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Hypothek für Jahrzehntausende

Umwelt. - Wie sehr Treibhausgasemissionen den Globus bis zum Jahr 2100 vermutlich aufheizen werden, erörtern derzeit Vertreter von fast 190 Regierungen beim Klimagipfel in Montreal. Doch dieser zeitliche Horizont reiche bei weitem nicht aus, warnen Experten.

Von Volker Mrasek | 02.12.2005
    Selbst in der offiziellen Klimabibel der Vereinten Nationen steht es so: Kohlendioxid, das wichtigste Treibhausgas aus der Nutzung fossiler Energieträger durch den Menschen - Kohlendioxid habe eine mittlere Lebensdauer von 100 bis 300 Jahren. So lange bleibe ein emittiertes Kohlendioxid-Molekül im Schnitt in der Erdatmosphäre. Andrey Ganopolski, Physiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sieht da einen gewissen Korrekturbedarf:

    "Die Geschichte stimmt so nicht ganz. Ein Großteil des Kohlendioxids aus fossiler Verbrennung wird zwar tatsächlich nach ein-, zweihundert Jahren in den Ozean wandern und dort gelöst werden. Aber wir müssen davon ausgehen, dass etwa sieben Prozent praktisch für immer in der Atmosphäre bleiben."

    Etwa die Hälfte der Kohlendioxid-Emissionen aus der Öl- und Kohlenutzung geht gleich in den Ozean, sagt man. Der andere Teil reichert sich in der Erdatmosphäre an. Auch dieses atmosphärische Kohlendioxid könnten sich die Weltmeere im Prinzip in ferner Zukunft noch verdauen. Doch irgendwann schlägt ihnen die Klimaerwärmung auf den Magen. David Archer, Professor für Geophysik an der Universität von Chicago und Forschungspartner von Andrey Ganopolski:

    "Wenn immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geht, dann lässt die Speicherfähigkeit des Ozeans nach."

    Archer hat das in einem Klimamodell simuliert. Es ist zwar simpler als die Programme, die auf den heutigen Supercomputern laufen. Dafür rechnet es aber auch viel schneller und rast förmlich durch die Jahrhunderte. So konnte der US-Forscher den Kohlendioxid-Verlauf über Zehntausende von Jahren in der Zukunft verfolgen. Heraus kam, dass der Ozean es am Ende nicht schafft, sämtliche Kohlendioxid-Emissionen zu schlucken. Das liegt daran, dass sich auch tiefere Wasserschichten durch den Klimawandel erwärmen werden. In ihnen löst sich dann nicht mehr so viel Kohlendioxid. Auch die Versauerung des Meerwassers durch Kohlendioxid spielt hier eine Rolle, denn das Klimagas wird in Kohlensäure umgewandelt. Selbst in hunderttausend Jahren dürfte daher noch fossiles Kohlendioxid in der Atmosphäre vorhanden sein, folgert Archer aus seinen Studien. Wie viel genau ist davon abhängig, welche Mengen Kohlendioxid der Mensch noch freisetzt:

    "Es ist nicht so leicht, da eine Vorhersage zu treffen. Die Kohlevorräte zum Beispiel werden noch einige Jahrhunderte reichen. Die Geschichte der fossilen Energienutzung muss also - sagen wir mal - nicht unbedingt am 1. Januar 2100 enden."

    Schätzungsweise fünf Milliarden Tonnen Kohlenstoff stecken in sämtlichen fossilen Energieressourcen. Was geschieht, wenn sie komplett verfeuert werden? Was geschieht, wenn mit ihrer Nutzung schon Mitte des Jahrhunderts Schluss ist? Dann landet man vielleicht nur bei einer Milliarde Tonnen freigesetztem Kohlenstoff. Das alles haben David Archer und Andrey Ganopolski im Klimamodell simuliert. Dabei zeigte sich: Das zusätzliche Kohlendioxid hat sogar die Potenz, die nächste Eiszeit aufzuschieben:

    "Der Eiszeit-Zyklus wird durch Veränderungen der Erdumlaufbahn bestimmt. Zur Zeit ist sie fast kreisrund. In 50.000 Jahren aber wird sie eine eher gestreckte, elliptische Form haben. Die Sonneneinstrahlung erreicht dann ein Minimum. In etwa 50.000 Jahren haben wir deshalb eigentlich mit der nächsten Eiszeit zu rechnen. Doch unsere Modellrechnungen zeigen jetzt: Das Kohlendioxid aus der fossilen Energienutzung wird den natürlichen Eiszeit-Zyklus verändern, und zwar selbst dann, wenn wir nur die eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff freisetzen. Dann beginnt die nächste Eiszeit nach unseren Simulationen erst in 100.000 Jahren. Wenn wir alle fossilen Ressourcen verbrauchen, wird sie sogar um 500.000 Jahre verzögert."

    Da ein Teil des Kohlendioxids so lange in der Atmosphäre - und klimawirksam - bleibt, wird es nicht kalt genug, um eine Eiszeit auszulösen. Der lange Atem der Treibhausgase verlängert die gegenwärtige Warmzeit - eine mögliche Langzeitwirkung, die man sich so noch nicht klar gemacht hat. Und die jetzt vielleicht Eingang in die Klimadiskussion findet.