Samstag, 20. April 2024

Archiv


Ich fürchte, sie sagen Nein

Vor dem Referendum in Irland zum EU-Reformvertrag befürchtet Graham Watson, Chef der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament, ein Nein der Iren. Die Skepsis gegenüber Europa sei schwer zu verstehen, zumal besonders die Iren von Europa in vielerlei Hinsicht unglaublich profitiert hätten.

Moderation: Dirk Müller | 11.06.2008
    Dirk Müller: Es könnte der "big bang" sein, der Urknall - jedenfalls für Europa oder besser für die Europäische Union, oder noch genauer für die Politik oder die Politiker der Europäischen Union. Wenn die Iren in einer Volksabstimmung morgen Nein sagen, dann ist auch der neue europäische Vertrag von Lissabon gescheitert und zwar für alle europäischen Staaten. Das sind 27 an der Zahl. - Darüber sprechen wollen wir nun mit Graham Watson, Chef der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Guten Morgen!

    Graham Watson: Guten Morgen.

    Müller: Herr Watson, müssen Menschen, die auf einer Insel leben, gegen Europa sein?

    Watson: Es hat nichts damit zu tun, ob man auf einer Insel lebt oder nicht. Wir sollten und ich glaube wir müssen alle Europa befürworten, weil es uns so viele Vorteile gebracht hat. Und wenn man Irland ansieht, dann muss man anerkennen, dass Irland vielleicht mehr als alle anderen Länder von Europa Vorteile bekommen hat. Sie haben so viel Geld bekommen, so viel Erfolg, so viele Möglichkeiten für ihr Volk. Es ist schwierig zu verstehen, warum man in Irland gegen eine Weiterführung des Aufbaus der Europäischen Union abstimmen kann.

    Müller: Die erste Frage deshalb, weil die Engländer traditionell große Schwierigkeiten haben mit Europa - zumindest sehen wir das als Deutsche immer so -, die Iren ja nun auch. 2001 hat es schon einmal geheißen Nein zum entsprechenden europäischen Vertrag, der zur Abstimmung vorlag. Warum tut man sich so schwer mit dem Kontinent?

    Watson: Ich glaube es gibt immer eine Gefahr, wenn man von einer Insel kommt, wenn man auf einer Insel lebt, dass man in seinem Denken insular ist. Das heißt - ich weiß das aus meinem Heimatland Großbritannien -, dass viele Leute sehr skeptisch die Entwicklung auf dem Kontinent ansehen und dass man beispielsweise immer denkt, was vom Kontinent kommt ist nicht immer etwas Gutes. So könnte das in Irland sein. Aber das Problem ist meiner Meinung nach in der Debatte, die in Irland geführt worden ist, dass man eine ganze Reihe von Sachen gesagt hat, die überhaupt nicht stimmen. Zum Beispiel man sagt in Irland, ein sehr katholisches Land, wenn man diesen neuen Vertrag hat, dann wird die Abtreibung leichter. Man sagt wenn man diesen neuen Vertrag hat, dann wird es keine Möglichkeit mehr für Irland geben, seine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik zu führen. Man sagt eine ganze Menge von anderen Sachen, die eigentlich nicht stimmen. Und wenn es wirklich eine solche öffentliche Debatte gibt, wo die Leute eigentlich nichts wissen, weil sie den Vertrag nicht lesen, dann ist es fast unmöglich, eine rationale Politik zu führen.

    Müller: Was Sie jetzt, Herr Watson, als Argument angeführt haben, das sagt ja ausdrücklich nicht die irische Regierung. Dort gibt es ja ein klares Ja zum europäischen Vertrag und eine klare Werbung zuzustimmen. Warum kann die irische Regierung sich offenbar nicht durchsetzen in der Bevölkerung?

    Watson: Nicht nur die Regierung; die Oppositionsparteien auch. Es gibt eine Partei, die eine Kampagne dagegen führt. Die anderen sind alle für diesen Vertrag. Und natürlich hat die Regierung sich engagiert. Alle Abgeordneten, alle Minister haben eine Kampagne nicht nur inselweit, sondern auch in ihren Wahlkreisen geführt, um die Leute zu überzeugen, dafür abzustimmen. Nur das hat nicht funktioniert. Wieso nicht? - Dann muss man sich fragen, ob unsere Demokratie wirklich immer die Kraft hat, wenn man zum Beispiel gegen Zeitungen von machtvollen Entrepreneurs spielen muss.

    Müller: Von Unternehmern!

    Watson: Ja, genau: von Unternehmern.

    Müller: Herr Watson, wenn Sie aber sagen, die Iren haben ganz, ganz viel Geld von der Europäischen Union bekommen, haben zum Teil ihre wirtschaftliche Erfolgsgeschichte in den vergangenen Jahren auch den Investitionen oder der Hilfe der Europäischen Union zu verdanken, warum haben die Iren dann so viel Skepsis gegenüber Europa?

    Watson: Schwierig zu sagen! Man könnte sagen, je weiter man nach Westen geht, je einfacher ist es zu verstehen, wieso die drei Weisen aus dem Osten gekommen sind. Es ist wirklich schwierig zu verstehen, wieso es eine solche Skepsis über Europa gibt. Aber man muss anerkennen - und ich erkenne das als Europaabgeordneter -, dass wir unsere Arbeit nicht gut genug gemacht haben, um die Leute, um unsere Völker zu überzeugen, dass Europa hier etwas Gutes bringt. Da müssen wir - und ich glaube das ist eine Arbeit nicht nur für die Europäische Kommission, sondern auch für das Parlament und auch für den Rat, wo die 27 Mitgliedsländer vertreten sind - eine echte öffentliche Debatte über Europa führen, um den Leuten zu erklären, wie das funktioniert und was das bringt.

    Müller: Wir haben die Beispiele Irland genannt. Wir haben ja Frankreich auch in der Geschichte gehabt. Wir haben auch die Niederländer gehabt, die Nein gesagt haben zu Europa. Die Kritik der Skeptiker, die da sagen, Europa und die Europäische Union - ganz speziell Brüssel - ist in erster Linie für die Politik da und nicht für die Bürger. Ist da was dran?

    Watson: Es ist nichts daran, weil alle Mitgliedsländer oder die Regierungen in allen Mitgliedsländern wissen, warum Europa eine gute Sache für ihr Volk ist. Aber das ist vielleicht nicht gut genug erklärt worden. Zum Beispiel: Was sind die drei größten Probleme für jede Regierung in Europa? Erstens: Zuwachs der Weltbevölkerung und größerer Druck durch Migration. Zweitens: Klimawandel und Energiesicherheit. Drittens: internationale organisierte Kriminalität und Terrorismus. Dieses sind supranationale Probleme, wofür wir supranationale Lösungen finden müssen. Dafür brauchen wir Europa! Aber ob der Bürger das versteht, weiß ich nicht.

    Müller: Muss denn gleichzeitig auch der so genannte Wasserkopf, der ja immer wieder als Beispiel zitiert wird, immer größer werden? Muss Brüssel immer größer und mächtiger werden?

    Watson: Nein. Immer größer und mächtiger muss es nicht werden. Und was wirklich sehr gut in diesem neuen Vertrag ist, dass man eine neue Rolle für nationale Parlamente findet. Die nationalen Parlamente bekommen eine ganze Menge von neuen Kräften in diesem Vertrag. Man hat anerkannt, dass es zu viele Zentralisierungen in Brüssel gegeben hat, und man versucht jetzt, diese Tendenz zurückzudrehen.

    Müller: Herr Watson, zum Schluss ganz kurz die Frage. Sagen die Iren Ja oder sagen sie Nein?

    Watson: Ich fürchte, sie sagen Nein. Aber sie sagen uns nicht, warum sie nein sagen. Und das nächste ist: Irland muss erklären warum. Dann können wir eine echte Debatte mit ihnen führen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen Graham Watson, Chef der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch.