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"Ich glaube, dass wir da eine gute Chance haben, das schon zum 1. Januar 2012 in Kraft zu setzen"

In Deutschland werden die Bürger nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble voraussichtlich ab 2012 nur noch alle zwei Jahre eine Steuererklärung abgeben müssen. Er sei zuversichtlich, dass die Vereinfachung bis zu diesem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden könne, sagte der CDU-Politiker.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Sabine Adler | 31.10.2010
    Sabine Adler: Herr Schäuble, Sie sind eine Woche wieder im Amt. Sie wollten nicht 150 Prozent geben, sondern nur 100 Prozent. Erste Frage: Wie messen Sie das? Und zweite Frage: Wie viel haben Sie gegeben?

    Wolfgang Schäuble: Ich hatte, glaube ich, gesagt, knapp unter 100 Prozent. Eigentlich messe ich das nicht so genau, aber ich wollte damit sagen, ich muss mir noch ein Stück weit Schonung auferlegen, das haben mir die Ärzte auch dringend geraten. Und inzwischen hat sich auch in diesen Tagen, seit ich wieder meine Amtsgeschäfte wahrnehme, festgestellt, dass der Rat der Ärzte ein kluger ist und dass ich ihn einhalten muss. Das heißt, ich mache alles, was notwendig ist, aber was ich nicht unbedingt jetzt machen muss, schiebe ich noch ein bisschen auf der Zeitachse.

    Adler: Das klingt so ein bisschen, als hätten Sie sich in der Woche schon übernommen?

    Schäuble: Nein, das hoffe ich nicht. Es war zwischendurch auch anstrengend, es war ja diese Woche eine anstrengende Woche, wir hatten Bundestagsdebatte gehabt, wir hatten die Vorbereitung auf den Europäischen Rat, der ja ein großer Erfolg für Deutschland und für die Bundesregierung, für die Bundeskanzlerin, geworden ist. Und daran hat ja der Finanzminister in der Vorbereitung mitwirken müssen, weil es ja auch um die Umsetzung der Empfehlungen der Task-Force unter der Leitung von Ratspräsident van Rompuy gegangen ist, in der ich das deutsche Mitglied gewesen bin. Und ich glaube, wir haben gut dazu beigetragen, dass es so ein Erfolg für Deutschland geworden ist.

    Adler: Herr Schäuble, die Menschen haben Sie möglicherweise im Fernsehen gesehen, haben gesehen, dass Sie doch sehr strapaziert ausgesehen haben. Ich finde, Sie sehen besser aus als noch vor zwei Tagen. Aber jeder fragt sich: Warum tut er sich das eigentlich an? Warum tun Sie sich diese Strapazen an?

    Schäuble: Na, zunächst einmal haben die meisten gesagt, ich würde sehr viel besser aussehen als ich ausgesehen habe, bevor ich ins Krankenhaus bin. Und dass es mir noch nicht hundertprozentig gut geht – das ist bei Ihnen auch so, wenn Sie vier Wochen im Krankenhaus – oder knapp vier Wochen – sind, das ist auch klar. Und ich bin ja nicht zum Vergnügen ins Krankenhaus gegangen, sondern weil es mir nicht so gut ging. Aber jetzt bin ich auf dem Weg der Besserung.

    Warum ich mir das antue? Die Frage ist leicht zu beantworten: Ich mache es gerne, ich habe Freude an der Politik immer gehabt. Natürlich empfinde ich auch es als eine große Verantwortung, wenn man so viel Vertrauen bekommen hat und man gewählt wird in den Bundestag – wieder und wieder in meinem Wahlkreis. Das ist ja etwas, was einen auch verpflichtet, da habe ich ein von manchen für altmodisch angesehenes Verständnis. Ich muss natürlich auch für mich selber entscheiden: Kann ich die Aufgabe erfüllen? Aber so weit ich sie und so lange ich sie erfüllen kann und davon überzeugt bin, dass ich sie erfüllen kann, das Vertrauen genieße, um sie erfüllen zu können, so lange macht es mir Freude.

    Adler: Gibt es eine Schmerzgrenze für Sie?

    Schäuble: Das ist nicht eine Frage der Schmerzgrenze, sondern das ist eine Frage, ob man die Aufgabe wirklich so erfüllen kann, wie es den hohen Anforderungen dieses Amtes entspricht. So lange ich das kann – wie gesagt –, mache ich es gerne und habe dabei durchaus Befriedigung – nicht jeden Tag gleich, aber doch im Prinzip. Nein, ich beklage mich nicht, sondern ich bin dankbar dafür, dass ich diese Aufgabe übertragen bekommen habe und dass ich sie erfüllen darf.

    Adler: Herr Schäuble, nun hätte ja wahrscheinlich niemand gemeckert, wenn Sie einfach eine Woche später zurückgekommen wären, nämlich wenn die Woche der ziemlich kritischen Bilanzen "Ein Jahr Schwarz-Gelb" vorüber gewesen wäre.

    Schäuble: Na, zunächst einmal hat die Frage, wie lange ich im Krankenhaus sein muss und wie lange ich eine Auszeit von meinen Amtsgeschäften in Anspruch nehmen muss, ja damit nichts zu tun, sondern einfach mit der Frage: Wie lange ist es notwendig, was sagen die Ärzte? Und danach haben wir entschieden. Da gab es keinen anderen Gesichtspunkt, nicht "Welches Wetter haben wir diese Woche?" oder "Wie ist die politische Gesamtleistung?" – das wäre ja ganz falsch. Wir haben, denke ich, eine sehr merkwürdige Situation in Deutschland. Ernsthaft bestreiten ja nicht einmal unsere politischen Gegner, dass wir wirtschaftlich, in sozialer Hinsicht – was den Arbeitsmarkt anbetrifft – erfolgreicher sind, als die meisten erwartet hätten.

    Adler: Lassen Sie mich da einhaken. Die ganz Spitzfindigen sagen: Wie gut wäre es erst, wenn die Regierung noch gut regiert hätte.

    Schäuble: Ja gut, man kann immer so spitzfindig sein. Ich sage, ganz offensichtlich hat die Regierung ja einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass wir diese guten Ergebnisse haben. Wir behaupten ja selber gar nicht, dass alles nur der Politik und der Regierung geschuldet sei, das wäre auch ein völlig falsches Verständnis. Aber wir haben die vernünftigen Rahmenbedingungen dafür gestaltet, sonst wäre das auch nicht denkbar. Das wird auch nicht wirklich bestritten. Nun haben wir trotzdem eine politische Stimmungslage, die so ist, wie Sie das beschrieben haben. Das versteht außerhalb Deutschlands kaum jemand, weil die meisten sagen: Ihr seid doch eigentlich unglaublich gut. Es beneiden uns alle um das, was wir erreicht haben. Aber dem muss man sich stellen.

    Die erste Antwort ist: Wenn Sie so viele Veränderungen auf den Weg bringen müssen, um diese guten Ergebnisse zu erzielen, dann müssen Sie immer in Kauf nehmen, dass sich die politische Zustimmung zunächst einmal verschlechtert. Denn unsere Bevölkerung ist nicht besonders begierig nach Veränderungen, weil es uns ja so gut geht. Darüber ist nicht zu klagen, aber man muss es in der Analyse einfach sehen. Das heißt: Wer immer gestaltende Entscheidungen trifft, muss vorübergehend auch eine Verringerung der Zustimmung in Kauf nehmen. Deswegen beunruhigt mich das nur begrenzt. Der zweite Punkt ist: Wir haben auch Fehler gemacht, auch in der Kommunikation. Und eine politische Führung – eine Koalition, eine Regierung, die gerade auch der Bevölkerung schwierige Entscheidungen zumuten muss im Sinne von richtig verstandener demokratischer Führung, die sollte natürlich vor allen Dingen auch einig wirken. Denn wenn sie nicht einig wirkt und wenn sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt wirkt, dann hat sie wenige Fähigkeiten, die Menschen davon zu überzeugen. Und da können wir besser werden. Das tröstet mich dann auch. Viele der Probleme, die wir haben, haben wir durch Fehler aus den eigenen Reihen mit verstärkt. Und weil das so ist, haben wir ja Spielraum, uns zu verbessern. Also Luft nach oben ist genügend.

    Adler: Herr Schäuble, möglicherweise liegt die schlechte Stimmung aber auch an der Diskrepanz zwischen dem, was die Regierung macht und dem, was sie versprochen hat. Stichwort "Mehr Netto vom Brutto". Wenn Sie jetzt Wählern gegenüber treten, was Sie ja häufig tun, wenn Sie im Wahlkreis sind, was sagen Sie denn, warum gibt’s nicht mehr Netto vom Brutto? Ein Grund ist die Wirtschaftskrise, das haben wir gehört, aber wir wissen auch, dass die Wirtschaftslage jetzt hervorragend ist.

    Schäuble: Ja, aber die Wirtschaftslage entwickelt sich deswegen so gut, weil wir eben die Herausforderung angenommen haben, die zu hohe Verschuldung zurückzuführen. Das muss man übrigens gerade in Zeiten machen, in denen es wirtschaftlich gut geht. Nun haben Sie sicherlich recht, wenn Sie sagen, wir haben vor einem Jahr bei der Gründung der Koalition – auch noch im Blickpunkt auf das, was im Wahlkampf die Aussagen der einen wie der anderen Partner dieser Koalition gewesen sind – andere Erwartungen gehabt, haben sie auch ein Stück weit öffentlich aufrecht erhalten, als wir sie erfüllen konnten. Aber wenn Sie ganz sorgfältig nachschauen, werden Sie finden, dass der heutige Finanzminister schon damals nicht zu denjenigen gehört hat, die da besonders euphorisch Erwartungen geschürt hat.

    Adler: Der musste sich aber auch der Kabinettsdisziplin beugen.

    Schäuble: Das ist wahr, aber im Rahmen dieser Kabinettsdisziplin – und mir hat noch nie jemand einen Mangel an Loyalität vorgeworfen – habe ich versucht, darauf zu achten, dass die Interpretation des Koalitionsvertrags, der ja durchaus auch der Interpretation bedürftig war, das ist übrigens immer so, wenn Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Programm aufstellen, dann müssen Sie immer fähig sein, aufgrund der tatsächlichen eintretenden Entwicklung das auch mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu halten. Sie können nicht die Wirklichkeit bestimmen, sondern Sie müssen Ihr Programm an die Wirklichkeit anpassen. Und da habe ich versucht, meinen Beitrag zu leisten.

    Adler: Sie haben ein bisschen mehr als das gemacht. Die Bürger haben nicht nur nicht mehr Netto vom Brutto. Sie haben auch ganz strikt nicht angefasst das Thema "Steuersenkungen" beziehungsweise "Steuervereinfachung". Gerade bei Steuervereinfachungen wären die Menschen – sie würden wahrscheinlich einen Orden kriegen, wenn es tatsächlich dazu käme, dass wir unsere Steuererklärung alle zwei Jahre nur machen müssten.

    Schäuble: Nun, das fassen wir ja an, man nicht alles an einem Tag erfüllen. Das Thema Steuervereinfachung wird mit Hochdruck nicht erst angefasst: Wir arbeiten dran in engem Zusammenwirken mit den Steuerverwaltungen der Länder, denn die müssen die Gesetze vollziehen. Das ist gar nicht neu. Wir haben in der kommenden Woche vereinbart, mit allen Finanzministern – das habe ich vom Krankenhaus aus per Telefon ja auch so weit auf den Weg gebracht –, dass wir jetzt ganz konkret über Steuervereinfachungsvorschläge beraten mit den Ländern, dass wir eine gemeinsame Position haben. Wir haben uns über die Summe, was das an Ausfällen für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden bedeutet, denn Steuervereinfachungen haben immer auch Mindereinnahmen zur Folge, und wir haben uns auch darauf verständigt, wie wir die finanzpolitisch zwischen den öffentlichen Gebietskörperschaften – im Wesentlichen zu Lasten den Bundes – tragen werden. Wir haben darüber einen Grundkonsens innerhalb der Koalition. Das heißt, wir werden Anfang Dezember die notwendigen Entscheidungen innerhalb der Koalition treffen. Da sind wir auf einem guten Weg.

    Adler: Würden Sie so weit gehen, dass Sie sagen: Am Ende der Legislaturperiode steht – oder möglicherweise sogar noch früher -, dass die Bundesbürger ihre Steuererklärung nur alle zwei Jahre anfertigen?

    Schäuble: Das ist ein zentraler Punkt, und ich glaube, dass wir da eine gute Chance haben, das schon zum 1. Januar 2012 in Kraft zu setzen. Aber wie gesagt, wir machen das im Einvernehmen mit den Ländern, weil wir nur so auch tatsächlich zu einem Ergebnis kommen. Die Länder müssen die Gesetze vollziehen, die haben die Erfahrungen was geht und was nicht geht. Und die Besprechung ist in der kommenden Woche.

    Adler: Wir haben eine sehr starke Lobby von Steuerberatern. Wird die ihren Einfluss bei der FDP geltend machen?

    Schäuble: Die steuerberatenden Berufe haben ein Interesse an Steuervereinfachung. Ich sehe das überhaupt nicht. Im Übrigen: Wissen Sie, das wird von unseren politischen Gegnern nun in einer schon widerwärtigen Weise konstruiert, als wäre diese Regierung in ihren Entscheidungen abhängig von dem, was Interessenverbände sagen. Das ist nicht das Verständnis dieser Regierung und keines der Partner dieser Regierung.

    Adler: Nun muss man sagen, mehr Netto vom Brutto haben eben aber auch nur die Hotelbesitzer. Es ist die einzige Gruppe, die profitiert in einem Ausmaß, das sicherlich nicht zu vertreten ist anderen gegenüber.

    Schäuble: Auch das ist leider so nicht richtig, Frau Adler. Das Wachstumsbeschleunigungspaket, das wir Anfang des Jahres in Kraft gesetzt haben, war zu 80 Prozent ein Programm zur Entlastung der Familien mit Kindern. Die haben mehr Netto vom Brutto durch die Verbesserung im Familienleistungsausgleich. Aber in unserer Öffentlichkeit wird ja nicht diskutiert, was unstreitig gut läuft, sondern nur, was auf Widerstand stößt. Deswegen wissen alle nur noch die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungsleistungen, die in der Tat kritisch diskutiert worden ist.

    Adler: Zu recht?

    Schäuble: Ja, natürlich. Da gibt es gute Argumente dafür und dagegen. Dafür spricht zum Beispiel, dass unsere Partner in der Europäischen Union – ich glaube 22 von 27 Mitgliedsländern – ermäßigte Mehrwertsteuersätze für Übernachtungen haben. Es gibt einen Wettbewerb im Tourismus, und insofern gibt es gute Argumente dafür. Aber es gibt auch Argumente dagegen. Aber darüber darf ja nicht ganz aus dem Blickfeld geraten, dass wir vor allen Dingen für Familien mit Kindern zu Beginn dieses Jahres deutliche Verbesserungen in Kraft gesetzt haben.

    Adler: Herr Schäuble, Sie haben gerade gesagt, es wird immer nur das diskutiert, was nicht gut läuft in diesem Land. Da haben Sie sicherlich auch ein Stück weit recht. Wenn man sich anschaut Stuttgart 21: Da gibt’s eine große Bürgerbewegung zunächst einmal gegen dieses Projekt. Jetzt sind auch die Befürworter ein bisschen wacher geworden und haben ihre Bewegung mobilisiert. Ist tatsächlich zu befürchten, dass mit Stuttgart 21 die Landesregierung, die bis jetzt eine schwarz-gelbe ist, kippt? Und noch die Frage angeschlossen: Muss die CDU und die FDP befürchten, dass Stuttgart 21 ein ähnliches Grab – im übertragenen Sinne – schaufelt wie die nordrhein-westfälische Wahl 2005?

    Schäuble: Nein, die Situation ist völlig unvergleichbar. Nordrhein-Westfalen war wirklich in einer schwierigen Lage – nach vielen Jahren sozialdemokratisch geführter Regierungen oder rot-grüner Mehrheiten. Baden-Württemberg ist unstreitig unter den Bundesländern mit in der besten Position dank einer jahrzehntelangen Führung durch CDU-geführte, auch CDU-FDP-Regierungen. Das ist mit nichts zu vergleichen.

    Die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ist eine sehr schwierige, die viele Fragen aufwirft, über die man in unserer demokratisch verfassten Öffentlichkeit vertieft auch nachdenken muss, keine Frage. Aber die Frage der Landtagswahl ist nun die Frage, was die Wählerinnen und Wähler in Baden-Württemberg für die kommenden Jahre für eine Regierung möchten. Da bin ich ganz zuversichtlich, dass die Wählerinnen und Wähler in Baden-Württemberg in dem Bewusstsein – Baden-Württemberg ist ja erfolgreicher als fast alle Bundesländer – sich für eine Fortsetzung dieser erfolgreichen Politik entscheiden werden.

    Adler: Die Umfragen deuten es an, dass es für vor allem für die FDP sehr kritisch werden könnte. Aber auch die Union hat verloren im Laufe diese Regierungsjahres an Zustimmungswerten. Müssen Sie sich darauf einstellen, dass Sie es möglicherweise nach der Wahl im März zum Beispiel mit einem neuen FDP-Vorsitzenden zu tun bekommen?

    Schäuble: Ach wissen Sie, zunächst einmal Umfragen – wir haben jetzt, glaube ich, Ende Oktober. Die Wahlen sind Ende März. Das ändert sich gewaltig. Im Übrigen muss man sich vor Wahlen immer darauf einstellen, dass man das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler erst einmal gewinnen muss. Das ist, Gott sei Dank, in der Demokratie nicht garantiert. Das ist auch gut so, das muss man als Demokrat respektieren. Und was das dann für Auswirkungen haben würde, je nachdem wie die Wahl ausgeht, das ist Gegenstand von interessanten Spekulationen. Aber verantwortliche Finanzminister müssen sich mit solchen Spekulationen nicht beschäftigen.

    Adler: Nun soll das Interview der Woche hier im Deutschlandfunk ja auch interessant werden. Deshalb noch eine Spekulation, wenn Sie gestatten: Kann die Landtagswahl in Baden-Württemberg für die Kanzlerin gefährlich werden?

    Schäuble: Die Landtagswahl in Baden-Württemberg ist von Bedeutung für die Menschen in Baden-Württemberg. Ich bin Baden-Württemberger. Für uns geht es darum, dass wir möglichst erfolgreich die Arbeit der Landesregierung fortsetzen können. Natürlich sind Wahlergebnisse in so wichtigen Ländern – und Baden-Württemberg ist ein wichtiges Land, nicht nur für die CDU Deutschlands, sondern für Deutschland – immer auch von einer politischen Auswirkung für die Parteien insgesamt auf Bundesebene, natürlich auch für deren Vorsitzende. Angela Merkel ist die Vorsitzende der christlich-demokratischen Union. Deswegen haben wir auch ein parteipolitisches Interesse auf Bundesebene daran, dass wir diese Wahl gewinnen. Aber ich bin auch zuversichtlich, dass wir es gewinnen werden, und ich werde meinen Beitrag leisten, auch als Wahlkämpfer in Baden-Württemberg, dass wir die Wahl gewinnen werden, weil ich glaube, es ist die beste, die richtige Lösung für Baden-Württemberg.

    Adler: Herr Schäuble, Sie haben es angedeutet, die Koalition war nicht immer ganz glücklich mit ihrem Auftreten, ist nicht immer ganz glücklich aufgetreten. Gerade die vergangene Woche war, wie viele andere Wochen, durch Streit gekennzeichnet. Dieses Mal fand der Streit auf oberster Ebene statt. Erstens zunächst zwischen dem französischen Präsidenten und der Bundeskanzlerin. Dann hat man sich geeinigt. Dann kam der Streit zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler. Es ging um die Stabilisierung des Euros. Und jetzt hieß es vom Europäischen Rat am Freitag in Brüssel, es soll tatsächlich einen Krisenmechanismus geben, aber keinen Automatismus. Was heißt das? Das ist doch zumindest erklärungsbedürftig.

    Schäuble: Also zunächst einmal hat sich die Kanzlerin ja durchgesetzt. Und es war gut, dass der französische Staatspräsident und die Bundeskanzlerin eine gemeinsame Position erreicht haben. Dadurch ist dieses Ergebnis im Europäischen Rat überhaupt erst möglich geworden. Wir hatten ja am Beginn der vorvergangenen Woche in der van-Rompuy-Task-Force, die die Empfehlung für den Europäischen Rat erarbeitet hat, einstimmig übrigens diese Empfehlungen verabschiedet hat – ich bin ja Mitglied dieser Arbeitsgruppe gewesen, ich habe einen großen Beitrag dazu geleistet.

    Deutschland hat ja auch für das Zustandekommen dieser Arbeitsgruppe – die Bundeskanzlerin – schon bei dem Europäischen Rat im März den entscheidenden Beitrag geleistet. Das ist kritisiert worden von anderen, dass Frankreich und Deutschland ihre Führungsverantwortung wahrgenommen haben. Aber jetzt ist das akzeptiert worden.

    Adler: Hat Deutschland mit seiner Reputation gespielt?

    Schäuble: Nein, Deutschland hat das europäische Interesse richtig wahrgenommen. Was jetzt erreicht worden ist, ist ein Erfolg für Europa. Und den verdankt Europa nicht zuletzt einer richtig verstandenen engen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. Dass es darüber im Vorfeld auch Kritik gegeben hat, kann man doch jetzt wirklich vergessen, nachdem der Erfolg erzielt worden ist und im übrigen die Bundeskanzlerin auch ihrem Bundesfinanzminister Recht gibt.

    Adler: Jetzt erklären Sie doch den Hörern bitte, was denn der Unterschied ist zwischen einem Krisenmechanismus und einem Automatismus. Also mit anderen Worten, wie wird in Zukunft für die Stabilität des Euro gesorgt werden?

    Schäuble: Das Entscheidende ist, wenn wir wieder eine Krise haben sollten – hoffentlich nicht –, wie wir sie mit Griechenland Anfang des Jahres hatten, dann werden eben in Zukunft auch die Gläubiger daran zu beteiligen sein, die dann nicht mehr nur höhere Zinsen bekommen, weil das Risiko höher ist, dieses Risiko ihnen aber am Ende durch die Gemeinschaft der europäischen Steuerzahler, nicht zuletzt der deutschen, abgenommen wird, so ähnlich, wie es bei der Bankenkrise vor zwei Jahren gewesen ist. Deswegen haben wir ja in dieser Woche auch ein Gesetz im Bundestag verabschiedet, in dem wir die Lehre aus der Bankenkrise gezogen haben und gesagt haben: Nein, beim nächsten Mal werden auch Eigentümer und Gläubiger bei Banken an den Kosten der Krise beteiligt werden und nicht der Steuerzahler nimmt denen das Risiko ab. Die Gewinne haben die Investoren und die Risiken trägt der Steuerzahler. Und das beseitigen wir auch für die Euro-Zone. Und das ist der entscheidende Durchbruch. Darauf hat Deutschland bestanden, von Anfang an.

    Adler: Und das wird so kommen?

    Schäuble: Das wird so kommen. Das ist der Krisenmechanismus, der jetzt erreicht worden ist, noch nicht in jedem Detail, aber im Grundsatz. Das ist der große Erfolg, darauf hat Deutschland gedrängt, Bundeskanzlerin und Finanzminister.

    Adler: Wie wichtig ist das Stimmrecht? Warum war Deutschland so erpicht darauf, zugleich das Stimmrecht zu entziehen? Denn das wird ja nicht kommen.

    Schäuble: Das wird geprüft. In den Schlussfolgen des Rats steht drin – übrigens genau so, wie es die van-Rompuy-Task-Force von vor zwei Wochen, Montag vorvergangener Woche beschlossen hat als Empfehlung –, dass auch in die Prüfung einbezogen wird ein Entzug des Stimmrechts in bestimmten Fällen. Das steht jetzt auch in der Beschlussfassung des Europäischen Rats. Das kann man so verstehen. Das waren ja nicht nur wir, die diese Forderung eingebracht haben. Sonst wäre es ja nicht einstimmig auch in dem Bericht aller 27 Mitgliedsländer der van-Rompuy-Task-Force erwähnt worden.

    Wenn ein Land zahlungsunfähig ist, dann sind finanzielle Sanktionen möglicherweise gar nicht mehr sehr abschreckend. Und deswegen haben die nichtfinanziellen Sanktionen möglicherweise eine stärkere Wirkung in einem solchen Fall oder eine ergänzende. Deswegen haben Frankreich und Deutschland es vorgeschlagen, andere Länder auch. Deswegen hat man es auch in dieser Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des europäischen Ratspräsidenten van Rompuy in den Katalog möglicher Verbesserungen zur Stärkung der Effizienz der Stabilität zum Wachstumspakt aufgenommen. Und da steht es jetzt auch drin, die ganzen Erklärungen vorab vor dem Europäischen Rat. Ja gut, das ist das übliche öffentliche Balehu. Da ging es auch ein bisschen darum, dass manche sich geärgert haben, dass Frankreich und Deutschland ihre Führungsverantwortung wahrgenommen haben. Aber das sind im Zweifel dieselben, die kritisieren, wenn Frankreich und Deutschland nicht eine gemeinsame Position haben, dass Frankreich und Deutschland ihrer Verantwortung, Europa voran zu bringen, nicht gerecht werden.

    Adler: Herr Schäuble, ich möchte noch mal zurück nach Deutschland kommen. Sie haben ja sehr, sehr starke Sparvorgaben gemacht. Wird Sparen angesichts des nun nicht mehr so hohen Schuldenberges, wie wir das erwartet haben noch zu Anfang des Jahres, schwieriger?

    Schäuble: Politisch gibt es ja durchaus kontroverse Debatten. Die einen sagen, man müsse sogar mehr sparen. Die anderen sagen, jetzt kann man es sich ja ein bisschen leichter machen, wenn man schon so gute Erfolge hat. Meine Position, und das ist die Position der Regierung und der Koalition, ganz einmütig: Wir sind auf dem richtigen Weg und deswegen lassen wir uns durch Erfolge nicht davon abbringen, sondern setzen ihn umso entschiedener fort. Genau das haben wir im Übrigen in dieser Woche mit den Haushaltbegleitgesetzen getan. Und das werden wir auch bis zur Verabschiedung des Haushalts Ende November im Bundestag genau so beweisen.

    Adler: Der Sparhaushalt oder das Sparprogramm, das Sie den Ministerien auferlegt haben, hatte ja eine ziemlich unerwartete Nebenwirkung, nämlich die Aussetzung der Wehrpflicht. Hätten Sie sich das träumen lassen, dass Sie sozusagen mit dieser strengen Vorgabe für den Minister zu Guttenberg, doch auch in seinem Verteidigungsressort zu sparen, das bewirken und damit ja letzten Endes den Unionsparteien sozusagen ein wichtiges Identifikationsmerkmal rauben?

    Schäuble: Nein, Frau Adler, so ist es ja nun nicht ganz gewesen. Aber in der Tat habe ich, wie es sich für eine ordentliche Regierung gehört, und wir arbeiten viel besser, als es gelegentlich von außen wahrgenommen wird, mit Karl-Theodor zu Guttenberg darüber intensiv vorher gesprochen, ehe wir entsprechende Vorschläge gemacht haben. Er für die Reform der Bundeswehr, ich für die Sanierung des Bundeshaushalts. Das war miteinander besprochen. Deswegen tragen wir es auch gemeinsam. Und ich glaube, dass es auch eine richtige Entscheidung gewesen ist, und zwar in beiden Elementen. Aber es zeigt, wir scheuen diese Debatten nicht, wenn wir davon überzeugt sind, sie sind im Interesse unsere Verantwortung für die Zukunft notwendig.

    Adler: Es ist eine Debatte entstanden aufgrund eines Satzes, den Sie vor Jahren schon gesagt hatten, nämlich ‚Der Islam gehört zu Deutschland’, den nun der neue Bundespräsident Christian Wulff gesagt hat, CDU-Mitglied. Hat Sie das ein bisschen gewundert, dass dieser Satz für solche Aufregung sorgt?

    Schäuble: Nein, das wusste ich damals schon.

    Adler: Aber damals gab es die Aufregung nicht in dem Maße wie jetzt.

    Schäuble: Oh doch. Mein Satz, als wir die Islam-Konferenz gegründet haben, 'Der Islam ist auch ein Teil unseres Landes' – so habe ich es damals formuliert in einem Zeitungsaufsatz – hat sehr viel Wellen geschlagen. Ich finde es sehr gut, dass der Bundespräsident, der übrigens wie jeder Bundespräsident nicht Mitglied einer Partei ist, sondern er ist unser aller Bundespräsident, denn seine Parteimitgliedschaft ruht, seit er Bundespräsident ist. So ist das auch in der guten Ordnung. Aber ich finde, der Bundespräsident hat das mit seiner Rede am 3. Oktober, aber beispielsweise auch während seines Staatsbesuches in der Türkei, sehr gut gemacht. Er hat im übrigen manche Debatten, die es ja gab, was das Amt des Bundespräsidenten für unser Gemeinwesen bedeutet und was nicht, die sind inzwischen ganz erledigt. Weil jedermann sieht, der Bundespräsident kann, wenn er die Grenzen und die Möglichkeiten seines Amtes richtig wahrnimmt, unendlich viel Gutes für unser Land tun. Und das hat der Bundespräsident Wulff in dieser wichtigen Frage für unser Land in einer vorbildlichen Weise getan. Dabei ist er unterstützt von wesentlichen Teilen der Regierung, auch der früheren Regierung, auch vom früheren Innenminister mit der Gründung der deutschen Islam-Konferenz.

    Adler: In 14 Tagen wird die CDU zu ihrem Parteitag zusammenkommen. Mit welchem Ergebnis als Parteivorsitzende rechnen Sie für Angela Merkel?

    Schäuble: Ach du lieber Gott! Sie wird ganz unstreitig mit einer hohen Mehrheit wiedergewählt werden. Aber wissen Sie, diese Mechanismen, wie viele Minuten wird hinterher geklatscht, oder ist der Prozentsatz ihrer Wiederwahl nun bei 98,7 oder bei 96,3 oder bei 92,5 Prozent – das ist derartig irrelevant. Das ist am Tag danach vielleicht noch für die Zeitungen eine Zeile wert, zwei Tage später ist das vergessen. Angela Merkel ist als Vorsitzende der CDU Deutschland und als Bundeskanzlerin völlig unbestritten, und sie ist eine außergewöhnlich führungsstarke und erfolgreiche Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende der CDU auch. Und wer noch einen Zweifel daran hatte, muss ihn eigentlich seit dem Ergebnis des Europäischen Rats am Donnerstag und Freitag dieser Woche auch in den Papierkorb legen.

    Adler: Sagt Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister. Herr Schäuble, vielen Dank für das Gespräch.