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"Ich glaube, dass die Kopfpauschale ungerecht ist"

Das Bundeskabinett will das Gesundheitssystem reformieren. Die FDP will die Kopfpauschale, die CSU nicht, die CDU vielleicht. Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund hält die Pauschale für nicht finanzierbar, eine "Schimäre".

24.02.2010
    Gerwald Herter: Das Bundeskabinett wird sich heute mit der Reform unseres Gesundheitssystems beschäftigen. Diesmal geht es nicht nur um Meinungsäußerungen, die Regierung wird eine Kommission einsetzen, so wie der Koalitionsvertrag das vorsieht. Diese Kommission oder Arbeitsgruppe wird sich mit der Kopfpauschale beschäftigen müssen, die die FDP will, die von der CSU aber abgelehnt wird, und die CDU ist skeptisch. Der DGB, der Deutsche Gewerkschaftsbund, hat kurzerhand beschlossen, die Sache sozusagen selbst in die Hand zu nehmen und eine eigene Kommission zu gründen, die sich ebenfalls mit der Reform des Gesundheitswesens befasst. Was das bringen soll und welche Ergebnisse am Ende stehen könnten, das habe ich Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand gefragt. Guten Morgen, Frau Buntenbach!

    Annelie Buntenbach: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Frau Buntenbach, wie offen kann die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens in der DGB-Kommission diskutiert werden?

    Buntenbach: Die kann da sehr offen diskutiert werden. Wir wollen da nämlich in dieser Kommission wissenschaftliche Expertise vereinen mit gesellschaftlichem Gestaltungswillen und haben eingeladen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Verbraucherschutz, Frauen- und Jugendverbände und noch einige mehr, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie denn wirklich die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens aussehen soll. Ich glaube, es kann nicht sein, dass hinter verschlossenen Türen in einer Regierungskommission da reine Regelungstechnik über das Thema Kopfpauschale diskutiert wird, und der Eindruck, der drängt sich ja auf, wenn man sich anschaut, was die Regierung jetzt an Kommissionen einsetzt, sondern ich glaube, wir brauchen hier eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, wie denn das Gesundheitswesen in Zukunft aussieht, und ich glaube, dass die Kopfpauschale ungerecht ist und dass das wirklich der falsche Weg wäre.

    Herter: Und wenn offen diskutiert wird in Ihrer Kommission und dann doch herauskommen sollte, dass die Kopfpauschale das beste Modell ist?

    Buntenbach: Dann würde mich das sehr wundern, aber ich bin dann natürlich gespannt darauf, wie die Wissenschaftler das begründen. Das, was wir im Moment an Untersuchungen vorliegen haben, das geht aber von einer ganz anderen Einschätzung aus, nämlich davon, dass die Kopfpauschale wirklich eine ungerechte Entwicklung im Gesundheitswesen wäre und Solidarität zerstört – deswegen, weil das heißt, dass eben alle Belastungen der Zukunft allein bei den Versicherten abgeladen würden, die Arbeitgeber hier ihren Anteil in Zukunft eben nicht mehr leisten müssten, und gleichzeitig diese Belastungen bei den Versicherten auch noch als einkommensunabhängige Pauschalen gezahlt werden, wo dann die Sekretärin genauso viel aufbringen muss wie der gut verdienende Abteilungsleiter. Das kann nicht funktionieren, das kann nur ungerecht ausgehen.

    Herter: Beunruhigt Sie es eigentlich, dass der DGB hier der CSU sehr nahesteht, inhaltlich sehr nahesteht, wenn es um die Ablehnung der Kopfpauschale geht?

    Buntenbach: Nein, das beunruhigt mich nicht. Es beunruhigt mich eher, dass nicht noch viel mehr hier auf unserer Seite stehen, aber ich glaube, wir haben hier eine breite gesellschaftliche Unterstützung eben gerade bei den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und auch in den Parteien und wir müssen hier eben eine breite gesellschaftliche Diskussion führen, denn es kann nicht sein, dass hier in dem Koalitionsvertrag schon von einkommensunabhängigen Pauschalen die Rede ist und dass in dieser Richtung die Solidarität im Gesundheitswesen hier weiter zerstört werden soll.

    Herter: Wenn das so klar ist, worauf führen Sie es zurück, dass die FDP sich so sehr für diese Art der Finanzierung einsetzt, also diese Kopfpauschale?

    Buntenbach: Ich glaube, hier geht es darum, dass die Arbeitgeber in Zukunft hier entlastet werden sollen und eben auch die Besserverdienenden entlastet werden sollen, und das wäre bei der Kopfpauschale ja der Fall. Dass dann gleichzeitig der Minister Rösler immer von einem automatischen Sozialausgleich spricht, der mit der Kopfpauschale verbunden werden soll, das ist mir, und ich glaube auch allen anderen, bislang ein großes Rätsel. Das ist ja eine reine Schimäre, weil da ja das Geld überhaupt nicht da ist für so einen Sozialausgleich. Da ist ja von Kosten zwischen 20 und 35 Milliarden die Rede - das sagen Experten, das sagt auch das Bundesfinanzministerium -, und das ist ja ein riesiges Loch, was in der jetzigen Haushaltssituation überhaupt nicht absehbar ist, wie das aufgebracht werden soll. Ich glaube, es wäre nicht nur finanzpolitisch absoluter Unsinn, sondern auch sozialpolitisch völliger Unsinn, denn das würde ja heißen, dass dann viele Versicherte ihre Beiträge gar nicht mehr selbst aufbringen könnten, sondern bei der Kopfpauschale dann in die Bedürftigkeit, nämlich in diesen Sozialausgleich geschickt würden, und das würde zu einer Ver-Hartzung des Gesundheitswesens führen, die wir nicht wollen können.

    Herter: Aber mit dem Ist-Zustand, sind Sie denn damit zufrieden, oder geht es Ihnen hier um Besitzstandswahrung?

    Buntenbach: Nein. Mit dem Ist-Zustand kann, so wie es jetzt ist, glaube ich, niemand wirklich zufrieden sein, sondern den müssen wir weiterentwickeln. Aber hier ist mehr an Solidarität in diesem Gesundheitswesen enthalten, was in vielen Beziehungen gut funktioniert, als es bei der Kopfpauschale dann nachher der Fall wäre. Wir haben jetzt in dem Gesundheitswesen ja Beiträge, die je nach Einkommen und wirtschaftlicher Stärke gezahlt werden. Das heißt, wir haben hier einen Sozialausgleich, über den dann eben gute Leistungen auch finanziert werden sollen, und die Weiterentwicklung, die würde für mich darin bestehen, dass die Arbeitgeber wieder den paritätischen Anteil zahlen. Im Moment zahlen die Versicherten ja erheblich mehr als die Arbeitgeber. 15 Milliarden macht hier der Unterschied aus. Das ist die eine Forderung der Weiterentwicklung und die zweite ist, dass eben Besserverdienende auch viel stärker in die Finanzierung mit einbezogen werden sollen. Das geht entweder über die Bürgerversicherung oder darüber, dass hier Steuermittel gerade auf hohe Kapitaleinkünfte gezahlt werden, die dann als Ausgleich mit in das Gesundheitswesen fließen würden. Wenn wir in diese Richtung gehen, dann können wir die Solidarität im Gesundheitswesen weiterentwickeln, aber sicherlich nicht durch eine Kopfpauschale, die hier die Löcher im Gesundheitswesen weiter aufreißt und einen Sozialausgleich mit Sicherheit nicht bringt.

    Herter: Wollen Sie die privaten Krankenversicherungen abschaffen?

    Buntenbach: Wir möchten in der Bürgerversicherung die privaten Versicherungsunternehmen mit einbeziehen in einen Finanzausgleich und in ein gemeinsames System. Ich glaube, dass das dringend nötig ist, denn diese Rosinenpickerei, die im Moment zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung nach wie vor möglich ist, die führt ja dazu, dass die gesetzliche Versicherung immer weiter ausgeblutet wird, und deswegen muss es hier eine gemeinsame Entwicklungsperspektive in Richtung Bürgerversicherung geben, wo die privaten Krankenversicherungsunternehmen auch mit in die Pflicht genommen werden.

    Herter: Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes über die DGB-Vorstellungen zur Zukunft des deutschen Gesundheitswesens. Danke schön!

    Buntenbach: Gerne!

    DLF-Interview vom 3. Februar 2010:
    "Alle Politiker sollen an ihren Taten gemessen werden"Bundesgesundheitsminister Rösler will Kopfpauschale durchsetzen