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Hyperinflation in Venezuela
Wie Künstler Geld aufwerten

Venezuela steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Menschen kämpfen mit der höchsten Geldentwertung der Welt. Internationale Organisationen warnen vor einer humanitären Krise. Einige Künstler und Intellektuelle reagieren mit höchst kreativen Ideen auf diese Lage.

Von Burkhard Birke | 27.06.2018
    Streetart in Venezuala: Ein Graffito mit der Aufschrift "arte es paz", einer angeschnittenen Weltkugel, einer weißen Taube und zwei einander greifenden Händen
    Streetart in Venezuela (Burkhard Birke)
    Geldscheine sind praktisch wertlos in Venezuela: Selbst für den größten Schein von 100.000 Bolivares bekommt man gerade einmal ein Bonbon. Bemalt mit einem Gangster mit Maschinenpistole etwa oder mit einem geknebelten Gesicht gewinnen die Scheine allerdings künstlerischen Wert. Not macht erfinderisch, zumal wenn der Magen knurrt. Hambre – Hunger!- prangt denn in großen Lettern auf einem 500 Bolivarschein – und nur weil er bemalt ist, hilft er seinem Besitzer zur nächsten Mahlzeit. Mit einer auf 14.000 prozentigen jährlich geschätzten Inflationsrate und akuten Versorgungsengpässen erlebt das erdölreichste Land der Welt seine wohl schlimmste Krise. Manuel Acedo:
    "In drei Monaten wird die Situation noch schlimmer sein, in sechs Monaten viel schlimmer…. wir befinden uns in einer Nachkriegssituation ohne Krieg."
    Und dennoch hat nicht vor wie so viele das Land zu verlassen. Manuel Acedo ist Anwalt und spät berufener Schriftsteller. In seinen Romanen greift er die aktuelle Situation auf:
    "Das Leben in Venezuela ist derzeit so extrem, so kompliziert, dass es selbst schon wie Fiktion wie ein Roman anmutet. Wenn man erzählt, was passiert, glaubt einem niemand! Romane müssen aber glaubwürdig sein. Ich glaube, wenn man eine wahre Geschichte über Venezuela schreibt, dann glaubt einem der Leser nicht, weil die Dinge einfach so absurd sind, dass sie unglaubwürdig scheinen."
    Das Wort:"romanhaft" bekommt hier eine ganz neue Bedeutung
    Etwa dass man für den Preis eines Roastbeef-Sandwiches 1.350.000 Liter Normalbenzin kaufen kann, weil Benzin quasi verschenkt wird, obwohl es für teure Dollar teilweise importiert werden muss.
    "In einem meiner Bücher setzte ich mich satirisch mit dem Bolivarianismus auseinander. Da wird mit Simon Bolivar ein militärischer und politischer Held des 19.Jahrhunderts genommen, der nichts mit der heutigen Realität Venezuelas zu tun hat, und er wird in eine Art Gott verwandelt. Dann nimmt ein anderer Führer – Chavez – Bolivar zum Vorbild, und es wird ein neuer Mythos oder Gott geschaffen – da werden zwei Dinge miteinander vermischt, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben."
    Der Mythos lebt fort: Überall strahlt einem das Porträt des verstorbenen Präsidenten Hugo Chavez entgegen – oft neben dem des Unabhängigkeitskämpfers und Befreiers Venezuelas vom spanischen Kolonialjoch Simon Bolivar.
    Während Anhänger des Regimes ihre Helden auch künstlerisch durch Wandbemalungen verehren, geht dieser Personenkult nicht nur Schriftstellern wie Manuel Acedo, sondern auch einigen Malern und plastischen Künstlern deutlich zu weit. Geschichte einer Schande nennt José Vivenes seine Ausstellung mit Bildern und Zeichnungen, die z.B. Hugo Chavez mit Fidel Castro im Huckepack vor einem dunklen Capitol oder einen schwarzen Stiefel zeigen, der alles unter sich zerquetscht.
    Der Staat ist allgegenwärtig
    Der Staat kontrolliert das öffentliche Leben, hat auch die meisten privaten Radio- und Fernsehstationen übernommen, was interessanterweise zu einer Renaissance des Theaters geführt hat. Der Kulturjournalist Juan Gonzalez:
    "Es wird immer noch Theater gespielt, obwohl es sehr schwierig geworden ist, Stücke zu inszenieren. Aufgrund der Hyperinflation verdoppelt sich der Preis für das Bühnenbild von einem auf den anderen Tag. Die Theatergruppen suchen sich dann oft Klassiker aus wie Lady Macbeth. Der Clou dabei ist, dass trotzdem unsere Realität abgebildet wird, so stehen die drei Hexen von Lady Macbeth für die drei Rektorinnen des Nationalen Wahlrates."
    Mit Zynismus und Humor tragen die meisten Venezolaner Hunger und Entbehrungen der wohl schlimmsten Krise in der Geschichte ihres Landes. In der Hoffnung auf bessere Zeiten, machen sie, wie Verleger Carsten Todtmann, weiter:
    "Am schlimmsten ist die Inflation, man kann nicht mehr richtig kalkulieren. Druckereien, die mir früher 30 Tage Ziel gaben, um die Rechnung zu bezahlen, können mir heute den Preis erst geben, wenn ich das Buch in der Hand habe und dann muss ich den sofort begleichen. Die Buchhandlungen in Venezuela, denen es auch sehr schlecht geht und die jedes Jahr weniger werden, die wollen dann 30 Tage Zahlungsziel haben bei einer täglichen Inflation. Bücher, die in Deutschland oder den USA zehn bis achtzehn Dollar kosten, verkaufen wir für zwei bis vier Dollar und damit ist kein Gewinn zu machen."