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"Ich bin für Deutschland, solange sie nicht gegen die USA spielen"

Drei Wochen lang dauert die Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Einer, der viele Spiele sehen wird, ist Philip D. Murphy. Der US-Botschafter in Deutschland ist ein großer Fußball-Fan und selbst Besitzer eines Frauenfußball-Profiteams in den USA: Ihm gehören 75 Prozent des Sky Blue FC aus New Jersey.

Philip D. Murphy im Gespräch mit Moritz Küpper | 26.06.2011
    Murphy, 1957 in der Nähe von Boston geboren, ist seit September 2009 Botschafter der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland. Zuvor arbeitete der Vater dreier Kinder bei Investment-Bank Goldmann Sachs. Von 1993 bis 1997 leitete Murphy das Frankfurter Büro des Unternehmens, aus dem er 2006 ausschied. Im Sportgespräch spricht Murphy über seine Erwartungen an diese WM, das besondere Duell der USA gegen Nordkorea und erklärt, warum in Amerika andere Sportarten als in Europa populär sind.

    Moritz Küpper: Seine Excellenz, die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland läuft, hat begonnen. Fußball hat in Deutschland einen großen Stellenwert - auch für einen US-Botschafter?
    Philip D. Murphy: Absolut. Es gibt in Deutschland die Annahme, dass Fußball in den USA keine große Sache ist. Aber genau das ist es: Unsere Frauen sind die Nummer eins in der Welt, unsere Männer sind wettbewerbsfähig, konstant unter den besten 20 Teams, aber - noch wichtiger - Millionen Kinder in den USA spielen Fußball. Es ist die Nummer eins unter den registrierten Sportarten. In den USA muss man sich für den Sport registrieren. Und da ist der Fußball jetzt schon seit Jahren die Nummer eins - und wächst noch weiter. Das ist wirklich eine große Sache, genauso wie die Frauenfußball-Weltmeisterschaft. Das Spiel heute, alle Spiele in diesem Turnier werden in den USA in unserem großen Sport-Fernsehanstalt ESPN übertragen - und viele, viele Amerikaner werden das gucken.

    Küpper: Wie wird ein US-Botschafter das Turnier verfolgen? Werden Sie häufig im Stadion sein?
    Murphy: Ja, ich bin im Stadion ... Das ist deutsch: Ja, ich bin in Stadien für viele Spiele. Heute, alle amerikanische Spiele und andere auch und das Endspiel in Frankfurt auch.

    Küpper: Wir können gerne so weitermachen, aber sie können natürlich auch gerne Englisch sprechen: Sie haben gesagt, die USA sind die Nummer eins, da werden hier in Deutschland natürlich ein paar widersprechen, werden sagen, Deutschland ist die Nummer eins, wir werden sehen, wer am Ende gewinnt. Was glauben Sie? Welche Teams werden vorne landen?
    Murphy: Wir sind die Nummer eins - aber es ist keine Frage, dass Deutschland der Favorit ist. Das sind sie einfach: Sie sind unter den zwei-drei besten Teams der Welt, sie sind der Titelverteidiger, der zweifache Titelverteidiger - und das auch noch hintereinander ... Und man nimmt jemanden nicht einfach so den Weltmeistertitel weg, vor allem nicht in seinem Land. Deutschland ist sehr, sehr stark. Wir sind stark. Insgesamt ist es ein sehr stark besetztes Turnier. Ich denke, dass dieses Feld mit 16 Mannschaften das stärkste Feld ist, was je um den Frauen-Weltmeisterschaftstitel gespielt hat. Noch mal: Wir sind stark, wir sind einer der Favoriten. Aber Deutschland ist natürlich auch einer der Favoriten

    Küpper: Was erwarten Sie von dem U.S.-Team?
    Murphy: Die gute Nachricht ist: Wir haben nur zwei Spiele verloren - in den letzten vier Jahren. Das heißt: Typischerweise gewinnen wir. Die weniger gute Nachricht ist allerdings: Wir hatten es schwer in der Qualifikation. Unser erstes Spiel wird am Dienstag sein, in Dresden, gegen Nordkorea. Ich freue mich sehr darauf, unser Team zu sehen. Ich habe die Mannschaft seit anderthalb Jahren nicht mehr live gesehen ... Wie viele Mannschaften, auch wie Deutschland, versuchen wir eine neue Generation von Spielerinnen zu integrieren. Wir haben einige unserer großen, erfahrenen Spielerinnen wie beispielsweise Abby Wambach, aber wir haben jetzt einige junge Frauen dabei. Es wird die große Herausforderung sein, den richtigen Mix zu finden. Die Mischung zwischen Erfahrung und der Energie der Jugend. Das ist eine Herausforderung. Wie gesagt, für Deutschland ist die Situation ähnlich. Brasilien hat eine sehr gute Mannschaft, die ebenfalls einige junge Spielerinnen haben. Wir werden jedes Spiel so spielen, als wäre es unser letztes. Wir haben eine schwere Gruppe, die körperlich, physisch sehr stark ist. Nordkorea beispielsweise ist bekannt für seine Fitness, das wird eine physische Herausforderung. Schweden ist einfach traditionell gut in dieser Sportart und Kolumbien kenne ich nicht so gut, aber ich habe nur gutes über sie gehört. Das wird ein schweres Turnier. Ich bin optimistisch, aber nicht euphorisch.

    Küpper: Sie haben das Spiel gegen Nordkorea angesprochen: Nordkorea gegen die USA ist ja nicht nur ein Fußballspiel, sondern auch ein Aufeinandertreffen von zwei Staaten, die sich nicht unbedingt freundschaftlich gegenüberstehen, wo es zumindest auch Spannungen gibt. Ist das etwas besonderes?
    Murphy: Ich würde nicht sagen, dass es einzigartig ist, aber ich habe nicht so viele Fälle in der Vergangenheit gefunden, in denen wir uns sportlich mit Nordkorea gemessen haben. Da wird es sicherlich einige Beispiele geben, aber nicht viele. Von daher: Wenn man gegen eine Mannschaft spielt, gegen die man noch nie oder selten gespielt hat, dann ist das etwas besonderes und, wie Sie sagen, auch ein bisschen mehr, da es auch abseits des Sports eine Geschichte zu diesem Spiel gibt. Wir werden dieses Spiel am Dienstag mit Würde angehen. Es wir schwer werden, aber ich bin optimistisch, aber noch mal: Es wird ein schweres Spiel werden.

    Küpper: Aber es hat keine politische Komponente?
    Murphy: Nein, ich würde eher sagen, dass es ein Spiel mit Seltenheitswert ist. Wie gesagt, wir werden stolz in dieses Spiel gehen. Ich werde mit meiner ganzen Familie da sein und ich kann Ihnen sagen: Wir werden uns ganz auf das Spiel konzentrieren. Ob es jetzt eine politische Komponente hat oder ein politischer Gegner ist: Wir werden dahin fahren, um das Spiel zu sehen und freuen uns schon sehr darauf.

    Küpper: Sie haben gesagt, dass sie alle Spiele der amerikanischen Nationalmannschaft im Stadion sehen werden, einige mehr wahrscheinlich auch noch ...
    Murphy: ... hoffentlich viel mehr, hoffentlich viel mehr.

    Küpper: Gibt es eine Chance - die Organisationschefin der WM, Steffi Jones, hat ja davon gesprochen, geträumt, dass der US-Präsident zum Finale kommt, sollte, wenn die USA - und wenn ich ihren Worten glauben darf, dann ziehen die USA ja ins Finale ein - im Endspiel stehen. Glauben Sie, dass es da eine Chance gibt?
    Murphy: Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung. Er ist ein großer Fan, ein großer Fan des Sports. Seine Töchter, das wissen wir ja, spielen Fußball. Er selbst ist auch ein großer Sportler. Beim Programm der First Lady geht es vor allem um Fitness und darum, unsere amerikanischen Kinder in Form zu bekommen. Also, ich bin sicher, dass er sehr gerne dabei wäre, aber wie immer, ist es eine Frage, was sonst noch los ist in der Welt. Und in diesen Tagen passiert sehr viel, so dass es kompliziert ist. Es geht nicht darum, dass er nicht kommen wollen würde, aber ... Noch mal: Er liebt den Sport, seine Töchter spielen Fußball, es gibt also viele Gründe, warum er gerne kommen würde. Aber, man weiß nicht, was aktuell los sein wird, welche Herausforderungen er sich in seiner Funktion und seinem Leben stellen muss.

    Küpper: Also, sie können uns keine Hoffnung machen, aber eventuell ...
    Murphy: Wer weiß es schon. Ich habe keine Insiderkenntnisse. Meine erste Hoffnung wäre, dass wir es ins Finale schaffen, darauf konzentriere ich mich, dass wir Erfolg haben in unseren Spielen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, dass wir erfolgreich sein auf dem Platz, alles andere sollten wir erst einmal bei Seite lassen.

    Küpper: Steffi Jones habe ich gerade schon angesprochen, die Präsidentin des Organisationskomitees, die hier die Weltmeisterschaft organisiert, hat ja auch einen besonderen Bezug zu den USA. Haben Sie sich schon getroffen? Ich meine, die Begeisterung für Fußball teilen sie ja beide ...
    Murphy: Sie ist eine sehr gute Freundin. Tatsächlich haben wir gerade erst ein Abendessen zu ihren Ehren bei ihr zuhause in Berlin gehabt. Sie hat eine tolle persönliche Geschichte und, wie Sie gesagt haben, sie hat eine amerikanische Seite in ihrem Leben und eine deutsche Seite. Sie war Fußballprofi in den USA, für Washington - und war super. Aber das wichtigste ist, dass sie und ihr Team einen super Job machen, diese Weltmeisterschaft zu organisieren. Die Anzahl der verkauften Eintrittskarten, die Art und Weise, wie sie um die Welt gereist ist: Sie war ja in allen Ländern, die sich qualifiziert haben. Sie ist eine tolle Botschafterin für den Sport und für diese WM. Ich bewundere sie als Person, als Freundin, aber auch für ihre Arbeit rund um diese Weltmeisterschaft.

    Küpper: Sie haben die Weltmeisterschaft in Südafrika hier in Deutschland mitbekommen, wissen also, wie begeisterungsfähig die Deutschen für den Fußball sind. Glauben sie, dass diese Heim-WM ein großer Erfolg wird - ähnlich wie 2006, das sie wahrscheinlich aus der Ferne mitbekommen haben ...
    Murphy: Ich war hier 2006 als ein Privatmensch. Mit die Fanmeilen und wir haben letztes Jahr für 2010 in Südafrika gesehen. Diese Erfahrung auch. Ja, das sind meine "Expectation". Ein tolles englisches Wort. Wir werden viel von dem sehen. Vielleicht nicht auf dem Niveau wie 2006, aber dieses Turnier wird das Land erobern, keine Frage. Es wird überall in diesem Land stattfinden, in neun verschiedenen Stadien, in interessanten Städten. Und so sollte eine Weltmeisterschaft auch sein, sie sollte sich im ganzen Land verteilen. Wir hatten die Männer-WM 1994, die Frauen-WM 1999 in den USA, und man bekommt so ein Gefühl für das ganze Land. Anders als bei den Olympischen Spielen, bei denen man sich auf eine Stadt oder Region konzentriert. Das ist eine gute Sache für die Fans. Ich denke, dass das ein super Turnier wird und Deutschland davon elektrisiert sein wird. Und ich kann Ihnen sagen: Auch in den USA wird man elektrisiert sein, vor allem, wenn wir erfolgreich sind. Und ich bin optimistisch, dass das so sein wird.

    Küpper: Der große Unterschied zwischen Deutschland und den USA im Hinblick auf Fußball ist ja auch, dass Fußball eigentlich ein Männersport ist. Frauenfußball wächst, Deutschland ist auch gut im Frauenfußball, aber die Masse ist immer noch bei den Männern. In den USA ist es genau andersrum, ist mein Eindruck ...
    Murphy: Ja, aber nicht auf der professionellen Ebene. Nur auf der Ebene der Nationalmannschaft. Unsere Männer sind sehr gut, ich will nicht sagen, dass sie nicht gut wären, sie sind unter den besten 15 oder 20 Teams der Welt, sie spielen gut, wie man auch bei der WM in Südafrika letztes Jahr gesehen hat. Aber unsere Frauen waren nie schlechter als Platz drei bei einer WM. Sie haben zweimal gewonnen, sie sind zweifacher Titelverteidiger bei den Olympischen Spielen. Das heißt: Unsere Frauen sind auf einen Niveau, auf dem jeder gerne wäre. Auf der Seite der Profiliga, als Besitzer einer Mannschaft würde ich mir wünschen, dass der Frauenfußball auf einem ähnlichen Niveau wie die Männerliga wäre. Wir sind in unserem dritten Jahr, haben aber noch einen weiten Weg vor uns ... Es geht nicht um die Qualität des Spiels. Die ist herausragend und genauso gut wie hier in Deutschland. Wenn sie Potsdam gegen Sky Blue FC, die Mannschaft die mir gehört, spielen lassen würden, hätten sie ein super Spiel. Doch die Männerliga gibt es seit etwa 15 Jahren. Da sind im Durchschnitt 19.000 bis 25.000 Fans pro Spiel. Da gibt es mehr Tiefe, eine bessere Verankerung, während die Frauen-Liga noch einen weiten Weg vor sich hat. Ich hoffe, dass wir soweit kommen. Es braucht einfach einen besseren finanziellen Hintergrund, aber die Qualität des Spiels ist herausragend. Frauenfußball in den USA ist Weltklasse.

    Küpper: Bevor wir noch einmal ausführlich auf ihren Klub, auf Sky Blue FC kommen, noch einmal die Frage: In den USA spielen unglaublich viele Kids Fußball. Warum ist das so? Warum ist Fußball da so populär?
    Murphy: Alles, was sie brauchen ist ein Ball. Es ist so einfach. Sport im allgemeinen und Fußball im speziellen ist ein großes gemeinsames Erlebnis. Nicht nur in Amerika, sondern weltweit. Es macht keinen Unterschied, ob man in der Innenstadt, in einem Vorort, irgendwo auf dem Land oder in einem Dorf ist. Es bringt Leute zusammen. Was mich in den USA am meisten beeindruckt, sind die Möglichkeiten im Fußball für junge Mädchen. Wir haben drei Söhne und eine Tochter. Die Jungs haben im Fußball viele Möglichkeiten in den USA und in Deutschland, ironischerweise hat unsere Tochter in ihrem Alter mehr Möglichkeiten in den USA als in Deutschland. Ich denke, dass sich das ändert, je älter man wird. Das ist interessant für uns und hat auch nichts damit zu tun, dass wir eine starke Frauenförderung im Fußball haben. Auch in Deutschland wird gefördert, Deutschland macht da auch etwas richtig, aber es gibt doch einen unterschiedlichen Ansatz, gerade bei den jungen Mädchen.

    Küpper: Warum ist der Sport - jetzt einmal allgemein gesprochen - so unterschiedlich gegenüber Deutschland? Warum haben sie beispielsweise Basketball, American Football, Eishockey, Baseball als die großen Sportarten, während sie hierzulande Fußball haben, dann lange nichts und dann vielleicht Schwimmen oder Tennis, das haben sie auch alles. Warum gibt es da einen Unterschied? Man könnte ja fast sagen, zwischen den USA und Europa. Warum gibt es da so einen Unterschied?
    Murphy: Ich weiß es nicht. Vielleicht ist ein Grund, dass bei uns mehr Sport in den Schulen stattfindet, als hierzulande. Dort gibt es das Ziel, dass zu unterschiedlichen Jahreszeiten verschiedene Sportarten ausgeübt werden. Die Kinder wachsen damit auf, dass sie Fußball oder American Football im Herbst spielen, Basketball oder Eishockey im Winter, Baseball, Tennis oder Lacrosse im Frühjahr. Es gibt also einen Kreislauf. In Amerika leben außerdem viermal so viele Menschen: Wenn sie nach Sponsoren suchen, nach Menschen, die den Sport fördern, dann haben sie mehr Geld. Es gibt einige Gründe, aber wissen sie was? American Football in Deutschland war schon erfolgreich, Eishockey ist etabliert, hier in Berlin kommen 14.000 bis 15.000 Menschen zu einem Spiel, Basketball ist hierzulande sehr erfolgreich. Ich glaube also nicht, dass es so unterschiedlich ist, wie es immer gesehen wird. Aber die Weichenstellung in der Schule führt bei den Kindern zu einer Variation, die sie auch beeinflusst, wenn sie sich später entscheiden, welchen Sport sie machen wollen und was sie im Fernsehen sehen wollen.

    Küpper: Ganz kurzer Exkurs: Ist es für sie etwas besonderes, dass der - aktuell zumindest - beste Basketballer der Welt ein Deutscher ist? Als US-Botschafter in Deutschland?
    Murphy: Das ist schon cool. Ich bin sehr glücklich, dass er gewonnen hat. Er spielt seit 13 Jahren in den USA, er war bereits kurz davor ... De facto hatte er ja bereits gegen die Mannschaft verloren, gegen die er nun gewonnen hat. Das für sich ist ja schon eine großartige Geschichte. Nein, ich denke, es ist super. Er ist einer der Besten, ein einzigartiger Spieler. Er spielt so, wie viele Spieler, die kleiner als er sind. Das zeichnet ihn und sein einzigartiges Spiel aus. Das ist sehr selten und ich freue mich sehr für ihn.

    Küpper: Haben Sie Dirk Nowitzki schon einmal persönlich getroffen?
    Murphy: Nein, ich habe nicht. Aber wenn er in Berlin ist, können wir uns vielleicht treffen.

    Küpper: Kommen wir zurück zum Fußball: Die USA - Sie haben es gesagt - haben 1994 die Weltmeisterschaft der Männer ausgetragen, dann 1999 der Frauen. Was hat das dem Fußball gegeben?
    Murphy: Wir waren auch noch Ausrichter der Frauen-WM 2003, als China wegen der SARS-Epidemie zurücktreten musste. Das war sehr kurzfristig und ist daher kein gutes Beispiel, wie die Turniere, die wir über sieben Jahre planen konnten. Die 1999er-WM war ein großer Erfolg, nicht nur, weil wir gewonnen haben. Das Finale war in Pasadena, Kalifornien, vor über 90.000 Menschen. Ich denke, dass das die größte Menschenmenge war, die je ein Frauenfußballspiel gesehen hat. Und es war zugleich auch das meistgesehenste Frauenfußballspiel im Fernsehen, weltweit, jemals. Bis heute. Worauf ich bei den Männern besonders stolz bin, ist, dass 1994 - Sie wissen, dass heute 32 Mannschaften bei einer WM mitspielen - 1994 waren es nur 24 Mannschaften, also waren da weniger Spiele. Aber bis heute war es die Weltmeisterschaft mit den meisten Zuschauern. Bis heute. Jede Eintrittskarte wurde verkauft. Und das war eine Tatsache, die zeigte, dass wir Fußball mögen, es war aber auch ein Zeichen für Amerika als eine Nation von Einwanderern. Als Bulgarien gegen Italien gespielt hat, gab es kein einziges Ticket mehr zu kaufen, weil die beiden Gemeinschaften einfach raus kamen und ihre Heimatmannschaften unterstützt haben. Natürlich kamen auch viele Touristen und viele Leute aus den jeweiligen Ländern. Aber viele Amerikaner, die ursprünglich aus Italien, aus Irland, aus Bulgarien, aus Deutschland, stammten und die seit einigen Generationen in den USA leben, unterstützten das Land ihrer Großeltern. Das war ein großartiger Beweis für die USA als eine Nation der Nationen.

    Küpper: Wie traurig sind Sie darüber, dass die USA den World Cup 2022 nicht bekommen haben, er stattdessen - was alle Fußballfans hier in Deutschland auch erschreckt hat - in Katar ausgespielt wird?
    Murphy: Erst einmal habe ich großen Respekt vor Katar. Wir hoffen, dass es eine gute Weltmeisterschaft wird. Das wäre gut für den Sport. Ich wünsche ihnen das beste. Aber so wie ich das sehe, wären wir zweifelsohne die richtige Wahl gewesen. Wir haben die Infrastruktur, wir haben die Begeisterung, wir haben alles, was man für eine Super-WM braucht. Ich wünsche ihnen das beste, aber ich kenne unsere Bewerbung und unsere Bewerbung war fantastisch, sie war großartig und ich wünschte, wir hätten gewonnen.

    Küpper: Sie sind ein wirklich sportbegeisterter Mensch, sie lieben Sport, wenn man ihnen zuhört, bekommt man das auch mit. Ist Sport auch auf dem diplomatischen Parkett einfach ein gutes Thema, um sich mit Leuten zu unterhalten?
    Murphy: Es ist definitiv ein Teil unseres Engagements hier. Wir engagieren uns aktiv im Sport als Bestandteil unserer diplomatischen Aufgabe, zusätzlich zu meiner persönlichen Leidenschaft für den Sport. Ich gehe außerdem zu vielen Spielen. Das ist eine Sache, die ich sehr liebe ... Dort treffe ich dann Oberbürgermeister, Mitglieder, Abgeordnete vom Deutschen Bundestag. Das ist eine gute Möglichkeit für mich, Leute abseits eines formalen Rahmens zu treffen. Für uns ist das eine große Möglichkeit.

    Küpper: Ist das auch ein Eisbrecher-Thema? Über Sport kann man sich ja gut unterhalten und man lernt gut Leute kennen?
    Murphy: Es ist in vielen Situationen ein Eisbrecher, aber ich nutze es nicht dafür. Ich breche auch selten das Eis. Wenn ich über Fußball rede, dann will ich über Fußball reden - im Gegensatz zu der Annahme: Es fällt mir schwer, Dich kennenzulernen, ich weiß, dass Du Dich für Fußball interessierst, also rede ich jetzt mal über Fußball. So denke ich nicht, Fußball ist bei mir Leidenschaft, kommt von Herzen. Aber ja, es gibt häufig die Situation, dass man mit Leuten über Fußball reden kann - ohne das ich vorher wusste, dass sie Fußballbegeistert sind.

    Küpper: Wussten Sie, dass Deutschland sie so mit offenen Armen begegnet, auch, nicht nur, aber auch, weil Sie so ein großer Freund des Fußballs sind? Fußball hat ja hierzulande einen enormen Stellenwert ...
    Murphy: Ich merke, dass die Menschen hierzulande fasziniert sind, sie können es manchmal nicht fassen, dass ich Besitzer einer Fußballmannschaft bin. Ich glaube, dass sie manchmal denken, dass ich Mitglied in einem Verein bin und hinter dem Tor sitze ... Doch wenn sie merken, dass ich wirklich 75 Prozent eines Klubs besitze, fragen sie erstens, warum? Und zweitens können sie es nicht fassen. Ich denke gar nicht so häufig daran, weil es nichts ist, was ich irgendwie erfunden habe: Das bin ich, das ist die Realität. Wir verbringen sehr viel Zeit damit, mit unseren Kindern in unserem Vorgarten zu spielen. Das ist die Realität. Wenn das ein Grund für die Menschen ist, meine Familie und mich eher zu akzeptieren, dann ist das gut. Es war nicht beabsichtigt, aber es freut mich.

    Küpper: Stimmt es - um da jetzt noch einmal nachzuhaken - als Sie hier ankamen mit dem Flugzeug, Hertha BSC-Trikots anhatten?
    Murphy: Das war eine Überraschung, von meiner Frau. Wenn ich jetzt zurückschaue, war das eine unglaubliche Idee: Wir waren auf einmal die Familie mit den Hertha-Trikots. Das hätte ich nie erwartet. Es war eine Überraschung für die Kinder und für mich. Und es hat uns nicht nur mit Sport verbunden, sondern auch mit Hertha. Wir haben also eine Verbindung zu Hertha, wo es auch Hoch und Tiefs gegeben hat. Gerade sind sie mal wieder oben, das ist gut. Aber so sehr wir auch Hertha lieben, wenn sie meine Kinder fragen, welches die Heimmannschaft ist, werden sie garantiert Hertha sagen, gerne gehen wir auch zu Union Berlin. Wir waren beispielsweise bei Union gegen Hertha. Das war 1:1, letzte Oktober, November... Aber wir reisen auch viel herum und besuchen andere Spiele: Wir waren ein paar Mal in Dortmund, Köln, Bayern München, Stuttgart, HSV, Cottbus ... Wir haben eine Vereinbarung: Wenn wir im Stadion sind, feuern wir den Gastgeber an - so we have to be with the Heimmannschaft. Ansonsten gäbe es zu viele diplomatische Katastrophen ...

    Küpper: Wir haben gerade eben schon über Ihre Mannschaft, über Ihr Team in den USA gesprochen: Die Frage, die Sie selber eben angesprochen haben, die die Leute hier immer stellen: Warum? Warum besitzt man ein Team?
    Murphy: Nicht, weil es ein gutes Investment ist. Das ist es einfach nicht, es ist eine Leidenschaft. Ich denke einfach, dass der Zustand in den USA nicht richtig war: Es gab eine erfolgreiche Männer-Liga, die es jetzt seit 15 oder 16 Jahren mit einem Zuschauerdurchschnitt von etwa 18.000 oder 20.000 Fans gibt. Die neuen Franchises mit Seattle oder Toronto haben sogar 25.000 bis 35.000 Zuschauer im Durchschnitt. Das ist beeindruckend, auf einem hohen spielerischen Niveau, aber ich dachte: Es ist ja wirklich unfair, dass wir das "Nummer eins oder zwei"-Team der Welt haben, aber keine professionelle Liga für die Frauen. Das ist nicht richtig. Das war ein Grund. Der andere Grund ist, dass wir eine Tochter haben, die Fußball spielt ... Und wir haben Söhne, die spielen. Die Söhne können zu ihren Helden, die professionell in den USA Fußball spielen, auf schauen, aber unsere Tochter kann das nicht. Die guten amerikanischen Fußballerinnen spielten nicht in Amerika, sondern woanders. Das war auch ein guter Grund. Ich würde mir wünschen, dass sich die Investition mehr lohnen würde, momentan ist das recht schwierig. Hoffentlich stabilisiert sich das, denn wenn sich die finanzielle Situation nicht stabilisiert, dann kann ein Klub oder eine Liga nicht weitermachen. Da müssen wir uns verbessern: Vor allem auf der Seite der Sponsorensuche. Das wird hier in Deutschland besser gemacht. Beide Ligen haben etwa den gleichen Zuschauerschnitt, aber in der Sponsorensuche müssen wir uns in den USA noch verbessern.

    Küpper: Haben Sie auch eine Nationalspielerin bei Ihnen im Klub?
    Murphy: Ja, Heather O'Reilly und Tobin Heath spielen beide für das US-Team, aber insgesamt haben wir sieben Spielerinnen von unserem Klub, die bei der Weltmeisterschaft mitspielen werden. Fünf für andere Länder.

    Küpper: Ihr Präsident bei dem Klub ist auch ein Deutscher, habe ich gelesen ...
    Murphy: Ja, das stimmt ...

    Küpper: ... also ist das auch eine spezielle Verbindung ...
    Murphy: Großartig, das ist Zufall, aber das ist schon etwas besonderes. Thomas Hofstetter. Thomas ist ein sehr guter Präsident, auch Mitbesitzer und ein guter Mann. Er hat auch Töchter, die Fußball spielen und ich denke, er dachte dasselbe wie ich: Das kann doch nicht richtig sein, es muss auch eine professionelle Liga geben, zu der diese Mädchen aufschauen können. Er ist ein super Kollege, er kommt diese oder nächste Woche, um einige Spiele zu sehen.

    Küpper: Zum Abschluss, die letzte Frage: Die Weltmeisterschaft läuft, wer wird Weltmeister?
    Murphy: Ich weiß es nicht. Wenn wir erster in unserer Gruppe werden und Deutschland erster in seiner Gruppe wird und beide gewinnen ihr Viertelfinale - nichts davon ist selbstverständlich -, dann würden wir im Halbfinale auf Deutschland treffen ...

    Küpper: Und das wäre für einen Botschafter ein schwieriges Spiel?
    Murphy: Solange die Amerikaner spielen, ist es nicht schwer ... Für mich ist es so: Mit Deutschland, solange es nicht gegen die USA geht. Wenn Amerika spielt, bin ich hundertprozentig für die USA. Wenn Deutschland nicht gegen die USA spielt, wird mein Herz höchstwahrscheinlichen ihnen gehören, weil ich hier bin, ich ihren Stil mag, sie haben ein gutes System ... Also: Ich bin immer für die Amerikaner - und ich bin für Deutschland, solange sie nicht gegen die USA spielen.
    Die Frauenfußball-Nationalmannschaft der USA
    Die Frauenfußball-Nationalmannschaft der USA (picture alliance / dpa / www.ussoccer.com)
    US-Botschafter Phil Murphy im Deutschlandfunk-Sportgespräch
    Philip D. Murphy im Gespräch mit Deutschlandfunk-Sportredakteur Moritz Küpper. (US-Botschaft in Berlin)