Dienstag, 23. April 2024

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"Ich wäre lieber berühmt für mein Werk und nicht für mein Privatleben"

Diese Woche flimmert ein "Total Recall"-Remake über die Kinoleinwände, die trügerische Idylle Brokdorfs wird unter die Lupe genommen, der Streit schwäbischer Dörfer samt Dialekt wird thematisiert und Roman Polanskis Lebenserzählung kommt in die Kinos.

Von Hartwig Tegeler | 22.08.2012
    "Gibt es irgendein technisches Bauwerk oder Machwerk, wo noch nie was passiert ist?"

    Vor Fukushima hätte man diesen Veteranen der Brokdorfer Anti-AKW-Bewegung womöglich reflexartig als Apokalyptiker abgetan. Aber nach Fukushima? 1986 waren die Proteste gegen das Kernkraftwerk in der Wilstermarsch gescheitert: Es ging ans Netz. Wie der Protest diese Region um Brokdorf in den vergangenen 30 Jahren geprägt hat: Das beleuchtet die Filmemacherin Antje Huber in "Das Ding am Deich - Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk". Ein eindrucksvoller Film, und wenn man das Bild sieht, vorne ein Strand, ein Zelt, Menschen, die sich sonnen und in der Elbe baden, dahinter die Kuppel des AKWs, dann wird deutlich: Ländliche Idylle ist trügerisch. Nicht nur in Brokdorf.

    "Das Ding am Deich" von Antje Huber - empfehlenswert


    Das Landleben dann doch "irgendwie" - trotz aller Konflikte - heimelig, prall wie saftig: So erzählt Ulrike Grote in "Die Kirche bleibt im Dorf" vom schwäbischen Land, wo sich zwei Dorffraktionen bis aufs Blut streiten. Und da die Kirche im einen, der Friedhof im anderen Teil des Dorfes liegt, wird alles noch verwirrender, als ein Amerikaner die Kirche kaufen will:

    "Die Kirche gehört zur Hälfte uns. Und jetzt pass mal auf: Wenn ihr die Kirche ohne unsere Zustimmung verkauft, dann ist es mit dem Unterrieslinger Friedhof vorbei. Dann könnt ihr eure Toten alle wiederhaben. Und mit deiner Mutter fangen wir gleich einmal an."

    Von jedem Nichtschwaben erfordert "Die Kirche bleibt im Dorf" höchste Konzentration, denn bei Ulrike Grote sprechen die Protagonisten schwäbisch. So ist dieser Schwabenschwank zwar kein zündender Neuentwurf des Regionalfilms, aber die Spielfreude von Natalia Wörner, Karoline Eichhorn und Julia Nachtmann packt und unterhält.

    "Die Kirche bleibt im Dorf" von Ulrike Grote - empfehlenswert.

    "Wer ich nicht ich bin, wer bin ich dann?"

    Eine Frage, die für den Fabrikarbeiter Dennis - Colin Farell -, der mit der Lori - Kate Beckinsale - verheiratet ist, immer drängender wird,

    "Wie, das verstehe ich nicht."

    Als er sich bei der Firma "Recall" fremde Erinnerungen aus dem Leben eines Spions à la James Bond einpflanzen lassen will. Technisch geht etwas schief, und er wird auf einmal:

    "Wer ich nicht ich bin, wer bin ich dann?"

    Zum Gejagten. Was ist Realität, was Erinnerung, was implantierte Erinnerung? Dennis versteht gar nichts mehr.

    "Es ist wahr, ein Gedächtnis wurde gelöscht. Es wurde ein Leben in deinen Kopf gepflanzt, das du für deines hältst."

    Behauptet Lori, Dennis´ Frau, um direkt anschließend auf ihn zu schießen. Das wird sie in "Total Recall" noch einige Male machen. - In Paul Verhoevens 1990er-Version des Themas - die Hauptrolle spielte Arnold Schwarzenegger - reist Arbeiter Dennis noch zum Mars. Regisseur Len Wiseman inszeniert hingegen heute seine "Total Recall"-Version ganz auf der Erde. Wisemans Vorstellung von Science-Fiction folgt dabei den Prinzipien: möglichst laut, krachig, hektisch. Hat man´s überstanden, war noch am lustigsten der zickige Versuch der Film-Ex-Ehepartner Colin Farrell und Kate Beckinsale sich begleitet von ironischen, quasi antipaartherapeutischen Sätzen umzubringen. Ansonsten bleibt als Erinnerung an diesen Film, der von der Erinnerung handelt, nur die an ein Gewitter von visuellen wie akustischen Effekten mit diversen Blitzeinschlägen.

    "Total Recall" von Len Wisemann - ärgerlich.

    Wie spannend hingegen können anderthalb Stunden sein, in denen einfach nur ein Mann zu sehen ist, der von seinem Leben erzählt: Roman Polanski in "A Film Memoir" - befragt von seinem Freund und Produzenten Andrew Braunsberg 2009 während Polanskis Hausarrest. Polanski erzählt von seiner Kindheit, dem Überleben im Krakauer Getto, dem Beginn als Filmemacher in Polen, vom Mord an seiner Frau Sharon Tate und den Kontroversen um seinen Missbrauch an einer Minderjährigen, was 1977 zum Haftbefehl und schließlich zur Flucht aus den USA führte. Ein Leben in Tragödien. Ja, sagt Polanski.

    Ich wäre lieber berühmt für mein Werk und nicht für mein Privatleben. Und er zieht das Resümee: Mein Leben hatte viele Auf und Abs. Andere Leben verlaufen gradliniger. Ich weiß nicht, was besser ist. - Formal mag dieser Interviewfilm nicht aufregend sein und Braunsberg nicht vielmehr als ein Stichwortgeber. Doch "Roman Polanski: A Film Memoir" bietet etwas Besonderes: den großen Kinomann als lebendigen, mitreißenden Erzähler seines eigenen, außergewöhnlichen Lebens. So entwickelt diese Dokumentation trotz formaler Einfachheit eine verblüffende Sogwirkung. Man hört zu, immer weiter, und würde gerne noch länger zuhören.

    "Roman Polanski: A Film Memoir" - Regie: Laurent Bouzereau - empfehlenswert.