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"Ich bin die erste Generation, die erwachsenen Hip-Hop definieren muss"

Bekannt wurde Max Herre mit der Hip-Hop-Band Freundeskreis. Doch er machte auch als Solokünstler mit Soulpop von sich reden. Nun hat er sein drittes Soloalbum "Hallo Welt" rausgebracht, was ihn wieder zu seinen Hip-Hop-Wurzeln zurückbringt.

Das Gespräch führte Kerstin Janse | 23.08.2012
    Max Herre: "Ich glaub, dass sich Hip-Hop ein Stück wieder geöffnet hat - die letzten Jahre.
    Das ist jetzt nicht das Genre per se, sondern das sind Leute, die das machen.
    Materia ist ein Künstler, der dafür steht. Der zum Beispiel musikalisch mal nach England aufgemacht hat und viel so Crime-Einflüsse und elektronische Musik aus England eigentlich da hat einfließen lassen. Casper hat ein sehr erfolgreiches Album letztes Jahr gehabt - mit Indierock Einflüssen spielt und sich deshalb auch geöffnet hat und für Leute, die eigentlich so Indiemusik hören, interessant wurde.

    Es gibt das Phänomen Cro - dieses Jahr - ein junger MC aus dem Großraum Stuttgart, der ein wahnsinniges Händchen hat für Poprefrains. Ich glaub, dass Hip-Hop immer dann spannend wird, wenn es eben nicht so selbstreferenziell ist, sondern wenn es sich öffnet, in andere Musik auch rein und thematisch nicht nur um sich selbst kreist. Und ich glaub, dass ist so in den letzten paar Jahren wieder vermehrt der Fall und deshalb ist es für Leute außerhalb dieser Hip-Hop-Bewegung auch vielleicht wieder spannender."

    Kerstin Janse: Sie selber haben ja auch den Weg zurück gesucht. Also es war zwischendurch gesanglich anders angelegt. War das das Feeling dafür, dass diese Renaissance ansteht oder war das ein ganz persönliches Bedürfnis "Back to the Roots"?

    Herre: Das ist ein persönliches Bedürfnis gewesen. Also für mich ist es auch nicht so sehr ein zurück, sondern ein nach vorne und es ist eher so, wenn ich über das letzte Album rede, ich sag das war auf dem Weg dahin zu so einem Gesangsalbum. Ich hab ein Folk-, ein akustisches Album gemacht und ich hab mich jetzt wieder mit diesem Album überhaupt nicht auf irgendwas festgelegt. Wie gesagt, alles was da kommt ist erlaubt und das pack ich auf diese Platte.

    Janse: Sie sind in Stuttgart geboren, aber sowohl auf den CDs wie aber besonders auf der Bühne, klingen Sie im Gesang und auch bei den Stageansagen eher wie ein Rapper mit Migrationshintergrund. Warum?

    Herre: Das haben Sie jetzt so gesagt. Das weiß ich nicht warum.

    Janse: Ist das ein anderer Max auf der Bühne?

    Herre: Nein - Ja natürlich ist man nicht ein - also natürlich ist man immer die eine Person, aber man hat viele Facetten. Also ich glaub, dass wenn man mich so trifft ich eher zurückhaltend bin, aber die Bühne lässt diesen Platz nicht. Wenn man sich entscheidet, diesen Schritt da raus zu machen, muss man auch die Flucht nach vorn antreten. Und dann gibt es diesen Schalter, den hab ich in mir, den leg ich um und dann ist es auch diese Art von Entertainment und sich nach vorne stellen an die Bühnenkante. Wie wir angefangen haben Rapmusik zu machen und auch dann die frühen Freundeskreiszeiten - uns war wichtig Rap zu machen in deutscher Sprache, aber nicht deutschen Rap zu machen.

    Also diese Musikalität nach vorne zu stellen. Das hieß für mich vielleicht auch sprachlich, es so zu machen, dass es diese Härte, die Deutsch oft nachgesagt wird als Sprache und dieses stockige - das irgendwie rauszubekommen und diese Sprache in den Fluss in die Melodie zu bekommen.

    Vielleicht ist das, was man da hört und was man eher verbindet mit Leuten mit einem Migrationshintergrund. Ansonsten, ich glaub wir haben in Stuttgart so einen bestimmten Stil denn, wenn man "Tua" hört oder "Cro" hört. Und da werden die "Ei's" auf eine bestimmte Art und Weise gesprochen und die "S" werden auch auf eine bestimmte Art und Weise gesprochen. Keine Ahnung, ob das so war, dass ich das etabliert hab und die Jüngeren haben das so aufgegriffen, oder das das eben - was wir so sagen würden - so ein süddeutscher Swag ist.

    Janse: Können Sie Schwäbisch?

    Herre: Ich kann Schwäbisch nicht wahnsinnig gut, aber also für jemanden, der nicht aus dem Schwabenland ist, kann ich es sehr gut. Ich meine, diese Dialekte leben ja alle sehr davon, dass man halt auch den richtigen Spruch zur richten Zeit platziert - da bin ich jetzt nicht so wahnsinnig begabt drin. Ei bin scho a Schwabe, aber nicht so ein richtiger von der Alb.

    Janse: In Stuttgart auf der Bühne passiert einem das nicht, das man dann tatsächlich auch mal in das Muttersprachliche verfällt?

    Herre: Ja aber meine Muttersprache ist eben nicht Schwäbisch, weil meine Mutter aus einer Berliner Familie ist, in sofern nee, auch wenn man es macht hat es auch immer was von Persiflage.

    Janse: Ich hab das Album nicht nur einmal, ich hab es mehrfach inzwischen gehört und ich muss sagen es ist was so Verweise, Zitate, Lebensweisheiten angeht - ja jede Zeile hat was, jede Zeile liefert mir den Ansatz - darüber sollte ich nachdenken und dann bin ich außer Atem nach sechs, sieben Songs habe ich das Gefühl "puh" - ist es vielleicht zu viel Message?

    Herre: Das muss, kann ich nicht bewerten, also für mich ist es das nicht. Ich denk Rap ist was sehr Komprimiertes, es gibt viel Text, aber wir nennen es Rap-Punchlines. Eine Punchline ist eine Zeile, die für sich stehend eben schon ein Statement ist. Und ich glaub als MC ist man dann gut, wenn man es schafft, da eine relative Dichte entstehen zu lassen. Klar man kann sich diese Texte nehmen und dann das wirklich Line für Line studieren und sich mit jedem Gedanken auseinanderzusetzen, aber für mich ist es erstmal Musik.

    Janse: Also ist es völlig ok, wenn man das Album hört, wenn man bei einem Titel, der eigentlich eine sehr intensive Kernaussage hat, trotzdem nur chillt oder sich zurücklehnt und den Sound genießt?

    Herre: Definitiv, also ich bin ja Musiker und kein Lyriker. Also ich mach auf Musik Lyrik und das Rap - durch Dylan sagt man ja eigentlich immer, oder mit Dylan kam eigentlich die Idee auf, dass das Lied das Gedicht des 20. Jahrhundert ist. Und ich finde das nicht soo hochtrabend - also Lines wie "Ach so schön ist Panama" - ich glaub das kann man einfach auch so wirken lassen ohne..

    Janse: Ja aber da würde manch einer wieder sagen Panama bezieht sich schon wieder auf den Anfang des Textes und da könnte man schon wieder Literaturwissenschaften, Seminare drüber abhalten.

    Herre: Ich war sehr stolz, ich war ja auf der Lit-Cologne eingeladen, da ging es wirklich darum, die Texte zu lesen und die Musik wegzulassen. Und das war ein Experiment für mich, ob das funktioniert - ich glaub die meisten Leute im Publikum waren Leute, die die Musik auch kannten und da entstehen zum Teil sehr witzige Momente. Also vor allem mit den Songs, die man vor einer Weile geschrieben hat, wo man auch denkt ok - also, es hat jetzt nicht alles immer Bestand.

    Janse: Ich glaube, Musik soll ja auch die Gegenwart spiegeln und wird dann in zehn Jahren schon ganz anders wieder betrachtet. Ist das ein Grund, weshalb Sie so viel Gastmusiker und speziell auch so sehr viel junge Leute um sich gescharrt haben für diese Produktion. Ich meine, mit Cro jetzt gemeinsam was zu machen, da würde manch einer sagen - ja das ist ja der Megastar im Moment warum ist der jetzt da auch noch? Oder ist das die Stuttgart-Connection?

    Herre: Das ist die Stuttgart-Connection. Er war dieser Star natürlich nicht, man muss wissen, eine Platte wird ja aufgenommen, bevor sie herausgebracht wird und dann manchmal entwickeln sich Dinge in bestimmte Richtungen und ich freu mich sehr für ihn. Mir war schon wichtig irgendwas zu machen, was im hier und jetzt ist. Ich bin ein Musiker, der das eine Weile macht und auch dieses Genre gibt's inzwischen eine Weile und man läuft natürlich Gefahr, wenn man ein Hip-Hop-Musiker der ersten Stunde ist, dass die Leute irgendwie das Gefühl haben, man lässt jetzt irgendwas aufleben, was zurückliegt und ich wollte es schon im Jetzt verorten und sagen: Es gibt eben junge Musiker, die diese Fackel weitergetragen haben und die jetzt tolle Sachen machen und mit denen wollte ich mich affiliieren.

    Janse: Nächstes Jahr, das sind wir schon beim Thema, werden Sie 40 Jahre alt. Wie lange kann man diese Jugendkultur denn noch selber authentisch rüberbringen?

    Herre: Haben Sie das die Stones schon mal gefragt?

    Janse: Ja.

    Herre: Oder John Lee Hooker, oder Leonard Cohen?

    Janse: Ja - wie authentisch ist denn ein Mick Jagger für sie?

    Herre: Ja ich finde das ist genau der Unterschied zwischen jemanden wie Dylan und Mick Jagger. Mick Jagger ist jemand der irgendwie versucht zu konservieren, was er mit 25 Jahren gemacht hat. Während jemand wie Dylan oder Leonard Cohen oder James Taylor einfach gewachsen sind mit ihrer Musik und ihre Aussagen und ich denke, das ist ein Vorwurf, also, den seh ich für mich nicht so, ich finde es für mich interessant, weil das Genre ist einfach jung. Ich bin die erste Generation, die definieren muss, was ist erwachsener Hip-Hop und wie holt man dieses Genre aus dieser Jungendkultur auch raus. Ich denk, man kann es nur machen, in dem man es macht. So und das ist eine Platte, mit der ich es mache. Ich glaub die Themen sind sehr altersgemäß würde ich mal sagen, was nicht heißt, dass es nicht interessant sein kann für nen 19- oder 20-jährigen, aber ich denke - das ist eben nicht genau mein Weg, irgendwie so zu tun, als wäre ich noch 19. Aber es ist eben auch so, dass ich Vater bin, ich hab einen 12-jährigen Sohn, der hört halt einfach gerne grade die gleiche Musik und trägt manchmal den gleichen Turnschuh und ich muss auch nicht so tun, als wäre es nicht so.

    Janse: 12-jähriger Sohn, ist das auch der, der zu hören ist bei einem Song am Ende, ich glaube "1992" der Song?

    Herre: Ne, das ist der 9-Jährige.

    Janse: Ah der 9-Jährige.

    Herre: Genau

    Janse: Also ist da doch auch die Familie mit integriert, das ist ja eh kein Geheimnis. Aber Stichwort Wertevermittlung bei Kindern, was wäre Ihnen wichtig, den Kindern mit auf dem Weg zu geben, was Wertvorstellungen angeht?

    Herre: Na ich denke, was man seinen Kindern mitgibt ist ein Fundament und ist natürlich eine Idee, ein Stück weit von Dingen, die man falsch und richtig findet. Aber ich merke es bei dem Großen, irgendwann lässt man die ziehen und dann - ich erinnere mich an die Zeit, als ich dann so rausgegangen bin und ich hatte schon das Gefühl, meine Eltern sind irgendwie, die sind mit dabei. Die sind so im Hinterkopf bei bestimmten Entscheidungen, die man trifft so im Leben. Man prüft sich so und hört natürlich auch seine Eltern reden. Ich denk das ist was, was meine Kinder sicher auch mitnehmen.
    Janse: Danke für das Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.