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"Ich habe den Eindruck, dass Papandreou und seine Regierung eine Menge machen"

Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz, kritisiert das Vorgehen der EU. Sie setze Griechenland zu stark unter Druck, damit werde man eher das Gegenteil erreichen. Stattdessen müsse der Regierung in Athen mehr Zeit gegeben werden, die geplanten Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushalts umzusetzen.

Martin Schulz im Gespräch mit Bettina Klein | 11.02.2010
    Bettina Klein: Guten Morgen, Herr Schulz!

    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: So viele Möglichkeiten zur Hilfe hat die Europäische Union ja gar nicht, wir haben es gerade gehört. Welche konkreten Maßnahmen könnten Sie sich vorstellen, halten Sie für realistisch im Augenblick?

    Schulz: Ich will offen bekennen, dass ich erstaunt bin über das, was da zurzeit abläuft. Die Maßnahmen, die die EU-Kommission im Rahmen des Stabilitätspakts und der Ausführung des Stabilitätspakts den Griechen auferlegt haben. Diese Maßnahmen sind von der Regierung in Athen eigentlich alle akzeptiert worden und die durchzusetzen, das hat der Herr Finthammer ja gerade erwähnt in seinem Beitrag, ist extrem schwierig. Im Lande selbst gibt es enormen Widerstand und ich habe den Eindruck, dass Papandreou und seine Regierung eine Menge machen. Ich begreife nicht, warum das alles nicht genügen soll. Man muss einem Land, das eine solche Erblast, die Regierung, die hat das ja geerbt, die jetzige Regierung ist drei Monate im Amt, auch mal eine gewisse Zeit einräumen.

    Klein: Das heißt, Sie erachten Hilfe der europäischen Union gar nicht für notwendig?

    Schulz: Man muss einem Land mal eine Zeit einräumen, um nachzuweisen, dass die Maßnahmen auch greifen. Und diese Zeit wird den Griechen nicht gegeben. Und sie haben ja die Rating-Agenturen erwähnt, die jetzt angeblich Griechenland schon wieder in der Kreditwürdigkeit nach unten setzen. Ich würde gerne mit den Staats- und Regierungschefs heute Morgen mal darüber diskutieren, wer eigentlich die Rating-Agenturen sind und welches Interesse die daran haben, zu bewerten und zu beurteilen, dass die Maßnahmen nie greifen, die Zinsen für Griechenland dadurch wieder teurer werden, ausgelobte Kredite, die ja irgendwann irgendwoher kommen werden, entweder aus den Staatshaushalten oder von Anleihen über Privatbanken, teurer werden. Dadurch ja höhere Zinsen fällig werden, die kriegt ja irgendjemand, diese Zinsen. Wer ist das, der diese Zinsen dann bekommt? Und wer hat ein Interesse daran, dass die Zinsaufschläge tatsächlich so kommen? Die Rating-Agenturen, aber wer sind diese Rating-Agenturen? Das ist so eine kleine Frage, die ich nur mal am Rande stelle, weil darüber nie einer diskutiert.

    Ich glaube, man muss ganz, ganz vorsichtig sein, mit dem was da läuft. Weil Griechenland wird nicht saniert werden, wenn die soziale Balance im Lande so infrage gestellt wird, wie das im Augenblick, durch die – nach meinem Dafürhalten – Hysterie, die da angezettelt wird, zu kommen droht.

    Klein: Sie sprechen von Hysterie, Herr Schulz, aber die Stabilitätskriterien sind ja mal nicht ohne Grund eingeführt worden. Und Griechenland verstößt dagegen nicht nur ein wenig, sondern erheblich. Also die Gefahren für die Stabilität der Gemeinschaftswährung sind doch vorhanden, oder bestreiten Sie das?

    Schulz: Nein, das bestreite ich überhaupt nicht. Aber man muss mal versuchen, die Kirche im Dorf zu lassen. Natürlich ist der Stabilitätspakt eingeführt worden, natürlich hat die Regierung in Athen, die Regierung des Herrn Karamanlis die Bilanzen gefälscht, das muss man offen so sagen. Aber man muss umgekehrt auch mal den Anteil sehen, den die griechische Volkswirtschaft prozentual im Euro-Raum hat. Deutschland und Frankreich, alleine diese beiden Staaten stellen mehr als 50 Prozent des Bruttosozialprodukts der Euro-Zone. Ich weiß nicht, wie hoch der Anteil bei Griechenland ist, ich glaube, viereinhalb Prozent des gesamtwirtschaftlichen Volumens der Euro-Zone kommen aus Griechenland. Das heißt eine Instabilität in Griechenland, in einem kleineren Teil der Gesamt-Euro-Zone und ihres Wirtschaftsvolumens, hochzustilisieren, zu einer Gefährdung des gesamten Euros, das ist meiner Meinung nach erlaubt, aber ist auch Politik, denn realwirtschaftlich kann das dem Euro gar nicht schaden.

    Klein: Aber der Kurs des Euro ist gesunken, Herr Schulz, und soweit ich es verstanden habe, hängt das doch zu guten Teilen auch mit der Situation in Griechenland zusammen.

    Schulz: Ja klar, weil an den internationalen Finanzplätzen natürlich – und da komme ich zu meiner vorherigen Aussage zurück – damit gespielt wird, was in Griechenland abläuft. Die Frage, die wir erörtern, ist nicht, ob Griechenland sanieren muss, das ist völlig unstrittig und, dass die Maßnahmen hart sind, und brutal sind, das ist völlig klar. Und, dass sie extrem schwer durchzusetzen sind, das wissen Sie so gut wie ich.

    Die Frage, die ich aufgeworfen habe, ist nicht, dass die Maßnahmen nicht durchgeführt werden müssten, im Gegenteil, die müssen durchgeführt werden, um der Glaubwürdigkeit des Euros und des Stabilitätspakts Willen. Ich habe nur eine Gegenfrage zu Ihrer ersten Frage mir erlaubt, zu stellen. Warum eigentlich 14 Tage, drei Wochen, nachdem die ersten Maßnahmen der griechischen Regierung auferlegt worden sind, die die alle wortlos akzeptiert haben und die schwer durchzusetzen sind im Land, jetzt die EU-Kommission hingeht und sagt, und das alles reicht uns nicht, ihr tut nicht genug. Man wird jawohl noch das Recht haben, zu sagen, da sind wir anderer Meinung.

    Ich persönlich zum Beispiel glaube, dass Herr Almunia nicht Recht hat, ich glaube, dass die griechische Regierung extrem viel tut. Ich will noch ein Argument hinzufügen, Frau Klein. Wenn man die Maßnahmen, die drakonisch sind, da geht es um Kürzungen von Gehältern im öffentlichen Dienst, da geht es um Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst, da geht es um Steuererhöhungen, da geht es um die Kürzung der Sozialleistungen, da geht es um die Streichung von Infrastrukturprojekten, die Arbeitsplätze kosten werden. Das sind alles Maßnahmen, da kann man ja nicht sagen, ja Leute macht mal, die muss man erst mal durchsetzen. Jetzt ist die Regierung bereit, das durchzusetzen, dann geht Brüssel hin und sagt, das reicht nicht. Wenn man jemanden sein Land sanieren lassen will – ich wiederhole das noch mal – dann muss man ihm auch mal die Zeit geben, damit zu beginnen, andererseits funktioniert das nicht.

    Klein: Ja, Herr Schulz, ich würde jetzt gern auch noch mal ein Argument anführen. Denn wir haben ja gesehen, Griechenland hat gestern gestreikt, ein Großstreiktag. Und soweit ich es verstanden habe, wurde nicht gestreikt gegen Misswirtschaft im Land, sondern eben gerade gegen diese Sparmaßnahmen, die Sie ja genannt haben und die Sie selbst auch als notwendig bezeichnet haben. Das heißt, die Frage ist ja, wird das wirklich aufgehen und werden diese Sparmaßnahmen durchgesetzt werden können, wenn die Griechen offenbar gar nicht dazu bereit sind?

    Schulz: Ich versuche es noch mal. Natürlich, damit haben Sie Recht, die Griechen streiken gegen die EU, weil sie nicht den Eindruck haben, dass ihre Regierung die bösen Buben sind, sondern die in Brüssel. Jetzt sagt die Regierung Papandreou ja nicht etwa, ja liebe Leute, ihr habt Recht, sondern die Regierung in Athen sagt ihrem Volk, wir müssen diese Auflagen erfüllen und wir setzen das durch. Es ist ja nicht Papandreou, der gestreikt hat, sondern es wird gegen ihn gestreikt. Aber es ist Papandreou, dem in Brüssel gesagt wird, alles was du machst, reicht nicht, du musst noch mehr tun. Ich stelle jetzt mal die Gegenfrage: Wie soll er das denn machen, wenn man ihm nicht einmal die Zeit gibt, die ersten kleinen Schritte zu machen?

    Das was in Brüssel läuft, ist, der Regierung Giorgos Papandreou zu unterstellen, sie würde nicht ehrlich arbeiten. Und da bin ich anderer Meinung, ich erlaube mir noch einmal zu sagen, ich glaube, dass der Druck, der ausgeübt wird, gerechtfertigt ist. Ich glaube aber, dass er zu groß ist und zum Gegenteil führen wird, von dem, was erreicht werden soll. Erreicht werden soll die Sanierung des Landes, erreicht werden soll nicht die Revolte gegen die Regierung, die das Land sanieren soll und muss.

    Also noch einmal, die Maßnahmen sind richtig, aber man ist im Moment in meinen Augen dabei, zu überdrehen und wird am Ende nicht die Sanierung des Landes erreichen. Das aber genau ist für die Stabilität des Euros wichtig. Verkürzt: Die Maßnahmen sind erforderlich, sie sind hart, aber man muss der Regierung ein Stückchen mehr Zeit geben, sie durchzusetzen. Und ich frage noch einmal, wer sind diese Rating-Agenturen, die übrigens in der Finanzmarktkrise eine ganz üble Rolle gespielt haben, und jetzt wieder diejenigen sind, auf deren Urteile sich alle berufen.

    Klein: Eine Frage, auf die wir weiter eine Antwort suchen müssen. Das war das Plädoyer von Martin Schulz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Schulz!

    Schulz: Danke Ihnen!