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"Ich befürchte, für Cancún ist es zu spät"

Jürgen Trittin fordert, dass Deutschland und Europa beim Klimaschutz vorangehen. "Ohne eine Initiative aus europäischer Sicht in diese Richtung wird im internationalen Klimaprozess nichts geschehen", sagte der Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Georg Ehring | 28.11.2010
    Ehring: Herr Trittin, am Montag beginnt die Klimakonferenz in Cancún, und niemand redet mehr von einem neuen Klimaabkommen, das da beschlossen werden könnte. Es geht um Fortschritte in Teilbereichen, um Waldschutz, um Geld für die Anpassung an den unvermeidlichen Klimawandel. Scheitert da der grüne Traum, dass Deutschland und Europa vorangehen und die anderen hinterher kommen und die Welt gerettet wird?

    Trittin: Es ist im internationalen Klimaschutz immer nur etwas passiert, wenn Europa voranging. Und das hat Europa auch fast immer nur getan, wenn einzelne Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, vorangegangen sind. Das verweigert Deutschland zurzeit, Frau Merkel hat ja nicht nur im Verkehrsbereich blockiert – anspruchsvolle Verbrauchsobergrenzen für PKW, anspruchsvolle Verbrauchsobergrenzen für Kleinlaster –, sondern sie hat dezidiert verhindert, dass sich Europa festlegt darauf, bis zum Jahre 2020 dreißig Prozent seiner Treibhausgasemission einzusparen. Und leider gilt auch für schlechte Beispiele: Sie machen Schule. Und ohne eine Initiative aus europäischer Sicht in diese Richtung wird im internationalen Klimaprozess nichts geschehen.

    Ehring: Deutschland steht nach wie vor zu 40 Prozent CO2-Reduktion bis 2020. Der Umweltminister Röttgen hat sich kürzlich noch mal dafür ausgesprochen, auf 30 Prozent zu erhöhen. Das sind doch eigentlich andere Signale, als Sie jetzt der Bundesregierung unterstellen.

    Trittin: Nein, es geht ja um das, was die offizielle Verhandlungsposition Europas ist. Und diese offizielle Verhandlungsposition ist mit Zustimmung, oder um es noch genauer zu sagen, auf Betreiben Deutschlands zustande gekommen. Die EU-Kommissarin für Klimaschutz, Frau Hedegaard, beklagt sich bitter darüber, dass Deutschland ihren Vorschlag auf 30 Prozent–Reduktion selber und aktiv gehindert hat. Hier haben die kurzsichtigen Vorstellungen von Herrn Brüderle Regie geführt. Der hat dafür auch einen einleuchtenden Grund. Wenn er es schafft, 30 Prozent in Europa zu verhindern, hofft er eben auch, die 40 Prozent in Deutschland nicht machen zu müssen.

    Ehring: Kann sich Deutschland denn leisten, voranzugehen? Viele andere Staaten wollen erkennbar nicht mit, und Klimaschutz, auch wenn er langfristig Einsparungen bringt, ist zunächst einmal teuer. Dann gehen die Arbeitsplätze nach wo anders.

    Trittin: Natürlich kostet Klimaschutz Geld, wir wissen aber heute, was kein Klimaschutz kostet. Wenn wir das 2-Grad-Ziel erreichen wollen, so hat es Sir Nikolaus Stern ausgerechnet, dann kann das ein bis zwei Prozentpunkte vom weltweiten Bruttosozialprodukt kosten. Tun wir das nicht, lassen wir also zu, dass die Erde sich global erwärmt, dann kostet uns das zwischen fünf bis zu zwanzig Prozent - also ein Fünftel der weltweiten Wertschöpfung. Das kann man nicht ernsthaft als den billigeren Weg beschreiben. Und dass das Ganze nicht nur langfristig wirkt, kann man sehr gut in Deutschland beobachten. Der Einstieg in die erneuerbaren Energien, der viel schneller gegangen ist, als viele – mich eingeschlossen – geglaubt haben, dieser Einstieg hat in Deutschland alleine 340.000 Arbeitsplätze gebracht, hat nicht unsere Wettbewerbsfähigkeit gemindert, sondern gestärkt. Wenn Sie heute einen Hersteller von Windturbinen oder von Biogasanlagen oder von Photovoltaikanlagen fragen, dann sagt der: Ja, ich exportiere 70 Prozent meiner Produktion ins Ausland! Hier werden fahrlässig Marktchancen, Arbeitsplatzchancen für Deutschland aufs Spiel gesetzt, indem man verhindert ambitionierte Einführung neuer Technologie.

    Ehring: Kommen wir noch mal zurück auf Cancún. Wie kann Europa und wie könnte Deutschland da Bewegung reinbringen, dass die anderen Staaten mitziehen?

    Trittin: Ich befürchte, für Cancún ist es zu spät. Ich glaube aber, dass mit der Nachfolgekonferenz in Südafrika diese Blockadehaltung Europas überwunden werden muss. Europa muss mit einem klaren Aufschlag "Wir machen die 30 Prozent und unterlegen dieses mit konkreten Maßnahmen, wie wir das einmal vorbildlich für die Welt mit der Einführung des Emissionshandels gemacht haben, gehen wir diesen Weg voran". Dann wird es auch wieder Bewegung in diese Richtung geben. Mein Eindruck ist jetzt gerade, dass wichtige Schwellenländer wie Indien, die zurzeit einen sehr ambitionierten Umweltminister haben, sich sehr in diese Richtung bewegen. Aber auch China – den Boom der Photovoltaik-Industrie. Ich könnte hinzufügen den Boom auch bei der Windenergie. China ist inzwischen fast der wichtigste Markt der Welt – dass wir hier tatsächlich vorankommen, setzt aber beherzte Vorreiterrolle beim Politikgestalten voraus, anstatt zu blockieren, wie es Merkel, Röttgen und Brüderle tun.

    Ehring: Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, gerade so eine Vorreiterrolle anzunehmen – mit dem Energiekonzept, dass Sie vorgestellt haben: ein Übergang zu erneuerbaren Energien – 80 Prozent bis zum Jahr 2050. Warum kritisieren Sie das?

    Trittin: Nun, weil es erstens nicht stimmt und weil es zweitens ausweislich dieses Konzeptes das Wachstum der erneuerbaren Energien ausbremsen möchte. Wenn Sie das Konzept vergleichen mit den Meldungen, die Deutschland unter der gleichen Regierung, nicht unter einer anderen Regierung, nach Brüssel gemacht hat, stellen Sie fest: Die wollen die erneuerbaren Energien langsamer wachsen lassen als sie ursprünglich nach Brüssel gemeldet haben. Das hat einleuchtende Gründe. Wenn ich Altanlagen, wie Atomkraftwerke und neue Kohlekraftwerke die Netze verstopfen lasse, und das passiert heute schon, dann muss ich mich nicht wundern, wenn Investitionen, beispielsweise in große Windparks und andere Bereiche, langsamer fließen. Am Ende ihres Energiekonzepts steht ja die, wie ich finde, irre Idee, dass man 25 Prozent des Stroms künftig aus dem Ausland importieren will. Das heißt, die Bundesregierung plant, die erneuerbaren Energien im Wesentlichen im Ausland stattfinden zu lassen, anstatt die Wertschöpfung hier, wo wir eine leistungsfähige, die beste Industrie der Welt haben, stattfinden zu lassen. Und deswegen verbremst die Laufzeitverlängerung – ausweislich der eigenen Zahlen der Bundesregierung – die Erneuerbaren aus. Wir könnten und würden ohne Laufzeitverlängerung schneller auf höhere Anteile erneuerbarer Energien kommen und müssten weniger importieren – sagt nicht Jürgen Trittin, sagen die Energieszenarien der Bundesregierung.

    Ehring: Aber die Erneuerbaren sind immer noch ziemlich teuer, sonst bräuchte es das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht, sonst bräuchte es keine Einspeisevergütung, die garantiert ist. Dadurch steigt der Strompreis im nächsten Jahr für die Verbraucher auch sprunghaft. Vor allem bei der Photovoltaik sagen auch die Verbraucherzentralen: Das ist zu viel, das kann der normale Haushalt nicht mehr bezahlen. Muss man da nicht ein bisschen bremsen?

    Trittin: Die Preise steigen in keinem Verhältnis zu der Umlage. Die Preise steigen vor allem, weil vier große Unternehmen – RWE, E-On, Vattenfall und ENBW – faktisch den Markt beherrschen der Stromerzeugung. Die können an der Leipziger Strombörse teilweise Preise diktieren. Übrigens interessant: Schon da gibt es ganze Tage, wo der Windstrom billiger ist als der Marktpreis an der Leipziger Börse. Nein, wer ernsthaft sich um die Strompreishöhe bekümmert, der darf zwei Dinge nicht tun. Der darf nicht die Marktmacht dieser vier Großkonzerne, dieser faktischen Monopolisten stärken. Das macht man aber mit einer Laufzeitverlängerung, das führt zu weniger Wettbewerb, damit zu höheren Preisen. Und zweitens darf er eines nicht tun: Erneuerbare Energien aus dem Ausland importieren zu wollen, wie es die Bundesregierung vorhat. Denn überall im Ausland ist der Strom aus erneuerbaren Energien teurer als in Deutschland.

    Ehring: Der Engpass für die erneuerbaren Energien ist im Moment der Netzausbau. Technische Großprojekte, die die Bundesregierung vorantreiben möchte, Umweltverbände, also Ihre Klientel, setzen sich oft vor Ort bei aller Zustimmung im Grundsatz dann gegen ein konkretes Netzausbauprojekt ein. Müssten die Grünen da nicht sagen: Stopp, wir sind dafür, dass das ausgebaut wird, diese Initiativen sind nicht in unserem Sinne?

    Trittin: Das ist ein Märchen der Schwarzen, der CDU und der FDP, man kann es auch Lüge nennen. Das erste Gesetz zum beschleunigten Ausbau von Stromtrassen, übrigens auch die erste DENA-Netzstudie, habe ich als Umweltminister in Auftrag gegeben. Wer hat dieses Gesetz im Bundesrat mit seiner Mehrheit blockiert? Die Schwarzen und die Gelben. Und wenn ich mir anschaue, die Stromtrasse Wahle-Mecklar von Norddeutschland nach Hessen: Entlang dieser Stromtrasse gibt es serienweise Einsprüche, es gibt dramatische Appelle von CDU-Bürgermeistern an ihren CDU-Ministerpräsidenten, den Bau dieser Stromtrassen zu verhindern. Ich kenne aber zwei Stellungnahmen, die von Grünen stammen, nämlich aus der Stadt Göttingen – rot-grün – und aus dem Landkreis Göttingen – schwarz-grün. In beiden Stellungnahmen wird der Bau dieser Trasse befürwortet. Blockieren – und blockiert haben und bis heute blockieren den Ausbau der Netze die Schwarzen, nicht die Grünen.

    Ehring: Deutschland braucht ein Endlager, egal wie lange die Atomkraftwerke laufen. Und Sie erklären Gorleben für gescheitert, für nicht mehr durchsetzbar. Wie würden Sie ein Endlager finden?

    Trittin: So wie wir das in einem Gesetzentwurf vorgelegt haben, den übrigens die Schweiz zurzeit praktiziert: Eine ergebnisoffene Suche und ein Standortvergleich, das ist das, was CDU und CSU und FDP seit Jahren blockieren. Statt sich endlich auf den Weg zur Lösung des Atommüllproblems zu machen, produzieren sie mit der Laufzeitverlängerung Tausende von Tonnen zusätzlichen radioaktiven Mülls. Absurd.

    Ehring: Der neue Bundeshaushalt sieht eine Neuverschuldung vor von 48 Milliarden Euro. Das ist die zweithöchste Neuverschuldung bisher in Zeiten einer boomenden Konjunktur. Wie kommt Deutschland Ihrer Ansicht nach da runter?

    Trittin: Das hat damit zu tun, dass die Bundesregierung keinerlei Mut hat, selbst Mitnahmeeffekte bei Subventionen abzubauen. Es gibt allein im Bereich der Ökosteuer sechs Milliarden Subventionen durch reduzierte Steuersätze. Davon sind mindestens anderthalb Milliarden, sagt der Bundesfinanzminister, Mitnahmeeffekte, also die nicht begründet sind mit irgendetwas. Diese abzuschaffen haben CDU/CSU schlicht verweigert.

    Ehring: Die Grünen fordern in vielen Bereichen auch Ausgabenerhöhungen, beispielsweise Hartz IV rauf, mehr Geld für die Kommunen, mehr Geld für den Umweltschutz, Sie haben es gerade angesprochen. Wie soll das alles bezahlt werden?

    Trittin: Ich habe Ihnen gerade ein Beispiel genannt, wie wir eine Milliarde einsparen, um es zu anderen Zwecken zu verwenden. So haben wir unseren gesamten Haushalt gehalten. Wir haben unsere gesamten Vorschläge gegenfinanziert und kommen danach zu einer niedrigeren Nettokreditaufnahme. Nur, wenn man mal eben eineinhalb bis zwei Milliarden verschleudert für Subventionen bei der Ökosteuer, wenn man der Hotellerie, weil sie so nett immer für die FDP Parteispenden bezahlt, eine halbe Milliarde schenkt, dann muss man sich nicht wundern, dass man in diesen Bereichen in entsprechende Probleme kommt. Wir sagen, man muss Haushaltspolitik so betreiben, dass investiert wird in Klima, Bildung und Gerechtigkeit. Dafür müssen falsche Ausgaben beschränkt werden, dafür müssen schädliche Subventionen, zum Beispiel in einer Größenordnung von bis zu zehn Milliarden, abgebaut werden. Dann kann man auch unter Wahrung der Schuldenbremse umsteuern. Das ist Ziel einer vernünftigen Haushaltspolitik.

    Ehring: Aber das reicht doch nicht. Sie müssen am Ende dann die Steuern erhöhen ...

    Trittin: ... das behaupten Sie jetzt.

    Ehring: Sie sagen, das reicht?

    Trittin: Wir haben Ihnen mit unserem Haushaltsentwurf vorgelegt, wie es geht. Dass wir da drin auch etwas haben, was zum Beispiel einige Leute stören wird, da haben wir nie einen Hehl daraus gemacht. Wir halten einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent in Deutschland für absurd. Wir haben Nachbarländer um uns rum – wir vergleichen uns ja gerne mit Nachbarländern – von 60 Prozent. Warum kann man nicht auf 45 kommen? Das trifft nicht viele Menschen in diesem Land, sondern nur diejenigen, die sehr viel verdienen. Und da haben wir, glaube ich, eine große Bereitschaft mittlerweile auch von diesen Menschen, zu sagen: Ja, wir müssen uns an den Lasten dieser Gesellschaft mit beteiligen. In fast allen Ländern Europas drumrum wird es teurer.

    Ehring: Das heißt, Spitzensteuersatzerhöhung für die Reichen. Glauben Sie, dass die das gerne mitmachen?

    Trittin: Es gibt Reiche, die das vernünftig finden. Nur soll man den Effekt dann nicht überschätzen. Allein der Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen bringt mehr Geld als jede Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Deswegen ist uns Subventionsabbau, also echte Einsparung, wichtiger.

    Ehring: In Irland kann man derzeit besichtigen, was passiert, wenn die Schulden überhandnehmen. Was wäre das Rezept der Grünen für die grüne Insel?

    Trittin: In Irland kann man beobachten, was passiert, wenn man den Ratschlägen der FDP folgt. Irland ist uns jahrelang von der FDP als grünes, leuchtendes Beispiel vorgehalten worden. Ganz gute Möglichkeiten, bei der Mehrwertsteuer Sätze zu senken, ein Körperschaftssteuersatz von 12,5 Prozent – das ist uns hier als Rezept angeboten worden für Deutschland. Wozu hat das geführt? Es hat dazu geführt, dass in Irland sich eine gewaltige Bau- und Spekulationsblase im Bankenwesen aufgebaut hat. Diese hat eine so kritische Größe erreicht, dass die irischen Banken verstaatlicht werden mussten. Das waren private Schulden, nicht öffentliche Schulden. Irland hat immer als Staat gut gewirtschaftet. Und jetzt, durch dieses Rettungsmanöver für die Banken, steht der irische Staat kurz vor dem Kollaps. Das heißt, wir müssen Schluss machen mit einer Politik, wo innerhalb Europas gedacht wird, mit Steuerschlupflöchern, mit Steuerdumping sich Vorteile zu erschleichen, die dann regelmäßig in solche Krisen führen. Das ist die zentrale Lehre aus der Krise. In Irland muss zu einer Harmonisierung nicht nur der Währungspolitik, sondern zu einer Harmonisierung der Wirtschaftspolitik und zur Harmonisierung auch im Bereich der Steuerpolitik innerhalb der Europäischen Union kommen, sonst produziert man solche Krisen immer wieder.

    Ehring: Ist es denn richtig, jetzt den Rettungsschirm für Irland aufzuspannen und den für Portugal schon mal hervor zu holen?

    Trittin: Es ist richtig, dieses zu tun, weil andernfalls würden die Lasten für die irische Bevölkerung noch größer werden. Das ist doch eine relativ einfache Feststellung. Wenn die Iren aufgrund der Entwicklung auf den Finanzmärkten diese Zinssätze bezahlen müssten, erhöht sich ihr Sanierungsbedarf und damit der Spardruck und die einschneidenden Folgen für die irische Bevölkerung. Deswegen haben wir gesagt: Jawohl, man muss hier in dieser Situation solidarisch sein, aber man muss auch die Ursachen der Krise bekämpfen und kann nicht einfach so tun, als würde man ein vorübergehendes Loch stopfen. Ein solches Loch tritt immer wieder auf. Und übrigens, Deutschland ist da in einer spezifischen Verantwortung. Wir sagen, der griechische Staat hat über seine Verhältnisse gelebt, in Irland hat es eine mangelnde Finanzmarktaufsicht und ein Steuerdumping gegeben, in Spanien hat es eine völlig überbordende private Verschuldung gegeben. Wir zeigen immer auf andere. Alle diese Fakten sind richtig. Es gehört aber eine zusätzliche Information dazu. Welche Volkswirtschaft hat von diesen Defiziten am meisten profitiert? Es waren deutsche Waren und Dienstleistungen, die in Griechenland verkauft worden sind, es waren deutsche Unternehmen, die sich des Finanzplatzes Irland bedient haben, es waren übrigens auch deutsche Bauunternehmen, die am spanischen Bauboom profitiert haben. Das heißt, ein Gefälle, ein Ungleichgewicht innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auf der Ebene der Realwirtschaft muss langfristig beseitigt werden. Und das geht nur, wenn wir in Deutschland endlich eines angehen, was uns die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit seit Jahren predigt. Wir müssen unsere dramatische Schwäche bei der Binnennachfrage überwinden. Wir werden nicht weniger und wir sollen auch nicht weniger exportieren. Das ist nicht meine Auffassung. Da bin ich ganz anderer Auffassung als die US-Administration. Aber man kann nicht dauerhaft mit dieser Nachfrageschwäche und sinkenden Reallöhnen in Deutschland leben. Das verschärft das binnenwirtschaftliche Ungleichgewicht innerhalb der Europäischen Union.

    Ehring: Zum Thema Terrorismus: Die Terrorismusdrohung hat eine neue Stufe erreicht. Es gibt Informationen über geplante Anschläge. Muss man da nicht die Sicherheitsgesetze verschärfen?

    Trittin: Das ist immer das, was Christdemokraten als Erstes einfällt. Ich hätte eine viel einfachere Lösung. Zum Beispiel wenn man befürchtet, dass an Bord von Flugzeugen Bomben im Frachtgepäck geschmuggelt werden, dann muss man die Fracht kontrollieren und nicht nur Stichproben machen. Wenn man befürchtet, dass bestimmte Weihnachtsmärkte und andere öffentliche Orte nicht genügend gesichert werden, dann muss man mehr gut ausgebildete und gut ausgerüstete Polizisten haben. Da nützt Ihnen eine Gesetzesänderung überhaupt gar nichts. Nur, was passiert in Deutschland? Es gibt nach wie vor den Umstand, dass in Flugzeugen, in denen Passagiere sitzen, Fracht transportiert wird, die nicht kontrolliert worden ist. Während unsereiner sich jeden Kosmetikbeutel kontrollieren lassen muss, ist hinten im Frachtraum Fracht, die von niemandem, keiner Sicherheitsbehörde, kontrolliert worden ist. Was passiert in den Ländern? Massiver Personalabbau! Schauen Sie sich mal die Überstundenlisten unserer Polizei an. Das ist der Kern des Problems, an dem zu arbeiten ist, anstatt die ewigen Kalauer von Vorratsdatenspeicherung und Einsätzen der Bundeswehr im Inneren zu strapazieren, wie es einige in der CDU tun. Interessanterweise tut das ja der Bundesinnenminister nicht. Der hat gesagt, wir müssen uns diesem Problem stellen und er wolle diese Diskussion wegen der Ernsthaftigkeit der Bedrohung nicht mit Diskussionen über neue Gesetze belasten. Ich finde, Herr de Maizière hat da recht.

    Ehring: Die Grünen befinden sich in Umfragen derzeit im Höhenflug, punkten aber ganz stark mit der Gegnerschaft zu Stuttgart 21, Gegnerschaft gegen die Atomkraft, gegen Gorleben, jetzt auch gegen Olympia. Ist das eine Basis für die Regierungsbeteiligung der Zukunft?

    Trittin: Der Parteitag hat beschlossen ein Konzept, wie Deutschland mit einer Strategie der Energieeinsparung, der Steigerung der Energieeffizienz, mit mehr Wärmedämmung und mit dem Ausbau erneuerbarer Energien zu 100 Prozent sich erneuerbar versorgen können. Da sind wir die einzige Dafür-Partei. Alle anderen versuchen, das auszubremsen und sind dagegen. Wir haben auf dem Parteitag eine Bürgerversicherung beschlossen, die 80, 90 Prozent der gesetzlich Versicherten massiv entlasten wird, die Schluss macht mit einer Zweiklassenmedizin, wo diejenigen, die die Masse des Geldes ins Gesundheitssystem bringen, hinten anstehen müssen, während diejenigen, die gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit geringe Beiträge bezahlen, als Patienten erster Klasse behandelt werden. Das sind konkrete Veränderungen. Wir haben vorgeschlagen ein Konzept, wie wir unsere Gemeinden auf eine solide finanzielle Grundlage stellen, wie wir Schluss machen mit der Mangelverwaltung, die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen fast durchgehend an dieser Stelle prägt. Insofern brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir wissen, wo wir hin wollen. Dass man dabei gelegentlich auch von Dummerhaftigkeiten Abstand nehmen muss, das ist doch selbstverständlich. Es ist eine Dummerhaftigkeit, einen Bahnhof in Stuttgart unter die Erde zu verlegen, dann anschließend nicht nur weniger Gleise im Bahnhof, sondern noch weniger Gleise in der Zuführung zur Verfügung zu haben und zu glauben, das würde die Schiene stärken. Das stärkt nicht die Schiene, das schwächt die Schiene. Und es ist auch falsch und ein großer Irrtum zu glauben, es sei eine gute Tat für die Bahn, alles Geld, was man irgendwo noch an Investitionsmittel hat, in Stuttgart 21 dafür zu vergraben, dass dort ein neuer Stadtteil entstehen kann, während die dringenden Investitionsmittel für die Anbindung des Hamburger Hafens an das norddeutsche Schienennetz, für den Ausbau der Rheintalbahn, wo für all diese Dinge dann anschließend kein Geld mehr ist. Wir Grünen wissen schon, wofür wir sind. Aber wenn wir für etwas sind, dann müssen wir auch sagen, wo wir gegen sind, weil das Geldverschwendung darstellt.

    Ehring: Die CDU debattiert derzeit über den Umgang mit den Grünen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt Schwarz-Grün für tot. Umweltminister Röttgen will die Tür nicht so ganz zuschlagen. Wie denken Sie denn über die Kooperation mit den Schwarzen?

    Trittin: Herr Röttgen hat die Tür zugeschlagen. Er ist als Minister dafür verantwortlich, dass mit einem verfassungswidrigen Gesetz am Bundesrat vorbei mit einer Absenkung von Sicherheitsstandards mit der Überantwortung der Sicherheit von Atomanlagen an einen ehemaligen Manager eines Atomkraftwerksbetreibers in der Energiepolitik in Deutschland die Rolle rückwärts organisiert werden soll. Das ist eine Absage an die Grünen. Das kann man in dieser Ruhe so feststellen. Wir haben uns das nicht ausgesucht, wir haben es der CDU nicht empfohlen, sie hat es gemacht. Und jeder muss wissen, wer mit Grünen Politik machen will, der muss sich von solchen Vorstellungen schlicht und ergreifend verabschieden.

    Ehring: Heißt das, für Sie ist Rot-Grün die Option der Zukunft?

    Trittin: Ich kann mir auch Orte und Gegenden vorstellen, wo Grün-Rot die Zukunft ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir in mehr Städten eine Situation haben wie in Koblenz oder in Freiburg, wo wir mittlerweile die Oberbürgermeister stellen. Wir definieren uns als Grüne nicht über Koalitionen, sondern über Inhalte. Die Grünen sind die Partei der Bürgerrechte, des Klimaschutzes, der ökologischen Erneuerung und der sozialen wie der Generationengerechtigkeit. Wer da mitmachen will, ist als Koalitionspartner willkommen. Wer das Gegenteil will, der muss sich nicht wundern, wenn wir gegen ihn sind. Da sind wir dann ganz stolz, dagegen zu sein, denn wer die Erde zulasten unserer Kinder organisiert, der hat alle Opposition verdient, die man aufbringen kann.

    Ehring: Herzlichen Dank für das Gespräch.