte, mehr Filzhüte hergestellt. Man hat Leder und Pelz verarbeitet und dann kamen relativ schnell auch Kunststoffe dazu und ist da dann auf diese Vielfalt und diesen Wandel eingegangen.
    Da hier so viele Firmen auf einem Fleck waren, konnten sie da relativ gut Trends bestimmen, die dann umgesetzt worden sind, und so entsteht dieser Name Klein-Paris, weil im Alltag die modischen Hüte aus Lindenberg kamen nach dem Vorbild Paris.
    Blumenketten statt Hüte in den 68ern
    Schmitz: Heute gibt es noch eine Hutfabrik, wenn ich das richtig weiß. In den 60er-, 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war mehr oder weniger Schluss, weil die 68er-Generation den Hut als einen alten Hut empfand?
    Schreiber: Unter anderem, ja. Gerade die 68er-Generation, da haben ja Männer wie Frauen lange offene Haare getragen, vielleicht noch eine Blumenkette darin. Das war mit ein Grund. Er wurde abgelegt, abgelehnt als irgendwie bürgerliches Symbol, als veraltetes Symbol. Aber es kamen noch ein paar andere Entwicklungen hinzu.
    Zum Beispiel spielte das Auto eine ganz große Rolle. Vor allem als es dann die Kopfstützen überall gab, wurde das sehr unpraktisch, mit Hut Auto zu fahren, und als dann in den 80er-Jahren die Dauerwelle kam, da war es dann fast vorbei mit dem Hut. Er wurde dann eigentlich nur noch bei uns zu besonderen Anlässen getragen, oder als Schutz, oder, wenn er eine Funktion erfüllt. Das haben wir ja auch immer wieder, dass wir zum Beispiel bestimmte Berufsgruppen haben, die erkennen wir über die Kopfbedeckung.
    Schmitz: Angelika Schreiber über das neue Deutsche Hut-Museum in Lindenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.