Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Ich glaube nicht an Hypes"

Stéphanie Sokolinski, genannt SoKo wurde 1986 in Bordeaux geboren. Ihr Vater: halb Pole, halb Russe. Die Mutter: halb Italienerin, halb Französin. Das Geteilte, Unentschiedene hat sich SoKo bis heute bewahrt. Ihre Musik bezeichnet sie unter anderem als geflüsterten Punk.

Von Eric Leiman | 03.03.2012
    Nein, das ist nicht "Sunday Morning" von Velvet Underground mit Sängerin Nico – das ist SoKo. SoKo wurde 1986 in Bordeaux geboren. Ihr Vater: halb Pole, halb Russe. Die Mutter: halb Italienerin, halb Französin. Das Geteilte, Unentschiedene hat sich SoKo bis heute bewahrt. Ihre Musik, eine Art LoFi-Dream-Folk, bezeichnet sie unter anderem als geflüsterten Punk, als Spagat zwischen Tiger und Katze, als zur Hälfte tief schürfend und zur anderen Hälfte albern.

    "Ich verlor meinen Vater, als ich fünf Jahre alt war. Er starb einfach im Bett bei meiner Mutter. Ohne dass er zuvor krank war oder sich schlecht fühlte. Seitdem hatte ich so viel mit dem Tod zu tun, dass mir dieses Schicksal unausweichlich erscheint. Ich habe Angst morgen zu sterben. Wenn du in diesem Bewusstsein lebst, bringt dich das in einen bestimmten Zustand. Du denkst: Es mag nicht lange dauern. Dann lebst du dein Leben aus dem Vollen, weil du es weißt, du hast keine andere Wahl."

    Nun, die Motivation für SoKos Kunst ist damit geklärt. Direkt nach dem Tod des Vaters, sagt sie, lud sie sich Tonnen von Aktivitäten auf, um ihren fünfjährigen Geist beschäftigt zu halten. Sie spielte Klavier, später Gitarre, nahm bereits im Vorschulalter Schauspielunterricht und verließ mit 16 ihr Elternhaus. Es folgten die Jahre in Paris: Schauspielschule, erste Filmrollen – vor allem aber verbrachte SoKo viel Zeit alleine in ihrem Zimmer.

    "Ich wurde ein Musiknerd. Ich hörte mir alles an, was ich kriegen konnte. Musik war meine Nahrung, ich mache nichts anderes...und ich schreibe das alles für mich allein. Ich hatte allerdings wahnsinnig Angst davor, dass ich etwas aufnehme, das den Leuten nicht gefällt. Deshalb habe ich jetzt fünf Jahre gearbeitet, habe mein ganzes Herz und meine Seele in dieses Album gelegt, damit es so ehrlich und aufrichtig ist, wie ich auch mein Leben zu leben versuche. Es ist nicht einfach, dieses Gefühl in einem Tonstudio zu erzeugen. Das Studio ist ein künstlicher Ort. Ich hatte immer Angst davor, mit dem Lügen anzufangen, sobald ich eine Platte aufnehme. Weil ich die Lieder dann nicht mehr direkt an die Menschen richte. Ich habe einfach lange gebraucht für die Platte, weil ich sicher gehen wollte, dass ich ehrlich und aufrichtig bleibe."

    Bis zur Platte sollte es von jenen Teen-Tagen in einem kleinen Pariser Zimmer noch eine Weile dauern. 2007 nahm SoKo den Song "I'll Kill Her" auf. Eigentlich eine hingerotzte Demoaufnahme, die sensationell in mehreren Ländern die Charts eroberte. Ein Lied, das es heute nirgendwo mehr zukaufen gibt, das aber im Netz kursiert – auch als Video. Ein unverblümtes Hasslied an eine erfolgreiche Konkurrentin um einen Mann. SoKo, deren Texte kaum poetisch kodiert, fast schon schmerzhaft unverstellt ehrlich sind – sie wurde wohl auch gerade wegen dieser Eigenschaften zum Pop-Phänomen, das aufhorchen ließ.

    Designerin Stella McCartney nutzte die Lieder von SoKo, um sie während einer großen Modenschau in Paris zu spielen. Für den Film "À l'origine", der 2009 im offiziellen Wettbewerb von Cannes lief, erhielt SoKo eine César-Nominierung als beste Nachwuchsschauspielerin. Und was machte die scheue, gespaltene Künstlerin aus dem plötzlichen Ruhm?

    "Ich hasse das doch alles. Ich glaube nicht an Hypes. Musik ist alles, was ich liebe. Ich möchte mein ganzes Leben Musik machen und nicht nur für einen kurzen Moment, und dann ist es vorbei. Ich glaube nicht, dass ich hierher gehöre. Ich habe mich von der Welt zurückgezogen, mich in Los Angeles versteckt, wo ich niemanden kannte. Da scheint die Sonne, das hilft meiner Depression."

    Seit einigen Jahren lebt SoKo nun in den USA. Nur zum Filmen kommt sie nach Frankreich zurück. In Los Angeles fand sie neben der Sonne den Toningenieur Fritz Michaud, der auch mit dem verstorbenen Kult-Songwriter Elliott Smith arbeitete. Mit ihm nahm SoKo über acht Monate ihr Debütalbum auf. Dann, als schon keiner mehr damit rechnete.

    "Jeden Tag saß ich mit ihm in diesem kleinen Raum. Es war noch nicht mal ein Studio, nur sein Laptop, zwei große Lautsprecher. Und ich quietsche meine Songs, sage ihm: Kannst du das hoch- oder runterdrehen? Und: Ich will mich so anhören, als würde ich meinen Gesang an jemanden richten. Ich schreibe meine Songs nämlich immer für einen ganz bestimmten Menschen. Das ist wie ein Geschenk oder ein Brief, aber es bedeutet so viel mehr als nur Worte. Sorry, dass es jetzt auch andere Leute auch hören."

    "Ich wollte, dass das Album sehr warm klingt - wie eine komfortable Decke. Ich wollte, dass dich die Melodien verfolgen, ich baute eine Menge uuuuhs in die Songs ein. Ich liebe es, mit durch viel Hall hindurch zu singen. Ich mag Engelschöre und wenn ich live spiele, bitte ich freunde, die Engel zu imitieren. Oft frage ich auch das Publikum, dass sie die Uuuhs machen. Wenn alle im Raum singen, fühlt sich das toll an."

    Die meisten Instrumente auf "I Thought I Was an Alien" hat SoKo übrigens selbst gespielt. Gitarren, Keyboards, Percussion – hier und da haben ein paar Streicher und Bläser ausgeholfen. Eine Freundin spielte weitere Gitarren. Die wunderschöne Stimmung dieses sanften und doch irgendwie ungehobelten Albums, erinnert manchmal an den manisch-depressiven Songwriter Daniel Johnston, übrigens ein großes Idol von SoKo. Darüber hinaus hört man die Spielzeugklangwelten von CocoRosie, wenn man will eine Flüster-Variante von Feist und ganz sicher auch bisschen Nico. "I Thought I Was An Alien" ist sicher eines der schönsten ruhigen Popalben dieses Jahres, auch wenn die Schönheit der Lieder – wenn man SoKo glaubt – der Verzweiflung abgerungen wurde. Man kann nur hoffen, dass SoKos Weg weiter geht. Dass ihre Musik auch sie selbst in den Arm nimmt und ihr vielleicht eine tröstende Decke überwirft.