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"Ich sehe keinen Grund, die Steuern zu erhöhen"

Steuererhöhungen sehe sie nicht kommen, sagt die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. Die Pflege sei zudem ein wichtiges Thema der Zukunft. Über die Regierungsbildung sei noch nicht entschieden, doch sie verspreche sich "Klarheit in der nächsten Woche".

Julia Klöckner im Gespräch mit Stephan Detjen | 13.10.2013
    Stehan Detjen: Frau Klöckner, vor drei Wochen haben die Deutschen einen neuen Bundestag gewählt, aber spätestens jetzt dämmert auch den Letzten, dass sie mit der Entscheidung, wer denn eigentlich die neue Regierung bildet, gar nichts mehr zu tun haben. Wie und von wem Deutschland in den nächsten vier Jahren regiert wird, das wird dieser Tage hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, ausgekungelt. Ist das die undurchsichtige Schattenseite unseres Mehrheitswahlrechts?

    Julia Klöckner: Na ja, undurchsichtige Schattenseite – es muss auch möglich sein, dass man erst mal auslotet. Es gibt Sondierungsgespräche, und am Ende muss ja ein gesamtes Tableau stehen. Und wir haben ja die repräsentative Demokratie, wir haben Parteivorstände, und insofern ist das, glaube ich, normal. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es anders laufen sollte, denn man kann nicht auf dem freien Markt jeden Halbsatz irgendwie verhandeln.

    Detjen: Na ja, ein anderes Wahlrecht könnte das anders lösen. Als wir das letzte Mal eine große Koalition in Deutschland hatten, ist darüber diskutiert worden, das Mehrheitswahlrecht abzuschaffen.

    Klöckner: Ach, es gibt für jedes Wahlrecht, glaube ich, Pro und Kontra, es ist keine Frage. Aber bisher, finde ich, haben wir ganz gut damit gelebt. Auch wenn das Wahlrecht geändert werden würde, es gibt immer wieder Fragen, offene Baustellen.

    Detjen: Aber die Situation ist ja jetzt schon besonders, auch neu in der Geschichte der Bundesrepublik, dass man zwei wirklich ganz offene Varianten, Koalitionsvarianten hat: Schwarz-rot, schwarz-grün, beides scheint noch möglich. Und man fragt sich, wenn man sich das anschaut: Wer hat denn am Ende eigentlich die Entscheidung darüber in der Hand, welche Regierung wir bekommen? Die einundzwanzigköpfige Verhandlungsdelegation von Union und SPD, die sich morgen noch mal treffen will, das Dreigestirn Merkel, Gabriel, Seehofer, das sich am Freitag nach dem Bundesrat noch mal zusammengesetzt hat oder die SPD-Basis, die im Parteikonvent und dann in einer Mitgliederbefragung über eine mögliche große Koalition entscheiden soll?

    Klöckner: Das Ganze ist ein Prozess, und ich denke, nächste Woche werden wir Klarheit darüber haben. Bei uns, ich kann jetzt für die Union nur sprechen, nicht für die SPD, und bei uns ist es in der Union so, dass wir nach den Sondierungsgesprächen auch immer eine Schaltkonferenz haben, dass wir uns auch besprechen werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird, dass wir auch am Montag auch noch die "Knackpunkte" besprechen, die für die zweite Sondierungsrunde eine Rolle spielen. Bei der SPD ist es so, dass die Mitglieder mit entscheiden sollen. Aber für mich hat es so ein bisschen den Eindruck, es wird zwar Basisdemokratie angeboten, aber es ist keine, denn die Mitglieder der SPD können ja nur Daumen hoch oder Daumen runter zu einem ausgehandelten Koalitionsvertrag da hoch zeigen ...

    Detjen: Ja gut, wir sehen, das ist doch bei der SPD im Augenblick sehr lebendig, dass auf allen Ebenen über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich da auftun, diskutiert wird, auch sehr kontrovers diskutiert wird ...
    Klöckner: ... ja ...

    Detjen: ... bei der CDU ist es offenbar allein Sache der Vorsitzenden ...

    Klöckner: ... nein, nein, nein. Also da machen Sie sich mal keine Sorgen. Sie haben ja danach gefragt, wer entscheidet. Also, Diskussion ist ja noch keine Entscheidung als solche. Und Diskussionen sind ja gut, wir hätten auch viel mehr Diskussionen, wenn wir nicht mehr den Status einer Volkspartei hätten und unter 30 Prozent gerutscht wären. Dann hätten wir auch Diskussionen, da haben Sie recht, wahrscheinlich, dass dann ein bisschen mehr Leben dann wäre. Jetzt ist es so, dass unser Wahlprogramm von sehr, sehr vielen Wählerinnen und Wählern bestätigt worden ist und dass wir als Union jetzt nicht pokern und auch nicht wochenlang überlegen müssen, ob wir wollen sollen oder wollen müssen, sondern jetzt geht’s darum, klar nebeneinander zulegen, welche der Parteien oder Fraktionen was haben möchte beziehungsweise. mit wem wir am weitesten kommen. Und da ist öffentliche Diskussion nicht immer das beste Instrumentarium.

    Detjen: Aber vielleicht können Sie uns ja trotzdem einen kleinen Einblick in den Maschinenraum der CDU geben. Sie sagen, da gibt es dann Schaltkonferenzen. Sie sind Landesvorsitzende der CDU in Rheinland-Pfalz, haben auf der Bundesebene als eine von fünf Stellvertretern und Stellvertreterinnen Angela Merkels eine herausgehobene Rolle, nehmen aber nicht selbst an den Sondierungsgesprächen teil. Das heißt, es wird Ihnen mitgeteilt. Wie kontrovers wird in Wahrheit gesprochen, wenn dann die einen sagen, ‚das bewegt sich doch sehr stabil auf die große Koalition zu, und Sie und vielleicht Ihr baden-württembergischer Kollege im Landesvorsitz Strobl sagen: ‚Nee, lasst uns doch mal ernsthaft über Schwarz-Grün reden’?

    Klöckner: Also, Sondierungsgespräche kann man jetzt nicht in Klassenfahrtsstärke betreiben. Und das ist gut und richtig, dass für die Länder zwei Ministerpräsidenten dabei sind, Herr Tillich und Herr Bouffier und deshalb werden wir, und es ist auch notwendig, werden wir in verschiedenen Etappen uns beraten – also um Ihnen einen Einblick in diesen Maschinenraum zu geben. Zum einen haben wir Präsidiumssitzungen, dort haben wir erst Mal für uns beschlossen, was die großen Leitlinien sind – sieben Hauptthemen, mit denen unsere Delegation in die Gespräche geht. Dann, nach jedem der Sondierungsgespräche haben wir wieder eine Schaltkonferenz und tauschen uns aus, wie wir auch - sagen wir mal - die Antworten der anderen beurteilen und bewerten. Das ist durchaus kontrovers mit unterschiedlichen Sichtweisen. Mir war es zum Beispiel wichtig, in diesen Schaltkonferenzen deutlich zu machen, dass wir mit offenem Visier und auch unvoreingenommen in die Gespräche mit den Grünen gehen. Und dann werden wir zum Beispiel kommenden Montag uns noch mal darüber einig werden, was denn unsere Knackpunkte sind, bevor die Delegation dann - ich gehe mal davon aus - in die letzte Sondierungsrunde geht.

    Detjen: Sie haben vor ein paar Tagen gesagt, Ihr Bauchgefühl sage Ihnen, Schwarz-Grün sei möglicherweise die bessere Wahl. Jetzt sind die ersten Sondierungsgespräche mit der SPD, mit den Grünen vorbei. Es sieht so aus, als seien die Weichen doch stabil in Richtung einer Großen Koalition gestellt. Was sagt Ihr Bauchgefühl heute?

    Klöckner: Erst mal: Nichts ist entschieden, alles ist offen. Sonst könnte man sich ja einige Gespräche schenken, weil Lebenszeit ja schon kostbar ist. Und es ist ja auch nicht so, dass die Kanzlerin und auch die Kolleginnen und Kollegen zu wenig Termine hätten. Und insofern: Alles ist offen, nichts ist entschieden, Kopf und Bauch gehören zum Menschen, und nach wie vor sagt mein Bauch: Schwarz/grün wäre interessant, a) weil wir es auf Bundesebene noch nicht hatten, b) weil die Milieus lange nicht mehr so weit voneinander entfernt sind, wie das vor 20 Jahren der Fall war. Und c) sage ich auch für mich als Landesvertreterin im Landesparlament: Es ist auch interessant, eine solche Perspektive zu haben.

    Detjen: Aber Frau Klöckner, gerade weil die Lebenszeit von führenden Politikern kostbar ist wurde es als ein sehr deutliches Signal angesehen, dass sich die Spitzen von Union und SPD am Freitag noch mal getroffen haben, dass man sich vorgenommen hat, am Montag dann schon sehr konkret mit einzelnen Projektfragen in die Gespräche mit der SPD hinein zu gehen. Das wirkt doch so, als seien die Gespräche mit den Grünen etwas, was schon eher drauf abzielt, sich die Optionen für die vielleicht übernächsten Koalitionsverhandlungen 2017 offen zu halten. Da kann die Situation doch mal ganz anders sein, da können beide Seiten noch mal ganz anders auf Partner angewiesen sein.

    Klöckner: Nein, wissen Sie, ob es zwischendrin auch noch Gespräche mit den Grünen gibt? Sie wissen, dass es am Freitag ein Gespräch noch mal mit der SPD gab, aber das schließt ja nicht aus, dass man zwischen drin auch noch mal Kontakt mit den Grünen hat vor Dienstag.

    Detjen: Die Gründe, die für eine Große Koalition sprechen, finden sich ja auch in der Sache. Eine große Koalition in Deutschland könnte zwei historische Aufgabenstellungen, Missionen haben. Zum einen eine Neuordnung des Föderalismus in Deutschland und dann das große Thema der institutionellen Reform der Europäischen Union, der Weiterentwicklung Europas. Für beides wird man verfassungsändernde Mehrheiten brauchen. Das sind eigentlich klassische Aufgaben für eine große Koalition.

    Klöckner: Ja, richtig, ich stimme Ihnen zu. Deshalb sage ich ja auch, sagt mein Kopf Große Koalition. Große Koalitionen bieten die Verpflichtung, große Dinge auch größer anzugehen. Das wären die Punkte, die Sie genannt haben, aber zusätzlich meiner Meinung nach auch noch das Thema Pflege. Pflege ist keine Frage von Parteifarbe sondern eine Schicksalsfrage. Und mit dem demografischen Wandel wird da enorm etwas auf uns zurollen, und das muss für Generationen auch schon zumindest vorausschauend geregelt werden. Und da ist eine breite parlamentarische Basis schon sehr hilfreich.

    Detjen: Für eine große Koalition muss im Augenblick die Union erst mal die SPD gewinnen. Die SPD-Führung tut sich schwer, die Basis da mitzunehmen. Die Union hat schon klargestellt: Steuererhöhungen wird es mit uns nicht geben. Also muss man sich auf die SPD zubewegen in einzelnen Fragen, etwa im Punkt Mindestlohn. Wie beweglich ist die Union da, wenn man am Montag wieder zusammensitzt?

    Klöckner: Netter Versuch, ich verstehe auch, dass Sie es probieren bei mir. Aber es wäre unklug, politisch unklug und auch nicht professionell, wenn ich hier die Sondierungsgespräche vorweg nehme und dann auch noch die Koalitionsverhandlungen. So etwas lotet man innerhalb der Gespräche aus, weil es auch um das Gesamttableau geht. Aber zum Thema Mindestlohn möchte ich zumindest eines noch anmerken. Ich war doch erstaunt, als Frau Nahles, die SPD Generalsekretärin, in einer Sendung berichtete, dass man durchaus in der SPD auch eine Kommission zur Lohnfindung haben wollte. Man will einmal den Gesetzgeber bemühen, aber dann soll es immer eine Kommission tun. Also, bei der Kommission sind wir uns schon nahe, nur wir haben Bedenken, dass sich die Parteien oder Fraktionen überbieten, je nach Wahlzeiten, wie der Mindestlohn jetzt festgesetzt werden sollte.

    Detjen: Jetzt geht’s ja nicht nur um die Details von Koalitionsverhandlungen, sondern immer auch um die Glaubwürdigkeit von Politik in der Öffentlichkeit nach Wahlen. Wir hören jetzt von allen Seiten die Rufe nach teuren Projekten für die neue Regierung. Die Länder und Kommunen brauchen wegen der Schuldenbremse Geld, die Frauen in der Union wollen bessere Mütterrenten, alle wollen Infrastrukturprojekte finanzieren. Wer soll glauben, dass man all das finanzieren kann ohne am Ende doch noch die Steuern zu erhöhen?

    Klöckner: Ob die Länder Geld vom Bund brauchen, um die Schuldenbremse einzuhalten, das weiß ich nicht, ob man das so stehen lassen sollte. Ich weiß, dass der Wunsch der Länder da ist. Ich glaube, jede Ebene muss sich anstrengen, um die Schuldenbremse einhalten zu können. Man muss auch über die Ausgaben nachdenken. Stichwort Mütterrente: Mütterrente ist zumindest bei unserem Konzept bereits eingerechnet im Bundeszuschuss zur Rentenversicherung. Ein weiterer Punkt ist Thema Infrastruktur. Wir haben in der vergangenen Legislatur ja gezeigt, wie es eine win-win-Situation geben kann. Wenn wir Motivation und Impulse haben für Wirtschaftswachstum, dann nimmt die Zahl der Arbeitslosen ab. Das heißt, wir brauchen weniger Geld aus den Sozialsicherungssystemen, und auf der anderen Seite haben wir mehr Steuerzahler und können damit, mit diesem Spielraum, auch Investitionen tätigen. Und darauf muss man setzen. Wir müssen alles unterlassen, was diesen guten Lauf unserer Wirtschaft – mehr Beschäftigung, der geringen Jugendarbeitslosigkeit – hindern und stören könnte. Das müssen wir alles unterlassen, und deshalb bin ich zum Beispiel ganz vehement gegen eine Vermögenssteuer, die die Mittelschicht, die Mittelständler derart belastet. Das wäre ein Arbeitsvernichtungsprogramm.

    Detjen: Die Union sagt, keine Steuererhöhung und bezieht das zunächst immer auf die Einkommensteuer, Erbschafts- und Vermögenssteuer. Gilt das auch für die Verbrauchssteuern, also Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Mineralölsteuer?

    Klöckner: Mir ist nicht bekannt, dass wir die Mehrwertsteuer, die Verbrauchssteuer erhöhen wollen.

    Detjen: Das heißt, auch in diesem Bereich keine Steuererhöhungen in der kommenden Legislaturperiode?

    Klöckner: Also, in unserem Wahlprogramm steht das drin. Ich wüsste nicht, dass die SPD das wollte. Wir hatten ja schon einmal eine interessante Erfahrung gemacht, als die CDU zwei Prozent Mehrwertsteuererhöhung forderte, gescholten wurde von der SPD, und nachher kamen mit der SPD drei Prozent Erhöhung raus. Ich glaube, da muss man sich ...

    Detjen: ... genau, gerade deshalb ist ja die Frage: Schließt die CDU auch im Bereich der Verbrauchssteuer Steuererhöhungen aus, so wie im Bereich der Einkommenssteuer?

    Klöckner: Ich sehe keinen Grund, die Verbrauchssteuer zu erhöhen ...

    Detjen: ... darf ich noch mal nachfragen, ist das genau so kategorisch damit ausgeschlossen wie im Bereich der Einkommenssteuer oder gibt’s da einen Unterschied?

    Klöckner: Ich weiß, Sie brauchen eine Schlagzeile für die Agenturmeldungen. Ich sag es Ihnen präzise: Ich sehe keinen Grund, die Steuern zu erhöhen, sondern es geht schließlich und schlussendlich darum, dass wir mit dem Geld, das wir ja zur Genüge haben, auch auskommen.

    Detjen: Die Gründe können sich ja noch ändern, und die Wortwahl der CDU im Bereich der Einkommenssteuer und Vermögensteuer ist insoweit anders. Da wird nicht gesagt ‚wir sehen keinen Grund’, sondern ‚wir werden es auf keinen Fall tun, egal welche Gründe sich zeigen’.

    Klöckner: Ich bin Julia Klöckner und bin auch nicht die Erziehungsberechtigte aller anderen. Und ich habe immer auf die Frage geantwortet, ob es Steuererhöhungen gibt, dass ich keine Gründe dafür sehe. Und deshalb wird die Union auch nicht das aufgeben, was ihr letztlich auch die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler gebracht hat. Ich sage Ihnen einfach noch einmal: Wir müssen uns anstrengen und kreativer sein, als nur Steuererhöhungen fordern.

    Detjen: Nicht ganz so klar war das Konzept der Union - wenn wir CDU und CSU anschauen - wenn wir auf das Thema Kraftfahrzeugmaut schauen, die immerhin nach Berechnungen Ihrer Freunde von der CSU eine knappe Milliarde Einnahmen bringen würde. Wenn so viel Geld lockt, wird man sich da nicht doch einen Weg ausdenken, die europarechtlichen Probleme zu lösen. Wie steht die CDU dazu?

    Klöckner: Na ja, Recht ist Recht. Und jetzt nur für Ausländer oder diejenigen, die nicht mehr ...

    Detjen: Recht ist auslegungsfähig, es gibt immer Wege ...

    Klöckner: ... ja, aber ich glaube schon an die Unabhängigkeit der Justiz, und insofern habe ich da erst mal große Bedenken. Und jetzt spreche ich auch mal aus der Sicht der Rheinland-Pfälzerin. Wir sind ein Flächenland. Wir haben über 250.000 Auspendler jeden Tag aus unserem Land. Das sind die Menschen, die morgens aufstehen, die sich auf den Weg machen, nicht wirklich Spaß haben, im Stau zu stehen und dass die Spritpreise steigen. Und wenn wir ihnen jetzt noch eine Maut aufbrummen würden – und das ist der Grund, warum wir dagegen sind als CDU –, dann bestraft man diejenigen, die wirklich auch etwas unternehmen. Also, ich sehe keine PKW-Maut.

    Detjen: Und wie lösen Sie das in Ihren Schaltkonferenzen nach den Sondierungsgesprächen auf, wenn der CSU-Chef sagt: ‚Also, ohne Kfz-Maut keinen Koalitionsvertrag!’ Und die Kanzlerin - ich weiß nicht, ob sie das da genau so sagt wie im Fernsehduell mit Steinbrück: ‚Mit mir auf keinen Fall’?

    Klöckner: Das erzähle ich Ihnen dann, wenn wir es besprochen haben - Ihnen dann als Allerersten.

    Detjen: Da bin ich mal gespannt. Das Deutschlandfunk Interview der Woche, heute mit Julia Klöckner, der stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden. Frau Klöckner, eine große Koalition auf Bundesebene hätte eine ungeheure Gestaltungsmacht. Das letzte Mal hat es das in Deutschland bei der großen Koalition Ende der sechziger Jahre so gegeben. Und das hat damals zu einem Wachsen radikaler Protestbewegungen am rechten und am linken Rand geführt. Heute wäre wahrscheinlich die Alternative für Deutschland, die euroskeptische Partei, der erste Profiteur, der da möglicherweise schon im nächsten Frühjahr bei der Europawahl und wichtigen Kommunalwahlen profitieren würde, oder?

    Klöckner: Das könnte in der Tat sein. Ein Gedanke treibt mich schon um - auch jetzt als Politikwissenschaftlerin. Wir hätten, gäbe es eine große Koalition, ein sehr großes Koalitionslager im Parlament, eine nur recht kleine Opposition, das muss man so sehen, denn die Balance ist ja nicht wirklich gegeben. Und die AfD könnte in der Tat gerade bei der Europawahl erfolgreich sein, weil wir dort ja nicht die Fünfprozent-, sondern die Dreiprozent-Hürde haben. Ich sehe aber auch eine große Chance für die FDP übrigens. Die FDP wird sich nicht aus dem Vereinsregister streichen lassen, im Gegenteil. Ich sehe da eher eine Chance des Wiederaufblühens, wenn die FDP sich konzentriert auch auf ihre klassischen Bürgerrechtswurzeln, auf Freiheit in Verantwortung und umgekehrt auf Verantwortung in Freiheit. Und insofern sehe ich nicht nur die AfD, die profitieren könnte, wenn wir gute Politik als Volkspartei machen und auch deutlich machen, dass die AfD ja kein Gesamtangebot für Gesellschaftsgestaltung bietet, sondern selbst ein Sammelsurium auch von vielen Protestlern ist ja eigentlich keine Antwort auf die Fragen der Zeit, auf die vielen Fragen der Zeit. Dann wird die AfD nicht so profitieren und wachsen, und da sollten wir uns auch nicht zu große Sorgen machen.

    Detjen: Frau Klöckner, wir haben eben schon angesprochen Europa. Die CSU macht sich für Volksabstimmungen, auch auf Bundesebene, insbesondere zur Weiterentwicklung der Europäischen Union, stark. Unterstützen Sie das, wenn es zum Beispiel darum ginge, auch in Nachbarländern – Frankreich – Plebiszite über Vertragsänderungen der EU durchzuführen?

    Klöckner: Eines ist mir deutlich geworden auch in der Diskussion mit oder über die AfD, dass viele Bürger Europa gerne ein bisschen besser verstehen würden oder zumindest das, was Politiker entscheiden. Und manchmal ist man schwer beeindruckt, was man von Bürgerinnen so hört über Europa, aber verstehen tut man es nicht. Wir müssen mehr erklären, und ich glaube schon, auch wenn das vielleicht nicht so opportun in der CDU ist: Ich glaube schon, dass wir an der einen oder anderen Stelle darüber nachdenken sollten, wie wir für Europa interessieren könnten. Und das könnten auch Plebiszite sein. Ich bin da noch nicht zu Ende mit dem Denken oder auch mit meiner Meinungsstellung, aber ich finde es durchaus sympathisch, diesen Gedanken sich auch einfach damit auseinander zu setzen.

    Detjen: Europa, Frau Klöckner, ist in diesen Tagen konfrontiert und herausgefordert mit dem Flüchtlingsunglück von Lampedusa. In Deutschland gab es zwei unterschiedliche Reaktionen darauf: Kirchen, Grüne, Menschenrechtsorganisationen betonen die Verantwortung, Menschen in Not zu helfen. Bundesinnenminister Friedrich fordert, mit mehr Härte gegen Armutsflüchtlinge vorzugehen. Was ist richtig?

    Klöckner: Ach, richtig - das ist mir zu hoch dieses Wort. Der Kollege Friedrich ...

    Detjen: … fragen wir so: Was ist angemessen?

    Klöckner: Gern. Angemessen ist eine Frage des Blickwinkels. Ich kann es Ihnen sagen, wie ich es sehe. Und gerade als Christdemokratin, wenn es um das Thema auch Christliche Nächstenliebe geht, wer ist der nächste - dann fragt man nicht danach, warum er auf der Flucht ist, warum er in Not ist, sondern erst mal: Wie kann ich Dir helfen, wie kann ich ihm helfen ...

    Detjen: ... Bundesinnenminister Friedrich hat dafür eine Erklärung. Er hat gesagt, das sind Menschen, die kommen, um in Deutschland von den höheren Sozialleistungen zu profitieren.

    Klöckner: Da tun Sie ihm ein bisschen Unrecht, weil Sie es verkürzen. Er hatte das gesplittet, seine Aussage. Einmal geht es um die Flüchtlinge, Stichwort Lampedusa. Und einmal geht es auch um europäische Flüchtlinge – nicht Flüchtlinge, sondern Ströme. Das heißt, dass wir gerade aus Osteuropa viel Zuwanderung haben, gerade auch natürlich, weil wir die Freizügigkeit haben. Das hat er schon getrennt gehabt. Aber nichtsdestotrotz hat Lampedusa ...

    Detjen: ... wenn ich hier noch mal einhaken darf, Frau Klöckner, in diesem Zusammenhang um die Berechnungen der Europäischen Kommission, die Deutschland nach Lampedusa vorgerechnet hat, Deutschland leidet durchaus nicht unter Armutsmigration, könnte mehr aufnehmen. Deutschland nimmt weniger als Tausend Asylbewerber pro eine Million Einwohner auf. Kann das reichste Land Europas mit einer zudem schrumpfenden Bevölkerung da nicht mehr leisten?

    Klöckner: Das ist jetzt noch mal was anderes als das, was Sie von Herrn Friedrich jetzt eben gesagt haben. Ich glaube, das müssen wir schon so ein bisschen auseinander halten. Ich antworte gerne auf Ihre Fragen und auch gerne nacheinander. Erstens würde ich gerne noch mal darauf antworten, was angemessen wäre. Ich bin der Meinung, dass diejenigen, die um ihr Leib und Leben fürchten, die einfach auf der Flucht sind, um ihre Kinder zu retten und sich selbst zu retten, dass wir ihnen helfen müssen und dass man letztlich auch nicht sich zurückziehen kann und sagen kann, wir haben halt eben nicht diese Küste und deshalb ist nur Italien gefragt. Italien bekommt Geld von der EU, aber das alleine hilft nicht. Wir müssen da, glaube ich, auch mehr tun, und deshalb war meine Forderung auch die nach einem europäischen Flüchtlingsgipfel, Dublin hin oder her. Aber ich bin schon der Meinung, dieser Einschnitt, die Ertrinkenden von Lampedusa, die müssen uns wachrütteln. Zu Ihrer zweiten Frage, ob Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen muss. Das kann man so pauschal gar nicht sagen. Deutschland nimmt sehr, sehr viele Flüchtlinge auf. Nichtsdestotrotz können wir Italien nicht damit allein lassen, dass wir sagen: Na ja, dann werden wir halt die Küsten besser sichern oder es liegt nur an den Schleppern. Natürlich sind die Schlepper Menschenhändler, die Not von anderen Menschen ausnutzen. Aber Grund ist ja letztlich, dass Menschen um ihr Leib und Leben in den Ländern fürchten müssen. Und es sind ja mehrere, auch zeitlich unterschiedliche Instrumente, die wir endlich haben müssen. Es hilft auch nichts, wenn Länder ausbluten und dort keine Entwicklungsperspektive ist. Aber dort, wo jetzt Not ist, müssen wir helfen, aber langfristig dafür sorgen, dass Menschen sich in ihren Ländern auch wohlfühlen und sich auch entwickeln können.

    Detjen: Frau Klöckner, dieses Thema entzweit in diesen Tagen die Union und die Grünen, worüber wir eben schon gesprochen haben. Wenn wir noch mal zurückkommen auf das Thema der Regierungsbildung, mit dem wir unser Gespräch begonnen haben: Wo haben denn Grün und Union heute noch die größten Übereinstimmungen?

    Klöckner: Es gibt gute und große Übereinstimmungen bei der Bioethik. Ich selbst habe damals mit Kathrin Göring-Eckardt einen Gesetzentwurf zur embryonalen Stammzellendiskussionsdebatte geschrieben. Da hatten wir nicht die Mehrheit erreicht - oder zur Patientenverfügung. Also wenn es um das Thema Bewahrung der Schöpfung geht, ob der Mensch all das tun soll, was er kann, da gibt es durchaus Diskussions- und gute Grundlagen. Wir haben beide auf der obersten Agenda das Thema Energiewende stehen, sind aber bei den Instrumenten auseinander. Und wenn ich mir zum Beispiel Herrn Kretschmann oder auch Boris Palmer, den Oberbürgermeister in Baden-Württemberg anschaue, dann merkt man schon, dass die auch einen Zugang haben zur mittelständischen Wirtschaft. Sie haben ja selbst auch vor den Steuererhöhungsprogramm ihrer eigenen Partei gewarnt. Letztlich wird es drauf ankommen, wer das Sagen hat bei den Grünen. Ob es Herr Trittin ist, der mit seinem Programm ja auch baden gegangen ist, oder ob es eine neue Generation ist. Deshalb spielt auch die Atmosphäre eine ganz große Rolle, und auch die Personen müssen miteinander können.

    Detjen: Was steht denn einem schwarz-grünen Bündnis aus Ihrer Sicht am meisten im Weg, die konservative Basis der Unionsparteien, die linke Basis der Grünen oder die CSU?

    Klöckner: Vielleicht von allem ein bisschen. Es kommt immer darauf an, welchen Blickwinkel man hat. Es gibt ganz viele bei den Grünen, die haben noch ein Standbild von der Union, das irgendwie von vor 50 Jahren ist. Und es gibt sicherlich bei der Union solche, die Zuckungen kriegen, wenn sie Grüne hören. Aber was mich positiv überrascht hat ist, dass bei uns die Seniorenunion oder gerade die Älteren offen sind für neue Bündnisse mit den Grünen. Und da kann man auch mit einem bisschen Freude, finde ich, in die Regierungsbildung reingehen und nicht versuchen, irgendwie dran vorbei zu kommen, so wie das die SPD in der ersten Woche versucht hatte.

    Detjen: Lassen Sie uns am Ende des Gespräches, Frau Klöckner, kurz den Blick noch auf zwei Personalien richten - die eine in Ihrem Heimatland, in Rheinland-Pfalz, die andere im Nachbarland Hessen. Rheinland-Pfalz: Sie haben in diesen Tagen den ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck scharf kritisiert, weil er ein halbes Jahr nach seinem Rücktritt eine Beraterfunktion bei einem heimischen Chemieunternehmen – Boehringer Ingelheim – angenommen hat. Was ist der Unterschied zwischen diesem Schritt und dem Schritt Ihres Parteifreundes Eckhard von Klaeden, der im Frühjahr angekündigt hat, als Lobbyist zum Daimler-Konzern zu wechseln und dann noch ein halbes Jahr im Amt als Staatsminister im Bundeskanzleramt blieb?

    Klöckner: Wir haben kein Problem damit, wenn Politik in Wirtschaft geht oder Wirtschaft in Politik kommt. Und Boehringer Ingelheim ist ein hervorragendes Unternehmen, wir können stolz sein, dass wir die in Rheinland-Pfalz haben. Es ist nur eines sehr auffällig. Wir haben bei uns im Landtag ein Gesetz mit allen Fraktionen eingebracht. Da geht es um die Versorgung scheidender Ministerpräsidenten oder ausgeschiedener Ministerpräsidenten. Und da haben wir ganz klar als Opposition gesagt: Leute, lasst uns nicht kleinlich sein, ein Ministerpräsident, der sich auch verdient gemacht hat um das Land, der soll Fahrer, der soll Auto, der soll auch Budget und einiges an Mitarbeitern haben. Das war der Wunsch der Staatskanzlei von Frau Dreyer, dass wir dieses Gesetz machen. Das haben wir dann auch mitgetragen und haben jetzt erfahren – gestern –, dass Herr Beck bereits seit Juni Pharma-Lobbyist bei Boehringer ist. Und da hätte ich mir mehr Offenheit gewünscht, dass man nicht erst ein Gesetzt mittragen lässt und dann die Katze aus dem Sack holt. Dann hätten wir auch andere Klauseln noch in dieses Gesetz gesetzt, dass man zum Beispiel eine Anrechnung hat bei den Einkünften etc. Dann muss nicht der Steuerzahler dann noch über 100.000 Euro bereitstellen. Das ist der Punkt oder der Grund, den wir kritisierte haben. Und ansonsten freuen wir uns über jede Spontangenesung.

    Detjen: Die zweite Personalie, die ich ansprechen will, ist die des Limburger Bischofs Tebartz van Elst. Sie beobachten das nicht nur aus geografischer Nähe, sondern auch als Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Der scheidende Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der ebenfalls Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken ist, hat dem Bischof den Rücktritt nahe gelegt. Glauben Sie, dass Tebartz van Elst noch haltbar ist in diesem Amt?

    Klöckner: Tja, schwierig. Ich weiß nicht, wie der Bischof mit sich selbst auch in innere Klausur geht. Was ich nicht mache ist, jetzt auf den Zug, der schon voll genug ist mit Leuten, die Rücktritte fordern, da jetzt noch drauf zu springen. Der Zug rollt, und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Herr Zollitsch, hat ja auch das Nötige gesagt. Also es ist schon schwer, glaube ich, gerade für die Katholiken im Bistum Limburg.

    Detjen: Frau Klöckner, vielen Dank für das Gespräch.

    Klöckner: Sehr gerne.


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