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"Ich bin dafür, dass die Grünen ernsthaft sondieren"

SPD und Grüne stehen vor Sondierungsgesprächen mit der Union. Beide würden allerdings auch die damit verbundenen Risiken erkennen, sagt der Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks. Denn es gebe nicht nur politische, sondern auch kulturelle Differenzen.

Ralf Fücks im Gespräch mit Jürgen Liminski | 28.09.2013
    Jürgen Liminski: Die SPD hat sich auf eine Mitgliederbefragung nach möglichen Gesprächen oder Verhandlungen mit der Union geeinigt und auch die Grünen stehen jetzt vor ähnlichen Entscheidungen, sollen sie den Sirenenklängen aus der Union folgen und in eine Koalition mit CDU/CSU einwilligen oder lieber in der Opposition bleiben als kleinste Partei im Bundestag? Gestern wurde darüber beraten, bis in den Abend, heute gehen die Beratungen weiter, auch personell ordnen sich die Verhältnisse neu, offensichtlich auch mit Blick auf Gespräche mit der Union. Es sind aber inhaltliche Fragen, die das entscheiden, und da ist der Weg noch lang und nicht ganz übersichtlich. Am Telefon ist der Vorsitzende der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks. Mit ihm wollen wir mal einen Blick nach vorne wagen und im Nebel stochern. Guten Morgen, Herr Fücks!

    Ralf Fücks: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Fücks, darf ich Ihnen mal einen kleinen O-Ton der vielleicht künftigen Partnerin vorspielen?

    Fücks: Ich bin gespannt!

    O-Ton Angela Merkel: Auch keine schwarz-grüne Koalition! Das sind Illusionen, das sind Hirngespinste!

    Liminski: Sie haben die künftige Partnerin erkannt, Frau Merkel. Sehen Sie das auch so, ist das für Sie eine Phantomdebatte?

    Fücks: Ja, Schwarz-Grün hat schon Züge einer Fata Morgana. Wenn man denkt, jetzt ist es zum Greifen nahe, dann löst sich das wieder auf und verschwindet am Horizont. Und für Grüne und SPD gilt ja gegenwärtig, dass sie es sich gegenseitig zurufen, Hannemann, geh du voran! Also, für beide Parteien scheinen die Risiken einer Koalition mit der Union größer zu sein als die Hoffnung auf politische Gestaltung. Dafür gibt es ja auch gute Gründe aufseiten der Grünen, wir haben einen scharfen Anti-Merkel-Wahlkampf geführt, wir haben uns in der Steuer- und Sozialpolitik links von der SPD aufgestellt, es gibt viele andere kulturelle und politische Differenzen, Stichwort Bürgerversicherung oder Betreuungsgeld oder Massentierhaltung. Also, das wäre schon ein Ritt über den Bodensee und es ist noch nicht zu sehen, wie man da politisch zusammenkommen soll.

    Liminski: Inhalte entscheiden, dazu kommen wir vielleicht gleich noch mal. Wenn man aber an die Anfänge der Grünen zurückdenkt, dann findet man auch Wurzeln bei der CDU, Stichwort Herbert Gruhl, Schöpfung bewahren. Kann es ein "back to the roots", ein Zurück zu den Ursprüngen geben?

    Fücks: Ja, die Grünen sind ja angetreten mit der Parole, nicht rechts, nicht links, sondern vorn. Und ich gehöre zu denen, die es auch nicht richtig finden, dass wir uns fest im linken Lager verzurren, und schon gar nicht, dass wir uns über Koalitionspartner definieren. Also, als rot-grüne Bindestrichpartei. Aber es liegen eben doch enorme Differenzen und vor allem ist die Partei mental gar nicht eingestellt. Wenn sie vor der Wahl Schwarz-Grün doch ausgeschlossen haben, zwar nicht formal, aber politisch immer wieder gesagt haben, das wollen wir nicht, das können wir uns nicht vorstellen, dann haben sie ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie nach der Wahl den Kurs wechseln. Und dafür müsste es schon sehr, sehr gute Gründe geben. Frau Merkel müsste den Grünen doch in ganz zentralen Punkten programmatisch entgegenkommen, ich nenne nur mal die Stichworte Energiewende oder eine solidarische europäische Finanzpolitik, Massentierhaltung. Und das sehe ich nicht, dass sie so weit uns entgegenkommen kann, von der Steuerpolitik ganz zu schweigen. Es gab ja gute Gründe dafür, dass die Grünen gesagt haben, wir wollen eine höhere Einkommenssteuer, wir wollen auch eine moderate Vermögensabgabe, die zwar die Betriebsvermögen schont, aber die Besitzenden mit den hohen Vermögen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens mit heranzieht. Wir haben da übertrieben, zu viel auf einmal in der Steuerpolitik, aber dass wir eine gerechtere Steuerverteilung brauchen und dass wir auch mehr staatliche Einnahmen brauchen zur Finanzierung für Infrastruktur und Bildung, das ist für uns keine Frage.

    Liminski: In der Steuerfrage hat die Union ja diese Woche schon Lockerungsübungen vollzogen. Wenn nun die Union, was Sie andeuten als unüberwindliche Hürden oder unverzichtbare Positionen, auch überwindet und vielleicht doch, es ist ja nicht ganz unmöglich, dass die Kanzlerin sozusagen all diese Hürden nimmt und Kröten schluckt, sie hat ja auch bei der Wehrpflicht und bei der Atomkraft und so weiter Kurven genommen, halten Sie es da nicht doch möglich, dass man sozusagen diese mentalen Barrieren, von denen Sie sprechen, auch überwindet?

    Fücks: Jede Entscheidung über einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag, selbst über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, wäre für die Grünen sicher ein Ritt über den Bodensee auf einem Bundesparteitag. Man muss allerdings auch darüber ernsthaft sprechen, was die Alternative ist, nämlich eine Große Koalition. Das halte ich auch unter Gesichtspunkten der demokratischen, politischen Kultur für alles andere als wünschenswert. Eine Koalition mit einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit, mit einer kleinen, marginalisierten Opposition im Bundestag! Und auch wenn man bedenkt, was in den nächsten vier Jahren alles politisch auf dem Spiel steht, die Zukunft der Energiewende, des gesellschaftlichen Kernprojekts der Grünen, die Frage, wie geht es weiter in Europa, mehr politische Integration oder driftet Europa auseinander, Bürgerrechte im Netz, im Internet … Das sind schon Fragen, bei denen man ernsthaft zumindest ausloten muss, ob nicht doch eine Alternative zur Großen Koalition besteht. Also, ich bin dafür, dass die Grünen ernsthaft sondieren und nicht mit einer Haltung in Sondierungsgespräche gehen, das wird sowieso nichts und das wollen wir auch gar nicht, das wäre unpolitisch.

    Liminski: Aber höre ich hier heraus, dass Sie auch nach anderen Alternativen suchen? Wenn Sie sagen, Große Koalition ist demokratisch-, ist für die Demokratie nicht gesund, oder Schwarz-Grün ist nicht gut? Sehen Sie da vielleicht sogar eine Alternative links von der Mitte, also mit Rot-Rot-Grün?

    Fücks: Die sehe ich gegenwärtig nicht. Das ist ja sowohl von der SPD wie von den Grünen vor der Wahl sehr klar gesagt worden, dass man einer Linkspartei, die einen antieuropäischen Kurs steuert, die sich gegen die internationale Verantwortung der Bundesrepublik im Rahmen der Vereinten Nationen wendet, die eine völlig abenteuerliche Haushalts- und Finanzpolitik vorschlägt, mit der ist kein Staat zu machen.

    Liminski: Dann blieben eigentlich nur noch Neuwahlen übrig?

    Fücks: Nein, ich sagte ja bereits, dass ich dafür bin, die Möglichkeiten der jetzigen politischen Konstellation ernsthaft auszuloten. Und dann wird man sich entscheiden müssen, ob es eine Koalitionsoption gibt oder ob es sie nicht gibt. Parteien müssen den Wählerauftrag ernst nehmen. Weil die Wählerinnen und Wähler, die entscheiden über die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag und das ist dann eine Situation, mit der sowohl SPD wie Grüne verantwortlich umgehen müssen.

    Liminski: Also ernsthafte Gespräche, dann dazu mal die die andere Frage, nämlich die Zeitschiene! Eben hat der SPD-Politiker Pronold in dieser Sendung gesagt, Parallelverhandlungen der Union mit der SPD auf der einen und den Grünen auf der anderen kommen nicht infrage, die Union müsse sich da vorher entscheiden. Ist das auch Ihre Position?

    Fücks: Ich denke, das entspricht den parlamentarisch-politischen Gepflogenheiten. Ich gehe mal davon aus, dass die Bundeskanzlerin mit beiden Parteien zunächst Sondierungsgespräche führen wird und dann einen Vorschlag machen wird, mit welcher Partei sie als Erste in Koalitionsverhandlungen eintreten will. Und ich gehe mal davon aus, dass das die SPD sein wird.

    Liminski: Ernsthafte Gespräche führen, das war der Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Fücks!

    Fücks: Ich danke!


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