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"Ich bin mir sicher, dass sehr, sehr viele Menschen sich diesen Film ansehen"

Der ARD-Film "Bis nichts mehr bleibt" sei eine wunderbare Gelegenheit zu erleben, was mit Menschen bei Scientology passiert. Die politisch-extremistische Organisation dürfe man nie unterschätzen, warnt Ursula Caberta, Leiterin der Hamburger obersten Landesjugendbehörde und der Arbeitsgruppe Scientology.

Ursula Caberta im Gespräch mit Jochen Spengler | 31.03.2010
    Jochen Spengler: Heute Abend läuft im Ersten ein Spielfilm, der schon vorab für viel Furore gesorgt hat. Er handelt von Scientology, von jener Organisation also, die sich selbst als Kirche bezeichnet, die aber in dem Film als ausbeuterische Psychosekte dargestellt wird, der es um die Macht, ums Geschäft geht und die Familien zerstört.

    "Produziert mehr, verbessert euere Statistik, arbeitet noch mehr nach Policy. Nur so können wir unser großes Ziel erreichen: Clear Germany!"

    Spengler: So weit ein Ausschnitt aus dem Film "Bis nichts mehr bleibt", der mit Kai Wiesinger, Robert Atzorn und Sabine Postel hochkarätig besetzt ist. Ursprungsland der Scientologen sind die USA. Auch dort werden die Methoden der Organisation inzwischen öffentlich gemacht.

    Über den deutschen Film "Bis nichts mehr bleibt" wollen wir nun mit Ursula Caberta sprechen, der Leiterin der Hamburger obersten Landesjugendbehörde und der Arbeitsgruppe Scientology. Sie gilt als die deutsche Expertin in Sachen Scientology. Der Film, Frau Caberta, der heute Abend um 20:15 Uhr läuft, ist keine objektive Dokumentation, sondern er ergreift Partei. Das hat nun Scientology selbst auf den Plan gerufen, die der ARD eine Diskriminierungskampagne vorwirft. Trifft dieser Vorwurf zu?

    Ursula Caberta: Nein. Der ist sogar wunderbar und zeigt genau das, was in Scientology so oder so ähnlich tagtäglich weltweit passiert. Insofern ist das eine wunderbare Gelegenheit, in Spielfilmform zu erleben, was mit Menschen dort passiert.

    Spengler: Also keine Dokumentation, aber Sie sagen, durchaus auf Tatsachen beruhend?

    Caberta: Ja, so sieht es aus.

    Spengler: Welchen Tatsachen?

    Caberta: Verschiedenen Berichten von Menschen, die das miterlebt haben, und dann natürlich auch einer gründlichen Recherche der Dokumentation von Scientology, interne Kursmaterialien, Bücher des Herrn Hubbard und Ähnliches, woraus dieses ganze hervorgeht, was dort mit Menschen passiert. Die Dokumentenlage ist einwandfrei.

    Spengler: Es wurde ja nun beim Drehen ein Wahnsinnsaufwand betrieben. Die Dreharbeiten waren streng geheim, die beteiligten Schauspieler wurden erst mal nicht genannt, die Drehbücher wurden nur von Hand verteilt. Das klingt übertrieben bis hysterisch, oder war das nötig?

    Caberta: Das war nötig.

    Spengler: Warum?

    Caberta: Bei Scientology gibt es ein eigenes Rechtssystem. Das "Handbuch des Rechts" des Herrn Hubbard ist praktisch der rechtliche Rahmen intern in Scientology und da wird definiert, was ein Verbrechen und ein Schwerverbrechen ist. Da steht zum Beispiel drin, dass es keine kritische Berichterstattung geben darf, und so ein Film dürfte nach deren Rechtsprechung gar nicht gedreht werden, weil alles, was Scientology negativ darstellt, muss verhindert werden.

    Spengler: Und wie hätte Scientology selbst diesen Film verhindern können?

    Caberta: Es ist ja wunderbar, dass das alles so geklappt hat. Es waren ja ein paar mehr Leute an so einem Filmprojekt beteiligt, dass sie, wenn sie rechtzeitig davon Wind bekommen hätten, natürlich die Dreharbeiten hätten stören können, zwischendurch schon mal Ärger machen, was weiß ich. Die Scientologen sind da ja sehr fantasiefreudig. Auch das hat der Gründer vorgegeben: Man führt keine Prozesse, um sie zu gewinnen, sondern um den Gegner zu zerstören. In diesem Fall wäre der Gegner das Filmteam, die ARD und alle, die damit zu tun haben, gewesen.

    Spengler: Frau Caberta, in welcher Form waren Sie an dem Film beteiligt?

    Caberta: Ich bin vom SWR gebeten worden, das fachlich zu begleiten, damit auch die Fakten stimmen. Wir verfügen ja hier in Hamburg – uns gibt es ja seit 1992 – über ein sehr umfangreiches Archiv der Schriften von Herrn Hubbard und all dieser ganzen Geschichten, und dann haben wir natürlich auch Kontakte zu Menschen, denen wir helfen konnten, sich aus der Organisation zu lösen. Insofern war das schon ganz wichtig, dass wir da eng zusammengearbeitet haben, denke ich.

    Spengler: Nun ist der Sektengründer, Herr Ron Hubbard, schon länger tot.

    Caberta: Ja, den sind wir los.

    Spengler: Der Verfassungsschutz beobachtet die Sekte seit 13 Jahren und man hat den Eindruck, dass die Hochzeit von Scientology eigentlich längst vorbei ist, so ähnlich wie die der Sannyasins, über die auch keiner mehr redet. Kommt der Film nicht viel zu spät?

    Caberta: Erst mal glaube ich, man darf Scientology nie unterschätzen. Es gab auch schon in verschiedenen Ländern der Welt immer mal Zeiten, wo sie sehr am Boden waren, unter anderem auch in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn man sich das dort heute anguckt, dann stellt man fest, man darf nie nachlassen in der Aufklärung und in der Beobachtung, was sie machen.

    Spengler: Wieso? Haben die zugelegt dort, oder?

    Caberta: In den USA haben sie es ja geschafft, dass selbst die Regierung - - Im Menschenrechtsbericht des State Departements wird Deutschland angegriffen, weil es angeblich Scientologen diskriminiert. Ich meine, das kann man ja wohl als Einflussnahme werten und insofern ist das - - In Amerika sind sie ja, was den Einfluss auf die Politik angeht, ganz schön weit gekommen. Es bröckelt da zwar gerade, ich wünsche denen, die das da zum Bröckeln bringen, alles Gute, aber das ist schon so, dass da - - Man darf nie nachlassen. Aufgegeben haben die noch nie und das Ziel ist immer dasselbe. Was stimmt ist, dass sie es in der Bundesrepublik Deutschland seit einigen Jahren auch wegen der Aufklärungsgeschichten, die gemacht wurden, aber auch durch die Beobachtung durch die Verfassungsschutzämter es natürlich wesentlich schwerer haben als früher.

    Spengler: Sie halten die aber noch für gefährlich?

    Caberta: Die sind eine politisch-extremistische Organisation - das hat die Innenministerkonferenz 1997 festgestellt – und dabei bleibt es und daran ändert sich nichts.

    Spengler: Was macht denn die Gefährlichkeit aus?

    Caberta: Die Gefährlichkeit ist: Politische Extremisten kommen ja unter den unterschiedlichsten Gewändern daher und die Scientologen – so hat es das Oberverwaltungsgericht Münster ja vor zwei Jahren ihnen ins Stammbuch geschrieben -, wenn man sie nicht beobachtet und wenn man sie nicht im Blick behält, sondern einfach machen lässt, dann würden wir uns auf Dauer irgendwann verabschieden können von wesentlichen Grundsätzen unserer freiheitlichen Grundordnung. Das Gericht benennt dann als Beispiel die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Selbstbestimmung des Einzelnen. Das sind schon harte Kalieber, die die da aufgeführt haben. Das Urteil ist erst zwei Jahre alt und das Gericht hat sich sehr ausführlich mit den Methoden und mit der Ideologie befasst.

    Spengler: Von wie vielen Menschen sprechen wir denn eigentlich in Deutschland?

    Caberta: Das wüsste ich auch gerne. Das weiß ja eigentlich keiner so genau, weil die Scientologen - - Alle sind irgendwann Mitglied in der internationalen Vereinigung Scientology, also der internationalen Geschichte. Die deutschen Einheiten sind ja eigentlich mehr die Zuarbeiter für den internationalen Verein und man muss nicht in irgendeiner Untergliederung in Deutschland Mitglied sein. Das ist für Scientology irrelevant. Insofern ist das mit der Zahlennennung etwas schwierig, wobei es kommt nicht darauf an, wie viele es sind, sondern wie viel Einfluss sie haben und wie sie den nutzen.

    Spengler: Nun hieß es ja immer, die Sekte hätte die Spitzen von Gesellschaft und Wirtschaft durchsetzt. Stimmt das, oder ist das maßlos übertrieben?

    Caberta: Wenn man sieht, wie leicht es doch möglich war vor ein paar Jahren, dass ein Aushängeschild dieser verfassungsfeindlichen Truppe, Tom Cruise, in kürzester Zeit in der Lage war, sämtliche Feuilletonisten dieser Republik zu umnebeln, weil er Herrn Stauffenberg spielt, einen Bambi verleiht und dort eine Rede hält, die an was weiß ich gar nicht mehr zu überbieten war, dann erschreckt das doch schon, wie leicht es möglich ist, mit diesen Aushängeschildern sogar sehr kluge Köpfe plötzlich wieder umnebelt zu sehen.

    Spengler: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es gerade in den USA viele prominente Schauspieler sind, die sich dazu bekennen, und warum bei uns das offenbar anders ist?

    Caberta: Ich weiß nicht, ob das bei uns anders ist. Vielleicht wissen wir es ja nur nicht genau.

    Spengler: Es bekennt sich jedenfalls keiner dazu!

    Caberta: Nein! – In den USA ist es ja so: Da ist ja die Gründungsgeschichte und in Hollywood in Los Angeles ist ihr Hauptzentrum. Das ist systematisch aufgebaut worden. Hubbard hat die Materialien dazu ja schon sehr früh erarbeitet, indem er gesagt hat, wir brauchen Prominente, die sollen die Türöffner sein in Politik und Kultur, um Scientology salonfähig zu machen. Da unterscheiden sie sich ja nicht von anderen totalitären Gruppierungen, die wir kennen.

    Spengler: Letzte Frage, Frau Caberta. Warum lohnt es sich, den Film heute Abend anzuschauen?

    Caberta: Weil der Film großartig ist. Er ist nicht nur deswegen großartig, weil er in Spielfilmart das Leben in Scientology und die Probleme, die dort entstehen für Menschen, die da reingeraten, schildert, sondern weil es vom Drehbuch bis hin zu der kleinsten Nebenrolle so wunderbar besetzt ist und es wirklich bedrückend ist, und ich hoffe und ich wünsche, nein, ich bin mir sicher, dass sehr, sehr viele Menschen sich diesen Film ansehen werden.

    Spengler: ... , sagt Ursula Caberta, die Leiterin der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology. Danke, Frau Caberta, für das Gespräch.

    Caberta: Gerne.