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"Ich bringe meinen eigenen Klang mit"

Der am 4. März 1929 in Amsterdam geborene Geiger und Dirigent Bernard Haitink besticht durch die intuitive Einfühlung, mit der er oft ein "Idealmaß" bewährter Werke erreicht.

Von Frieder Reininghaus | 04.03.2009
    In allen Bereichen der Kultur konkurrieren die auf Innovation gerichteten Erwartungen mit dem beharrlichen Wunsch, dass das Gute und Edle stets weiter gepflegt wird. Diese zweite Grundströmung ist in den Sphären der "Klassischen Musik" besonders ausgeprägt. Es lieben nun einmal alle Brahms.

    Einer der Dirigenten, die dem Zug zur Perpetuierung und Perfektion von Bewährtem mit konsequenter Zähigkeit folgen, ist Bernard Haitink, der am 4. März 1929 in Amsterdam geboren wurde. Er wurde zunächst zum Geiger ausgebildet, spielte in mehreren niederländischen Orchestern. Die Grundlagen der Orchesterleitung erwarb er sich bei Felix Hupka und Ferdinand Leitner.

    Gewiss, er mag entschieden zupacken, doch alles Großspurige ist dem Dirigenten Haitink fremd. Bis heute. Solides Handwerk war und ist die Basis der subtilen Art seiner Berufsausübung und der Erfolge. Die setzten 1956 ein, als er - inzwischen Dirigent des Niederländischen Radioorchesters - für Carlo Maria Giulini beim Concertgebouw-Orkest einsprang. Das Elite-Orchester schätzte seine Solidität und das Unprätentiöse seines Auftretens. Nach dem plötzlichen Tod von Eduard van Beinum wurde Haitink, zunächst noch gemeinsam mit Eugen Jochum, zum Chefdirigenten bestellt. Von 1964 an stand er allein an der Spitze.

    "Als ich angefangen bin in Amsterdam, das war in den 60er Jahren, das war auch sehr schwer. Man muss sich durchbeißen, und wenn man das nicht tut, hat man nicht genügend Talent. Man muss 'water proof' sein."

    Bernard Haitink krönte die Zusammenarbeit mit dem Concertgebouw-Orkest nicht zuletzt in Zusammenarbeit mit Solisten wie Claudio Arrau, mit dem er die beiden Brahms-Konzerte einspielte.

    Früh hatte Haitink die Fühler nach London ausgestreckt, wo er 1967 zum 1. Dirigenten des Philharmonic Orchestra ernannt wurde. Von 1978 bis 1988 leitete er auch das Opernfestival in Glyndebourne. Aus dieser Zeit stammen die vorzüglichen Aufnahmen von Beethovens fünf Klavierkonzerten mit dem Londoner Spitzenorchester und Alfred Brendel.

    "Ja, ich weiß, ich bringe meinen eigenen Klang mit. Ich glaube, dieser Klang war gefüttert worden in all diesen Jahren in Amsterdam, wo ich so jung angefangen bin."

    Dass die musikalische Klarheit, Verlässlichkeit und Nüchternheit, die er den Orchestern vermittelt, spezifisch protestantisch geprägt seien, weist Bernard Haitink entschieden zurück - und betont seinen emotionalen Zugang zu den Tonkünsten.

    "Erstens komme ich nicht aus einem protestantischem Milieu. Überhaupt nicht. Mein Elternhaus war sehr humanistisch. Und ich hatte eine jüdische Großmutter von Mutterseite. Das war alles auch während der Besatzungszeit nicht so einfach. Und ich liebe Musik, ich liebe das Musizieren, aber ich habe überhaupt nicht die akademische Einsicht, die ein Harnoncourt hat."

    Und auch nicht den Willen zur Moderne, durch den sich Pierre Boulez in seinen Augen auszeichnet.

    "Ich habe keine Mission."

    Das meint freilich nicht, dass Haitink als Mann ohne markantere musikalische Eigenschaften zu sehen wäre. Er ist Sachwalter einer Tradition, die sich allmählich modernisiert und möglichst viele wunderschöne Stunden beschert, dabei auf breiter Front Dankbarkeitsgefühle auslöst.
    Bereits in Amsterdam, wo 1988 sein Vertrag nicht verlängert wurde, hatte Haitink Mühe, den jüngeren Kollegen Riccardo Chailly als Nachfolger zu akzeptieren. Doch war und ist er ein so gesuchter Dirigent, dass allemal irgendwo der Lorbeer winkt – in diesen Tagen auf einer großen China-Tournee mit dem Chicago Symphony Orchestra. Weltweit wird der getreue Kapellmeister Bernard Haitink als einer der Garanten des Fortgangs der "klassischen Musik" gefeiert.