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"Ich verstehe mich als Geschichtenerzähler in gewisser Weise als Magier"

Zehn Jahre lang schrieb Otfried Preußler an seinem wohl wichtigsten Jugendroman, dem Krabat. Die Geschichte um einen Müllermeister, der aus der Hand des Teufels die Kunst der Schwarzen Magie bezieht, ist alter deutscher Sagenstoff, zu verorten in der Lausitz zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Er habe sich mit diesem Stoff geschunden, bekannte Otfried Preußler einmal. Mittlerweile ist Krabat auch verfilmt.

Von Tanya Lieske | 25.10.2008
    "In meinem Elternhaus gab es einen geräumigen Dachboden, und wenn wir draußen nicht herumradeln oder Skifahren konnten, dann haben wir Schlechtwettertage auf dem Dachboden verbracht, dort hatten wir eine ständige Kasperlebühne, das heißt eine Wäscheleine gezogen und eine Decke darübergehängt , der eine Teil der Nachbarskinder saß vor der Decke und schaute zu, der andere Teil spielte Kasperletheater zum Teil mit selbstgemachten Puppen. Es waren unendliche lange, spannende und unendlich lustige Stücke."

    Die Vorstellungskraft des Autors wurde früh am Volksgut, an Märchen und Sagen geschult. Sein Vater, auch er ein Lehrer, sammelte in der böhmischen Heimat im Isergebirge unentwegt die Geschichten der Alten. Immer öfter durfte ihn der kleine Otfried begleiten, und dann saß er im Schein der Petroleumlampe in einer Baude und lauschte den Erzählungen der Erwachsenen, die so spannend wurden, dass der Vater manchmal das Mitschreiben vergaß. Es galt, sich zu erinnern, die Geschichte einander noch einmal zu erzählen. Auch seine Großmutter war eine begnadete Erzählerin und Erfinderin gewaltiger Geschichten, die zwischen Böhmen und Mähren angesiedelt waren.

    "Ich hab bei den Iserleuten, und übrigens auch bei meiner Großmutter Dora erzählen gelernt. Sie war ein lebendes Geschichtenbuch, kam vom Dorf und von der Sprachgrenze der Urgroßvater hatte dort eine Schmiede und zugleich eine Fuhrmannsherberge, wo die Fuhrleute, die aus der Lausitz nach Prag gefahren sind, ausgespannt haben. Und an den Abenden, wenn sie in der Wirtsstube saßen, dann haben sie halt erzählt. Es gab kein Radio, es gab kein Fernsehen, und die Burschen steckten ja voller Geschichten. Und die Großmutter hat als zehntes von elf Kindern mitgehört und hat sich die Geschichten gemerkt, die da erzählt worden sind. Einen unerhörten Fundus an Motiven, an Gestalten hatte sie, und sie hat etwas gemacht, was ich in gewisser Weise auch versuche, sie hat mit den übernommenen Motiven und Gestalten frei gespielt."

    Der behüteten Kindheit Preußlers folgten harte Jahre. Er wurde nach dem Abitur eingezogen, verbrachte drei Jahre im Krieg, auch an der Ostfront und fünf in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager. Seine heimatvertriebenen Angehörigen fand er im oberbayrischen Rosenheim wieder, und dort wurde Preußler später Volksschullehrer und Rektor, er selbst legt auf den Titel des Schulmeisters Wert. Man kann nur ahnen, welche Güte der Unterricht dieses Lehrers aus Leidenschaft gehabt haben muss, der voller Geschichten steckte, der Kinder liebte, der die Härten des Lebens kannte, und der um den Wert der Kindheit wusste. Vor und nach dem Unterricht wanderte Preußler durch die Dörfer, er sammelte Pilze und formulierte in seinem Kopf Sätze für Geschichten. Der Kleine Wassermann bekam 1957 den deutschen Kinderbuchpreis. Der Durchbruch war geschafft, es folgten Die kleine Hexe, Das kleine Gespenst, und natürlich die Hotzenplotz-Trilogie. Während dieser Zeit, man schreibt die sechziger Jahre, kehrt Preußler immer wieder zu seinem wohl schwierigsten Stoff zurück, zum Krabat. Es geht um nichts Geringeres als um den Faustus-Stoff, doch wie bereitet man den für junge Leser auf? Preußler war fast fünfzig Jahre alt, als der Krabat endlich 1971 erschien, und wenn seine Sprache noch immer einfach war, so war der Autor doch nicht mehr unbefangen, kann nicht mehr unbefangen gewesen sein, denn er wusste nun um die Magie der Sprache.

    "Ich verstehe mich als Geschichtenerzähler in gewisser Weise als Magier. Und zwar als weißer Magier, die im Gegensatz zu den Schwarzen Böses im Sinn haben, verstehe ich mich als weißen Magier, der gleichwohl mit den Dingen, die er erzählt eine gewisse Magie ausübt. Das Wort "Baum" besteht aus vier Buchstaben, und wenn Sie es an die richtige Stelle setzen, im richtigen Kontext, dann kann der Baum in der Fantasie des Lesers, der dieses Wort liest, richtig sprießen und seine Krone entfalten, Sie hören die Blätter rauschen, die im Geäst sitzen, aber die Formel muss stimmen, und ich kann Ihnen die Formel nicht verraten. (...). Ich habe immer auch wieder Erfahrungen gemacht mit dem Krabat, der ja in der Lausitz spielt in der Nähe von Hoyerswerda, und es gab da einen bestimmten Typus von Korrespondenz mit meinen Lesern, die schrieben, "Sind Sie aus Schwarzkollm? Sie müssen dort zur Schule gegangen sein! Da stimmt jeder einzelne Baum in ihrer Geschichte!"

    Wenn die weiße Magie des Autors Preußler auf die schwarze des Müllers vom Koselbruch trifft, dann werden ungeheure Kräfte freigesetzt, und man schlägt die Seiten des Krabat behutsam auf, und man liest mit angehaltenem Atem, nur für den Fall, dass der Müller aus Schwarzkollm sich doch noch aus der schwarzen Tinte lösen könnte. Und bei jedem Wiederlesen fragt man sich besorgt, ob die Geschichte wieder so gut ausgeht, wie beim letzten Mal. Krabat, die Sage um den erlösten Müllersburschen ist Otfried Preußlers Hauptwerk, und zeitgerecht zu seinem 85. Geburtstag wurde sie nun verfilmt. Der junge Regisseur Marco Kreuzpaintner hat eine entscheidende und diskussionswürdige Änderung vorgenommen, er setzt der Düsternis der Mühle vom Koselbruch nicht wie Preußler die intakte Welt des Dorfes Schwarzkollm mit seiner Kirmes und seinem Viehmarkt entgegen. Sein Krabat spielt in einer vom dreißigjährigen Krieg verwüsteten Welt, und bekommt so eine historische Schwere, die dem Sagenstoff entgegenwirkt. Trotzdem ist der Film in vielen Bildern kongenial und in jedem Fall sehenswert, Hauptsache, man hat seinen Krabat zuvor wirklich gelesen, und sich seine eigenen Bilder gesichert. Hören wir noch einmal die Stimme des Zauberers:

    "Zu den Lieblingsstellen in meinen Büchern gehört die Schlussszene in Krabat. Es ist Winter, der Meister ist besiegt, und die Kantorka legt dem Krabat den Arm um die Schultern, und führt ihn hinaus, in die Nacht.
    "Wie hast du mich", fragte er, als sie die Lichter des Dorfes zwischen den Bäumen aufblinken sahen, hier eines, da eins - "wie hast du mich unter den Mitgesellen herausgefunden?"
    "Ich habe gespürt, dass du Angst hattest", sagte sie, "Angst um mich: daran habe ich dich erkannt."
    Während sie auf die Häuser zuschritten, fing es zu schneien an, leicht und in feinen Flocken, wie Mehl, das aus einem großen Sieb auf sie niederfiel."

    Otfried Preußler, Krabat. Schulbuchausgabe Thienemann Verlag, 296 Seiten, 9,90 Euro.

    Otfried Preußler liest Krabat. Drei Audio CDs, Der Audio Verlag, 14,90 Euro.