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"Ich schau, dass mein Hemd gebügelt ist"

In "Django Unchained" spielt er den Kopfgeldjäger Dr. Schultz aus Düsseldorf und erhielt dafür gerade den Oscar. Im Corsogespräch spricht Christoph Waltz über die deutsche Filmbranche und einen einflussreichen Opernbesuch mit Quentin Tarantino.

Von Sigrid Fischer | 25.02.2013
    Das Interview wurde vor Bekanntgabe der Oscars aufgezeichnet.

    Sigrid Fischer: Christoph Waltz, Sie betonen in den letzten Jahren immer wieder, welche Bedeutung Quentin Tarantino für Ihre Karriere hat, die teilt sich gewissermaßen in eine Vor- und in eine Nach-Tarantino-Ära. Wenn man schaut, was Sie seit "Inglourious Basterds" gedreht haben, ist die Nach-Tarantino-Phase mittlerweile vermutlich die Normalität für Sie, oder?

    Christoph Waltz: Nö, die Norm ist es nicht. Erstens hab ich nicht vergessen, wie es mir früher ging. Und zweitens sehe ich um mich herum, womit andere völlig gleichwertig begabte und wahrscheinlich noch bessere, erfahrenere Schauspieler als ich , wie es denen geht, das vergess ich nicht, keine Sorge.

    Fischer: Da meinen Sie jetzt vor allem Kollegen, die in Deutschland arbeiten, oder?

    Waltz: Na ja, das nur auf die Geografie bzw. den Kulturkreis… – Sie haben schon recht, aber ich finde nicht, dass das à la longue wahnsinnig hilfreich ist, wenn man die Auseinandersetzung damit dann erledigt, dass man sagt: ja in Deutschland!.

    Fischer: Aber darüber, warum wir im Filmbereich so wenig hinbekommen, darüber müsste man sich doch mal Gedanken machen, finden Sie nicht?

    Waltz: Absolut, Sie haben völlig recht. Das lässt sich auch nicht vermeiden. Keine Ahnung - wir haben in Deutschland wirklich so herausragende Talente und finanzielle Möglichkeiten, von denen der Rest der Welt träumt, und es gelingt uns nicht, die PS auf die Straße zu kriegen. Das ist absolut einen Gedanken wert. Ich kann mich erinnern, wie Kanzler Schröder plötzlich meinte, man müsste Eliteuniversitäten haben. Und sich dazu entschloss, einen diesbezüglich lächerlichen Geldbetrag an ein paar Institutionen hinzuschmeißen in der Hoffnung, dass daraus eine Eliteuniversität würde. Und wenn Sie sich die anderen Eliteuniversitäten anschauen, die es gibt - in Europa z. B., in England - Cambridge gibt es seit dem Ende des 13. Jahrhunderts und nur zum Zweck der Bildung. Das sind 700, 800 Jahre für die eine Stadt zur Bildung und Forschung existiert. Das ist das, was Elite ausmacht und nicht ein paar Euro. Ich glaube, dasselbe ist anwendbar auf das Kulturleben und speziell auf Film.

    Fischer: Wie viel von Ihrer europäischen Bildung haben Sie denn in das Drehbuch von "Django Unchained" eingebracht? Es heißt, Sie hätten daran mitgeschrieben.

    Waltz: Überhaupt nicht. Ich hab es gelesen. Ich hab es allerdings gelesen, während es im Entstehen war. Das ist der feine Unterschied. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mich eingemischt hätte, weil ich wär ja blöd. Weil ich will ja die Tarantino-Geschichte. Ich will ja nicht meinen alten Käse, den kenn ich schon. Ich finde es tausend Mal interessanter, mich zu bemühen zu verstehen, was wer anderer sagt, als ihm unbedingt meine Meinung aufs Auge zu drücken. Weil meine Meinung hab ich eh.

    Fischer: Und wenn Quentin Tarantino Sie nach Ihrer Meinung fragt?

    Waltz: Wenn er fragt, sag ich ihm, was ich denke. Aber er fragt nicht so oft.

    Fischer: Aber dass Figuren namens Siegfried und Brunhilde in einem Tarantino-Drehbuch landen, ist doch bestimmt (kein Zufall)ein bisschen Ihr Verdienst. Haben Sie nicht ein bisschen Nibelungennachhilfe gegeben?

    Waltz: Ich hab Quentin mitgenommen in die Oper. Und das war wirklich ein schönes Erlebnis. In Los Angeles hatte man gerade den gesamten Ring als einen Zyklus gespielt und das kommt ja nicht so oft vor. Und ich hatte zwar die einzelnen Opern schon häufig gesehen, aber nie im Zusammenhang, so wie es ja eigentlich gedacht war. Die erste konnte er nicht, 'Walküre' wollte er nicht oder - keine Ahnung - hatte er was anderes vor, und 'Siegfried' ist er dann mitgekommen. Dann fehlte ihm aber die Geschichte von Rheingold und Walküre, dann hab ich sie ihm erzählt. Und da war er dann schon so ein bisschen bedächtig, und dann sind wir gegangen, und dann wurde der immer stiller und ich dachte: Oh wei! .Aber in keiner Weise, der rückte immer weiter vor, und nachher hat er mir gesagt, er hat plötzlich die Analogie gesehen. Mir war das gar nicht so bewusst. Das Lustige dabei war aber, dass die Frau schon Broomhilda hieß. Das ist eigentlich wirklich eine wunderbare Beschreibung, wie er arbeitet. Weil der schreibt so Sachen und plötzlich: Huch! Das stimmt, die ganzen Bezüge, die Analogien, schreibt er so, und weiß es zum Teil gar nicht. Vielleicht weiß er es, aber er denkt nicht dran.

    Fischer: Mit dem Tarantino-Ansatz, historische Traumata in brutales Popcornkino zu verwandeln, wie in "Inglourious Basterds" haben Teile des Kinopublikums Probleme. Das finden die geschmacklos. Genauso im Fall von "Django Unchained", da hieß es, er verharmlose den Horror der Sklaverei. Auf jeden Fall irritiert er, bricht mit Konventionen. Wie geht es Ihnen damit, und wie beobachten Sie das im Vergleich zwischen Europa und Amerika?

    Waltz: Was mir immer klarer wird, auch durch diesen Erfolg noch mal vor Augen geführt wird: Unterhaltung bedeutet in Amerika ganz was anderes als für uns. Wir haben diese strikte Trennung von Unterhaltung und Seriösem. Die hab ich, ehrlich gesagt, teilweise verachtet, teilweise lächerlich gemacht, das entspricht überhaupt nicht meinem Ansatz und meinem Dafürhalten, das finde ich auch nach wie vor. Aber ich würde dem, was wir Unterhaltung nennen, nie dieses Maß an Ernsthaftigkeit oder Seriosität zuordnen, das es in Amerika hat. Ich war einmal bei einem Abendessen, wo sehr wichtige Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie zugegen waren, und plötzlich fiel mir auf, dass diese Menschen, die wir Unterhaltungsbosse nennen würden, dass die wirklich Macht haben, also politischen Einfluss. Die sitzen mit Barack Obama zum Mittagessen und diskutieren die Probleme. Stellen Sie sich mal vor, kein … naja, ich meine, vielleicht sitzt der Intendant vom ZDF mal mit dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz (zusammen). Na das wird interessant sein! Aber da geht es wirklich um - möglicherweise, weil das ökonomische Ausmaß exorbitant ist - diese Menschen haben tatsächlich Macht. Entertainment ist in Amerika nicht das, wofür wir es - zum Beispiel unsere Unterscheidung von E und U oder nicht - hier nehmen. Es hat einen völlig anderen Stellenwert in der Kultur. Umso eher müsste man folgerichtig behaupten, dass dem Entertainment eine Verantwortung anheim liegt. Ob die jetzt in dem Ausmaß wahrgenommen wird, wie es unserer Ansicht nach sein sollte, da bin ich mir nicht sicher.

    Fischer: Und im Fall von Tarantino und seinem Umgang mit Geschichte?

    Waltz: Im Fall von Tarantino ist es so eindeutig ein Kunstwerk, es ist so eindeutig ein ästhetischer Ansatz, es ist so eindeutig Grand Opéra, Grand Guignol, es ist nie mit irgendeiner vermeintlichen Realität zu verwechseln. Denn selbst wenn Sie sagen: Oh, das war aber jetzt so, man hatte das Gefühl, man ist in Irak oder Afghanistan und beobachtet den Menschen, wie er die Bombe entschärft. Es ist trotzdem nur ein Film. Also "nur" in Anführungszeichen. Es ist Licht auf Fläche, und ich finde, dass es bei Tarantino-Filmen so deutlich erkennbar ist. Es ist Licht auf Fläche. Wenn der auf dem Boden liegt – ballerballer. Es ist eine Realität, aber eine ästhetische, es ist ein Kunstwerk.

    Fischer: Christoph Waltz, es gibt eine gewisse Nominierungsroutine bei Ihnen, und Sie müssen in letzter Zeit immer damit rechnen , bei Golden Globe- oder Oscarverleihungen auf die Bühne gerufen zu werden. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

    Waltz: Auf Nominierungen? Ich schau, dass mein Hemd gebügelt ist.