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"Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jetzt noch jemand wagt, weiter zu zocken"

Der Investor Nicolas Berggruen, der die insolvente Warenhauskette Karstadt übernehmen will, hat sich gestern mit den Gläubigern des Immobilienfonds Highstreet auf Mietnachlässe für die Kaufhäuser geeinigt. Es fehlen noch wichtige Unterschriften.

Margret Mönig-Raane im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.09.2010
    Margret Mönig-Raane, stellvertretende ver.di-Vorsitzende, ist sich aber sicher: Die Zerschlagung ist vom Tisch.

    Christoph Heinemann: Guten Morgen.

    Margret Mönig-Raane: Guten Morgen!

    Heinemann: Frau Mönig-Raane, sind Sie sicher, dass am Vormittag alle Unterschriften zusammenkommen?

    Mönig-Raane: Ziemlich sicher. Es ist ja ein wirklich einmaliges, also ich habe es jedenfalls noch nicht erlebt, Schauspiel kann man gar nicht sagen, sondern Vorgang, dass eine Vertragsverhandlung solche Sprünge, Rückwärtssalten und sonst was macht und dass ein Wort, eine Abstimmung nicht gleichzeitig auch das wirkliche Ende der Verhandlungen ist, sondern dass man jetzt hinter 60 bis 80 Unterschriften insgesamt noch herlaufen muss und wahrscheinlich noch an verschiedenen Orten. Nach meiner Information fehlen noch zwei Unterschriften, aber da jagen auch die Gerüchte und manchmal werden sie noch extra gestreut und angeheizt. Also das ist wirklich nervenaufreibend gewesen und ist es bis zum Schluss.

    Heinemann: Aber die Zerschlagung ist für Sie endgültig vom Tisch?

    Mönig-Raane: Die Zerschlagung ist für mich vom Tisch, weil ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass es jetzt noch jemand wagt, weiter zu zocken, weil darum ging es tatsächlich, wer bekommt wie viel noch am Ende raus von den Geldgebern, sondern dass jetzt diese Einigung auch steht und dass die tatsächlichen Unterschriften auch beigebracht werden.

    Heinemann: Frau Mönig-Raane, Karstadt ist fürs Erste gerettet, aber noch lange nicht saniert. Wie kommt der Konzern wieder auf die Beine?

    Mönig-Raane: Nun, das vergangene Jahr war kein schlechtes Jahr und klar ist, in der Insolvenz gelten andere Gesetze, und jetzt geht es darum, dass Herr Berggruen und seine Manager - und Managerinnen sind da auch bei – gucken, wie sie Schritt für Schritt dieses Unternehmen wieder auf eine richtig gute, profitable Basis stellen.

    Heinemann: Wie denn?

    Mönig-Raane: Ich bin ja nicht Managerin bei Karstadt, aber klar ist, meine Überzeugung ist es jedenfalls, dass für zwei Warenhäuser in Deutschland gut Platz ist und dass es darum geht, Kunden und Beschäftigte mit entsprechenden Konzepten an sich zu binden und zu überzeugen, und dann klappt das schon.

    Heinemann: Aber das genaue Sanierungskonzept kennen Sie nicht?

    Mönig-Raane: Nein. Es gibt ein paar Eckpunkte, wo gesagt wird, klar bleibt der Schwerpunkt Mode, und da ist die Frage, was nimmt man rein, was fliegt raus, was muss man noch machen, damit man an den jeweiligen Standorten das von den Kunden erwartete Angebot auch hat und vielleicht noch ein bisschen mehr.

    Heinemann: Frau Mönig-Raane, das Problem ist ja allgemeiner Art. Haben Warenhäuser wie Karstadt überhaupt noch eine Zukunft?

    Mönig-Raane: Warum nicht? Die Frage, welche Vertriebsformen in welchem Land – ich gucke Frankreich oder Italien oder Großbritannien an – erfolgreich sind, hängt ja weniger davon ab, welche Vertriebsform es ist, sondern ob sie gut gemacht sind, ob sie profitabel geführt werden können. Und so zu tun, als gebe es so was wie ein Naturgesetz, dass nur ein Warenhaus statt zwei oder mehr in Deutschland eine Zukunft hätten, das kann ich nicht erkennen. Deswegen ist es wirklich eine Frage, schaffen die Manager und Managerinnen es, ein Profil zu erarbeiten oder zu schärfen, weil Karstadt wie auch Kaufhof sind ja nicht unerfolgreich, aber es muss noch ein Stück besser werden und weiterentwickelt werden, und da sehe ich gar nicht, warum das nicht möglich sein soll.

    Heinemann: Welche Kröten sind denn die Mitarbeiter oder auch die Gewerkschaft bereit zu schlucken?

    Mönig-Raane: Wir haben reichlich geschluckt und ein Grund, warum wir dem Angebot von Herrn Berggruen erst mal sehr zugewandt waren, was natürlich noch weitere Prüfungen dann damals auch nach sich gezogen hat, wie solide es ist, war natürlich, dass er sagt, die Beschäftigten haben genug gezahlt, wir haben Respekt davor, was die alles schon bezahlen, nämlich 56 Millionen für drei Jahre, jedes Jahr, und das ist genug. Jetzt geht es darum, sozusagen den konstruktiven Aufbau und Umbau zu machen.

    Heinemann: Und wie bekommt man die Kunden wieder in die Läden? Die sind ja in den letzten Jahren weggelaufen.

    Mönig-Raane: Weggelaufen sind sie nicht, aber es müssten mehr sein. Das ist schon richtig.

    Heinemann: Sie sind nicht gekommen.

    Mönig-Raane: Ja. Also dadurch, dass man sich genauer anguckt, an welchen Standorten denn welche Kunden potenziell und tatsächlich kommen, was die wünschen, und dass ausreichend Personal da ist, damit auch Beratung stattfinden kann, denn es muss sich ja unterscheiden vom Discounter-Vertriebsangebot, wenn man in ein Warenhaus geht. All diese Dinge, denke ich, müssen angepackt werden.

    Heinemann: Frau Mönig-Raane, den Gewerkschaften ist ja von Kritikern eine Mitschuld gegeben worden am Niedergang von Karstadt. Die Betriebsräte hatten sehr viel Macht im Konzern, haben Management-Entscheidungen auch abgeblockt, was den Konzern ja auch relativ unflexibel gemacht hat. Welche Rolle wollen Sie, welche Rolle will die Gewerkschaft im neuen Karstadt spielen?

    Mönig-Raane: Diese Behauptung halte ich für ein böses Gerücht.

    Heinemann: Aber Sie kennen sie?

    Mönig-Raane: Die Behauptung kenne ich. Ich halte sie für falsch, denn hätte es Management-Konzepte gegeben, die erfolgreich sind, die nicht einfach hier nur auf dem Rücken der Beschäftigten irgendwas realisieren wollen sozusagen, wie andere das vielleicht machen, KAPOVAZ, also Arbeit auf Abruf, man wird morgens angerufen und muss mittags zur Arbeit kommen und hat überhaupt keine planbare Freizeit mehr und kein planbares Familienleben mehr, das geht gar nicht. Das kann man auch intelligenter machen und trotzdem eine optimale Besetzung haben. Also insofern geht es darum, zu gucken, wie kann man Interessen von Kunden und Interessen von Beschäftigten gut übereinander bringen, und mit intelligenten Arbeitszeitsystemen kann man das sehr wohl.

    Heinemann: Und welche Rolle werden Sie spielen, die Gewerkschaften?

    Mönig-Raane: Karstadt ist ja eines von vielen Unternehmen im Einzelhandel und wir werden sehen, dass wir im gesamten Einzelhandel die Arbeitsbedingungen weiter verbessern und dort, wo sie richtig schlecht sind, überhaupt erst mal auf ein anständiges Niveau auch zu bringen, wobei wir dabei die Beschäftigten selber nur unterstützen können. Wir können es ja nicht an ihrer Stelle tun. An diesen vielen Baustellen werden wir weiter arbeiten.

    Heinemann: Frau Mönig-Raane, Sie hatten im Frühjahr 2009 nach Staatshilfen gerufen, als Arcandor in finanzielle Schieflage gerutscht ist.

    Mönig-Raane: Ja.

    Heinemann: War es aus heutiger Sicht richtig, dass die Bundesregierung diese Hilfe verwehrt hat? Es geht ja offenbar auch ohne.

    Mönig-Raane: Über diese Frage denke ich in der Tat noch nach. Gucke ich nur auf Karstadt, sage ich ja, es ging auch ohne. Gucke ich auf Quelle, sage ich, das sind viele Zehntausend Arbeitsplätze, die vernichtet sind, von den Menschen sind noch viele arbeitslos, und deswegen ist diese Antwort wirklich nicht leicht. Ich glaube, dass Quelle zu retten gewesen wäre, aber "hätte" und "wenn" hilft heute auch nichts mehr.

    Heinemann: Margret Mönig-Raane, die stellvertretende ver.di-Vorsitzende. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Mönig-Raane: Gerne! Auf Wiederhören!

    Weitere Informationen:
    Schritt für Schritt - Der lange Weg zur Karstadt-Rettung - Hintergrund (DLF, 28.7.2010)
    "Da muss ja wohl eine Einigung möglich sein" - Interview mit der ver.di-Vizevorsitzende Mönig-Raane, (DLF, 9.8.2010)
    Arcandor beantragt Insolvenz - Beitrag (DLF, 9.6.2009)