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Hygienehypothese
Wurmkur gegen Arthritis

Weil wir zu sauber leben und nur in sehr seltenen Fällen von Parasiten infiziert werden, ist die körpereigene Abwehr unterfordert. Wir reagiert auf harmlose Dinge wie Pollen oder körpereigene Zellen mit Allergien oder Autoimmunerkrankungen. Nun haben Forscher bei Mäusen nachgewiesen, dass diese nicht an der Autoimmunerkrankung Arthritis erkranken, wenn sie von bestimmten Würmern infiziert wurden.

Von Christine Westerhaus | 08.06.2016
    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Makrophagen bei der Zerstörung eines Bakteriums.
    Bei Athritis richtet sich unser Immunsystem gegen uns selbst. Makrophagen wie diese attackieren dann Knorpelzellen in den Gelenken. (picture alliance / Robba)
    Wenn ein Mensch eine rheumatoide Arthritis entwickelt, richten sich die Zellen seines Immunsystems gegen die Knorpelzellen in den Gelenken. Dieser Angriff kann so heftig sein, dass die Gelenke ganz zerstört werden. Warum das Abwehrsystem bei manchen Menschen verrücktspielt und den Körper angreift, ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Doch schon seit einigen Jahren verdichten sich die Hinweise, dass genau diejenigen Zellen des Immunsystems entgleisen, die sich normalerweise auch gegen Parasiteninfektionen wehren. Der Gedanke lag daher nah, das fehlgeleitete Immunsystem von Arthritispatienten mithilfe von Würmern umzupolen. Genau das ist Aline Bozec und ihre Kollegen vom Universitätsklinikum Erlangen nun gelungen. Wenn auch nur bei Mäusen, die ebenfalls eine Arthritis entwickeln können.
    "Wir haben die Tiere mit einem Parasiten infiziert und gesehen, dass sich anschließend in ihren Gelenken bestimmte Immunzellen, so genannte 'eosinophile Granulozyten', ansammelten, die die Mäuse vor dem Ausbruch der Krankheit schützten. Diese Zellen sind also in der Lage, die Entzündungen in den Gelenken zu verhindern, indem sie die Immunantwort verändern. Und das hat zur Linderung der Symptome geführt."
    Dass die Forscher diese Zellen vermehrt in den Gelenken der Mäuse finden, spricht dafür, dass die Wurminfektion das Immunsystem quasi umgepolt hat. Normalerweise erhalten Makrophagen, auch Fresszellen genannt, bei einer Arthritis vom Immunsystem den Befehl, die Gelenke anzugreifen. Doch die eingewanderten eosinophilen Granulozyten hinderten die Makrophagen daran, das Knorpelgewebe zu attackieren. Nun hoffen die Forscher, auch das Immunsystem von Menschen mit Arthritis mithilfe von Parasiten wieder auf Kurs bringen zu können.
    "Unsere Ergebnisse sind zwar vorläufig, doch wir denken, dass das auch bei Menschen funktioniert. Wir finden bei Arthritis Patienten ganz ähnliche Immunzellen in den Gelenken und haben bei ihnen ebenfalls vermehrt eosinophilen Granulozyten entdeckt."
    Dass Menschen mit Arthritis zukünftig mit Würmern infiziert werden, um ihre Symptome zu lindern, kann sich Aline Bozec zwar nicht vorstellen. Doch es wäre es denkbar, charakteristische Moleküle eines Parasiten einzusetzen, meint die Forscherin. Ähnlich wie bei einer aktiven Impfung, bei der Menschen abgetötete Erreger gespritzt werden, um sie gegen eine Krankheit zu immunisieren.
    "Ich möchte Patienten dringend davon abraten, sich selbst mit Würmern zu infizieren. Zuerst müssen wir zeigen, dass das auch beim Menschen funktioniert. Dann wäre es aber denkbar, dass wir einen nicht-infektiösen Parasiten nehmen oder einzelne Moleküle eines solchen Wurms. Das könnte ausreichen, um in Patienten eine entsprechende Immunreaktion auszulösen."
    Ganz ähnliche Studien an Patienten laufen bereits. Am Immanuel Krankenhaus in Berlin können sich Arthritispatienten seit 2013 im Rahmen einer Pilotstudie mit den Eiern des Schweinepeitschenwurms behandeln lassen. Das ist ein Parasit, der normalerweise nur Schweine befällt. Auch an Menschen mit Multipler Sklerose, ebenfalls eine Autoimmunkrankheit, wurden diese Würmer bereits getestet. Zwar gibt es für diese Untersuchungen noch keine Ergebnisse. Doch Andreas Krause, der die Arthritisstudie in Berlin leitet, war bei Studienbeginn zuversichtlich, dass die Wurmkur seinen Patienten hilft.
    "Es gibt Einzelbeobachtungen, wo diese Therapieprinzip beim Menschen schon positive Effekte auf das entzündliche Gelenkrheuma gezeigt haben, also auf die Rheumatoide Arthritis. Und es gibt positive Tierversuche, die zwar nur einen begrenzten Übertragungseffekt auf den Menschen haben, aber sie zeigen, dass dieses Therapiekonzept funktionieren könnte."