Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ich-Plakate
Das Gesicht als Aufmerksamkeitsmaschine

Ob in der Werbung oder im Wahlkampf, immer wieder blicken uns Gesichter von großformatigen Plakaten an und wollen unsere Aufmerksamkeit. Aber das ist kein Phänomen unserer Zeit, sondern entwickelte sich über die Jahre. Die Geschichte dieser Gesichtsabbildungen hat Valentin Groebner in seinem Buch "Ich-Plakate" untersucht.

Von Joachim Büthe | 01.02.2016
    Wahlplakate zur Parlamentswahl in Spanien am 20. Dezember
    Wahlplakate, wie hier in Spanien, wollen die Aufmerksamkeit des Betrachters. (dpa / picture-alliance / Eliseo Trigo)
    Nicht jede, aber fast jede Kampagne braucht ein Gesicht. Von den Plakaten schaut und spricht es uns an, will Nähe und Vertrautheit suggerieren, damit wir seine Botschaft in uns aufnehmen und im Idealfall zu eigen machen. Valentin Groebner untersucht die Methoden und Vorbilder, auf die sich Plakate, die Ich sagen, beziehen, sei es bewusst oder unbewusst. Heutige Plakate erzielen ihre Wirkung auch durch Vervielfältigung und massenhafte Verbreitung. Groebner geht weit zurück in der Geschichte der Gesichtsabbildungen und beschreibt, dass die Vervielfältigung im Mittelalter völlig anders gesehen wurde.
    "Das christliche Mittelalter ist eine bilderskeptische Kultur. Es dauert ziemlich lange, bis das Bild eines menschlichen Gesichts ins Zentrum der Verehrung rückt. Das ist natürlich nicht irgendein Gesicht, sondern das Bild Christi persönlich, und das ist deswegen echt, weil es, so die byzantinische Überlieferung, eben nicht menschengemacht sei. Es ist von keiner menschlichen Hand berührt, so heißen diese Bilder im griechischen Original, sondern es ist deswegen echt, weil es sich selbst vervielfältigen kann. Gerade die Tatsache, dass es sich selbst vervielfältigen kann, macht es zum Original. Eine Vorstellung die uns, als bilderfreundlicher Kultur, ganz fremd erscheint. Aber in einer bilderskeptischen Kultur ist es der Beweis, dass es tatsächlich das Gesicht Gottes ist, denn mit allem anderen würde das nicht funktionieren."
    Aus der bilderskeptischen Haltung wird eine sehr bilderfreundliche
    Es dauert jedoch nicht allzu lange bis sich eine andere Form der Bildbetrachtung durchsetzt, die sich bis heute im Kern erhalten hat. Gesichter zu lesen, ihre Empfindungen zu deuten, ist eine Fähigkeit, die wir im Alltagsleben brauchen. Die Versuchung liegt nahe, dies auf Abbildungen zu übertragen. Die Techniken, mit denen das gelingt, sind allerdings noch älter als das Mittelalter. Wie kann die Animation der eigentlich unbeseelten Abbildung gelingen?
    "Mit literarischen Techniken. Vor allem mit einer ganz simplen rhetorischen Technik, die die alten Griechen prosopopeia genannt haben, nämlich den Trick eines Autors, einer unbelebten Sache eine Sprache, eigene Aussagefähigkeit, eigene Ausdrucksfähigkeit zuzuschreiben. Das ist etwas, das in Bezug auf Bilder, vor allem in Bezug auf Bilder von Gesichtern seit 500 Jahren gemacht wird. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts kippt in relativ kurzer Zeit die vorher bilderskeptische Haltung in Bezug auf religiöse Porträts in eine sehr bilderfreundliche. Das Gesicht des toten Heiligen, sein Porträt wird verwendet, um seinen Kult zu befördern. Ab dieser Zeit, seit den 1430er-, 1440er-Jahren gibt es auch im weltlichen Bereich Beschreibungen von Porträts, von denen gesagt wird, sie scheinen zu atmen, sie scheinen zu leben, man könne den Charakter des oder der Porträtierten daraus herauslesen. Es sind zum größten Teil Wiedergänger antiker rhetorischer Topoi, die die belesenen Humanisten aus der Antike in ihre eigene Zeit beamen und für ihre eigenen Zwecke verwenden. Als Textbausteine könnte man etwas spöttisch sagen."
    Bilder machen ist eine sehr technische Tätigkeit
    Besonders in der älteren Kunstgeschichtsschreibung kann man diese Textbausteine unschwer erkennen und ihre Spuren lassen sich bis heute verfolgen. Valentin Groebner verfolgt einen weniger spekulativen Ansatz und führt stattdessen vor, dass manche Porträts erst nach dem Ableben des Porträtierten entstanden sind, andere der falschen Person zugeschrieben worden sind, von dem Wunsch der Porträtierten, besser da zu stehen als in der Realität, ganz zu schweigen.
    "Die emphatischen Beschreibungen der älteren kunsthistorischen Forschung kontrastieren halt sehr stark mit den Beschreibungen der Zeitgenossen der Maler, wofür diese Bilder gemacht worden sind, wer sie bezahlt hat, wie sie entstanden sind und wie sie weiterverwendet worden sind. Bilder machen ist erst mal eine relativ nüchterne und sehr technische Tätigkeit. Das wollte ich als Ausgangspunkt, wenn Sie so mögen, auch gern wieder zurückgewinnen. Auch wegen der vielen schönen Geschichten von Umwidmung und nachträglicher Verwandlung, die man auf diese Art und Weise erzählen kann."
    So nüchtern und technisch die Herstellung von Bildern auch sein mag, unser Umgang mit ihnen ist es nicht. Gerade die technisch erzeugten und so vielfach manipulierbaren Fotografien sind tief in unserem Gefühlshaushalt verwurzelt. Nicht nur das Foto in der Brieftasche steht pars pro toto für die Person, mit der wir uns verbunden fühlen. Valentin Groebner erzählt von den magischen Kräften, die der Fotografie im Alltagsgebrauch innewohnen. Das reicht von den Versuchen, aus Fotografien ein Volksgesicht, einen Volkscharakter zu konstruieren bis zum Wunsch, die Madonna von Einsiedeln möge die Personen, deren Fotos man ihr schickt, vor dem Tod im Krieg bewahren. Es sind diese magischen Momente in der Geschichte der Fotografie, die sich die Werbung mit ihren Ich-Plakaten zunutze macht.
    Das Bild als Spiegel
    "Ich äußere in dem Buch die Vermutung, dass diese großen Plakate, die uns anschauen und Ich sagen, auf zwei Weisen funktionieren. Die eine ist: Ich bin ein Spiegel. Ich bin wie du. Du könntest wie ich sein, wenn du genügend von diesem Bier trinkst oder genügend von dieser Gesichtscreme verwendest. Das ist tatsächlich der Blick in den Spiegel, den das Plakat, das Foto suggeriert als magische Möglichkeit. Es gibt aber eine zweite Funktionsweise, dass da jemand ist, der sagt: Ich sehe dich. Ich schaue dir in die Augen und ich möchte, dass du das tust, die einen Wunsch, eine Aufforderung, einen Befehl äußert. Das können die klagenden Kinderaugen von den Spendenplakaten sein oder der Oberbefehlshaber der britischen Armee, der sagt, 1914, auf einem berühmten Plakat: 'I want you for the british Army'. Das sind die Fortsetzer der alten religiösen Bilder, bei denen der Betrachter einen strengen Blick auf sich fühlen soll. Das Bild sagt dann: Ich sehe genau, was du tust."
    Es sind diese Ambivalenzen, die vermutlich noch ein anderes Gefühl erzeugen, nämlich die Beruhigung, dass man es nicht selbst ist, der da plakatiert wird.
    "Es gibt ein berühmtes Interview mit der alt gewordenen Marlene Dietrich, in dem sie sagt: Ich bin zu Tode fotografiert worden, so sehr, dass mir mein eigenes Gesicht nicht mehr gehört. Das ist ein Extremfall, und man muss niemandem wünschen, dass ihm oder ihr das passiert."
    Valentin Groebner: "Ich-Plakate. Eine Geschichte des Gesichts als Aufmerksamkeitsmaschine", S. Fischer, gebunden, 204 Seiten, 22,99 Euro