Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Ich weiß es, Frauen haben nicht die gleichen Chancen"

In der Frauenquotendebatte habe sich Ursula von der Leyen auf einen fahrenden Zug der Grünen angehängt, kritisiert Renate Künast. Die Wirtschaft kann aus Künasts Sicht nur von Frauen profitieren - insbesondere angesichts des Fachkräftemangels.

01.02.2011
    Jürgen Liminski: 185 DAX-Vorstände gibt es, davon sind 181 Männer. Ein Skandal? – Das Thema Frauenquote oder Frauen in leitenden Stellungen, Positionen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens ist mindestens so alt wie die Emanzipationsbewegung, also etwa zwei Jahrhunderte, vielleicht aber auch so alt wie die Rollenverteilung der Geschlechter in der Gesellschaft. Jetzt ist es wieder erneut auf der Agenda der öffentlichen Debatte, weil die Familienministerin und die Arbeitsministerin diese Quote per Gesetz einführen wollen. Ob sich dadurch viel ändern würde?
    Mitgehört hat Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Zunächst mal guten Morgen.

    Renate Künast: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Frau Künast, haben Frauen in Deutschland die gleichen Chancen wie Männer? Nach einer Umfrage glauben das nur 15 Prozent der Bürger hierzulande, bei den Frauen sind es sogar nur 9 Prozent.

    Künast: So geht es mir auch und ich könnte auch sagen, ich weiß es, Frauen haben nicht die gleichen Chancen, weil dann wären Frauen, die über die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ausmachen, eben auch zum Beispiel überall in den DAX-Vorständen. Es gibt im öffentlichen Dienst mittlerweile eine ganze Menge Entwicklung, selbst in der Politik. Die Grünen haben ja eine echte Quote. Da sind wir weiter, aber in der Wirtschaft ist noch, ich sage mal, ein Ort reiner Männerherrlichkeit. Männer sitzen oben und wählen die aus, die ihnen am ähnlichsten sind, wählen ihr Männlichkeitsideal für Führungsaufgaben aus und nutzen das weibliche Potenzial nicht. Das Grundgesetz sagt aber, man muss das ändern.

    Liminski: Wenn man der Arbeitsministerin zuhört, gibt es an der Frauenquote keinen Zweifel mehr. Sie fordert eine breite Debatte und warnt auch die Wirtschaft. Das hört sich dann so an:

    O-Ton Ursula von der Leyen: Liebe Wirtschaft, ihr habt noch zwei Jahre Zeit, auf die 30 Prozent zu kommen, und wenn ihr das nicht schafft, wir werden in diesem Jahr schon ein Gesetz vorlegen, das dann klar macht die Schritte bis 2018, und da ist 30 Prozent gesetzlich festgeschrieben.

    Liminski: Frau Künast, sehen Sie sich als Verbündete mit Frau von der Leyen im Kampf gegen die Männerherrlichkeit, wie Sie eben sagten?

    Künast: Na ja, ich sehe, dass die CDU jetzt mal in Gestalt von Frau von der Leyen sich an einen fahrenden Zug anhängt mit Verlaub. Die Grünen haben die Vorstellung, dass es erstens eine Regelung für die Aufsichtsräte geben muss, zweitens eine für die Vorstände und drittens eine Regelung allgemein für Frauenförderung in der Privatwirtschaft. Diese Unterstützung fehlt noch. Und die Bewegung ist jetzt, Herr Liminski, so groß, wir haben für die Vorstände einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, wo vor wenigen Monaten die CDU noch sagte, nein, wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Immer mehr junge Unternehmerinnen und auch ältere kooperieren mit uns, weil sie sagen, wir haben da auch die Nase voll, wir haben hier keinen Aufstieg. Junge Frauen sagen, dann gehen wir halt zum Beispiel in die USA. Und wir haben den Fachkräftemangel. Ich sehe jetzt nur eines, nämlich dass Frau von der Leyen vielleicht mit ein paar wenigen CDU-Frauen sagt, auch wir müssen uns dort bewegen, aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ich will mal sehen, wie sie das jetzt hinkriegt bei der CDU und FDP. Sie kann gleich unserem Antrag zustimmen, der kommt nämlich wieder auf die Tagesordnung. Aber noch ist es erst mal nur eine typische Frau von der Leyen-Ankündigung, wenn sie sich so putzig hinstellt und sagt, liebe Wirtschaft. Sie muss jetzt mal die Hausaufgabe intern machen.

    Liminski: Die Regierung ist ja noch uneins über das Quotengesetz, aber die Arbeitsministerin weiß schon, dass dieses Gesetz an Sanktionen gekoppelt sein muss. Muss man die Wirtschaft zum Glück der Frauen zwingen?

    Künast: Man muss die Wirtschaft wenn, dann zu ihrem eigenen Glück zwingen. Klar ist doch: Wir haben zum Beispiel mit einer Initiative von insbesondere Unternehmerinnen und mit dem Deutschen Juristinnenbund unseren Gesetzentwurf für die Aufsichtsräte entwickelt. Da sind auch Sanktionen drin, schärfer auch als bei von der Leyen, die ja in ihrem Diskussionsbeitrag – sie hat ja keinen Gesetzentwurf – nur sagt, dass die, ich sage mal, Zahlungen für die Aufsichtsräte nicht mehr an das Individuum gegeben werden. Ich glaube, man muss dann tatsächlich die Aufsichtsratsbeschlüsse zum Beispiel unwirksam machen an der Stelle. – Wir wissen aus vielen Bereichen jahrzehntelange freiwillige Appelle - die Frauenbewegung, auch die Grünen waren da immer dran – nützen nichts, und wenn man jetzt eine feste Regelung macht, muss aus der festen Regelung auch eine rechtliche Folge, also eine Sanktion kommen, damit man das Interesse hat, das auch umzusetzen.

    Liminski: Das Gegenargument zur Quote ist die Qualität. Geht Quote ohne ausreichende Qualifikation?

    Künast: Wir haben ja jetzt im Augenblick eine 90 Prozent Männerquote, oder eine 95 Prozent Männerquote in den DAX-Vorständen, eine 90 Prozent Männerquote in den Aufsichtsräten. Es kann mir ja keiner erzählen, dass das zustande gekommen ist, weil die Männer immer besser qualifiziert waren als die Frauen. Nein! Eine Quote ist der Hinweis darauf, dass sie zweimal hinschauen müssen, und die Wirtschaft wird finden. Sie haben ja selber im Vorspann in Ihrem Bericht gesagt, dass die Wirtschaft eben auch die Frauen braucht. Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel und da will ich jetzt mal den Finger drauflegen. Ich glaube, dass Frau von der Leyen auf das Thema auch geht, nicht nur, weil sie merkt, dass die jungen Unternehmerinnen sonst vielleicht grün werden, sondern weil sie auch merkt, dass die Wirtschaft junge, auch gut ausgebildete Fachkräfte braucht. Und wenn man nicht nach oben, also von der Karriere her auch nach oben in den Unternehmen die Frauen zieht, dann hätte man sich, sagen wir mal, den eigenen Fachkräftemangel in den oberen Etagen auch noch selbst organisiert. Und Fakt ist: Die Frauen kommen heute besser ausgebildet als die Männer aus der Schule. Also könnte ich sagen, bisher werden gar nicht die Besten eingestellt.

    Liminski: Nun haben wir eine breite Diskussion. Bis vorgestern allerdings hat man noch über Hartz IV diskutiert, jetzt über die Frauenquote, die den Hartz IV-Empfängern nichts bringt. Ist diese doch ziemlich alte Debatte ein Ablenkungsmanöver der Politik, weil sie bei der Reform, die ihr immerhin vom Bundesverfassungsgericht aufgegeben wurde, nicht weiterkommt?

    Künast: Die drängende Debatte um die Frauenquote wird ja immer geführt, nicht erst seitdem Frau von der Leyen sich mal ein Wochenende draufgesetzt hat. Aber Sie sprechen schon was richtiges an. Ich sage mal, mir wäre lieber, Frau von der Leyen würde diese Woche mal noch ihre Hausaufgaben machen, und die müssen nämlich auch Frauen machen, auch Ministerinnen. Und die Hausaufgabe heißt, es muss endlich mal einen ordentlichen Vorschlag für den Vermittlungsausschuss geben, wie es bei Hartz IV weitergeht, eine gute ordentliche Berechnung der Regelsätze, die Frage des gleichen Lohns zum Beispiel bei der Leiharbeit, und da ist in der Koalition bei Schwarz-Gelb, CDU und FDP, bisher kein einhelliger Konsens da. Und Frau von der Leyen, wenn die ihre Hausaufgaben machen würde, wenn Frau Merkel da endlich mal reingehen würde und sagen würde, so sieht ein verfassungsgemäßer Vorschlag aus, für den sie von uns, von den Grünen auch dann die Stimmen kriegen könnte, dann wäre im Übrigen für die Frauen in Deutschland als allererstes viel getan, weil von der Leiharbeit, den miserablen Löhnen, darunter leiden im Augenblick gerade auch massenhaft Frauen. Also fangen wir doch mal da an. Und ich glaube, Frau von der Leyen hat für die Frauen große Probleme ausgelöst bisher, wenn sie nicht bis Sonntagabend einen wirklichen Vorschlag vorlegt, der in Karlsruhe dann auch mal Bestand hätte.

    Liminski: Frau Künast, was machen Frauen anders als Männer, sodass die Quote sinnvoll wäre?

    Künast: Erstens Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes. Der Staat muss fördern, damit Frauen überall sein können. Wir müssen also nicht argumentieren, was wir anders und besser machen, sondern es ist unser gutes Recht, keine blockierte Blockadestrukturen in der Gesellschaft zu haben.
    Zweitens glaube ich, dass es für jede Behörde, für jedes Unternehmen gut ist, Vielfalt zu haben, eben Männer und Frauen und durchaus auch aus unterschiedlichen Schichten, unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Die Vielfalt kann in jedem Unternehmen zu besseren Ergebnissen führen, weil Frauen anders schauen als Männer. Frauen kommunizieren auch anders. Man sagt ja immer, die Soft Skills, so weiche soziale Aspekte, seien auch die Aspekte, die die Frauen in Unternehmen einbringen. Das sind nämlich in Wahrheit nicht mehr softe Themen, sondern den anderen zu begreifen ist eigentlich Kern der Aufgabe, die in der Wirtschaft geleistet werden muss.

    Liminski: Die Frauenquote muss kommen und am besten mit Qualifikation und mit den Soft Skills, sagt hier im Deutschlandfunk Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen. Besten Dank für das Gespräch, Frau Künast.

    Künast: Ich danke auch.