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"Ich weiß nicht, warum wir diese Debatte führen"

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach bedauert den Rückzug von Erika Steinbach aus dem Bundesvorstand und erkennt keinen Grund, sie aus seiner Partei auszuschließen. Aus seiner Sicht habe es Steinbach verdient, dass ihre gesamte Lebensleistung nicht an einer einzelnen Äußerung festgemacht werde.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Jasper Barenberg | 10.09.2010
    Jasper Barenberg: Zitat: "Ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobilgemacht hat." Mit diesem einen Satz hat Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach gestern in der Fraktionssitzung von CDU und CSU offenbar einen kurzen, aber einen heftigen Streit ausgelöst. Enttäuscht über mangelnde Unterstützung kündigte sie jedenfalls nur Stunden später an, sich aus dem Vorstand der CDU zurückzuziehen. Verliert die Partei damit mehr als nur eines von 25 Mitgliedern in der Führung? - Wir wollen darüber mit einem sprechen, der als Fraktionsvize neun Jahre lang eng mit Erika Steinbach zusammengearbeitet hat, auch beim Thema Flucht und Vertreibung. Am Telefon begrüße ich den Innenexperten der CDU, Wolfgang Bosbach. Einen schönen guten Morgen, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Nach all dem jahrelangen Streit um Erika Steinbach, den es ja auch immer wieder gegeben hat um ihre Positionen, ist ihr angekündigter Rückzug noch ein Verlust für die CDU?

    Bosbach: Ich bedauere den Rückzug von Erika Steinbach aus dem Bundesvorstand der CDU, denn ich bin mir absolut sicher, dass Erika Steinbach weder die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreiten, noch im Übrigen Geschichtsrevision betreiben wollte oder betreiben will, und das gilt auch für ihr Engagement in der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Sie haben darauf hingewiesen, dass ich jahrelang, weil ich auch für das Gebiet Vertriebene zuständig war, mit Erika Steinbach zusammengearbeitet habe. Ich habe nie erlebt, dass sie auch nur den Versuch unternommen hat, die deutsche Kriegsschuld zu relativieren, und die Stiftung war ihr immer ein großes Anliegen, insbesondere mit dem Schwerpunkt Versöhnung.

    Barenberg: Nun habe ich den Satz eben noch einmal zitiert. Kann man ihn denn anders deuten als eine Relativierung der deutschen Schuld am Überfall auf Polen und am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges?

    Bosbach: Ich stelle mir natürlich die Frage, aus welchem Grund und mit welchem Ziel diskutieren wir 71 Jahre später über die polnische Teilmobilisierung vom März 1939, was soll bei einer solchen Diskussion herauskommen, mit welcher Zielrichtung diskutieren wir diese Frage, denn die Mobilmachung war ja eine Folge der aggressiven Politik des NS-Regimes auch gegenüber Polen. Es ist ja gerade nicht so, dass der Überfall Deutschlands auf Polen eine Folge oder eine Reaktion auf die Teilmobilisierung in Polen war, sondern Polen musste damit rechnen, von Deutschland angegriffen zu werden. Es gibt doch überhaupt keinen Zweifel daran, dass Deutschland diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat, dass Deutschland Polen überfallen hat, und dass es nicht ein Akt der Notwehr war. Also stelle ich mir die Frage: haben wir eigentlich keine anderen Sorgen, als 70 Jahre später darüber noch kontrovers zu debattieren.

    Barenberg: Vielleicht, Herr Bosbach, hat ja Frau Steinbach andere Sorgen und es war ein Moment großer Ehrlichkeit von ihrer Seite.

    Bosbach: Ich bin der festen Überzeugung, dass es Erika Steinbach ausdrücklich und auch ausschließlich darum ging, ihre Kollegen Tölg und Saenger zu schützen, sich vor sie zu stellen, sie zu verteidigen. Sie ist eine sehr engagierte Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen und sie fühlte sich sicherlich in dieser Situation verpflichtet, für ihre Kollegen zu streiten.

    Barenberg: Und auch Sie stellen sich an die Seite der beiden umstrittenen Beiratsmitglieder?

    Bosbach: Was heißt hier "an die Seite stellen"? Ich habe doch gerade gesagt, was ich davon halte, von diesem Satz. Ich weiß nicht, warum wir diese Debatte führen, und ich persönlich habe und hatte nie einen Zweifel daran, dass der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 kein Akt der Notwehr war wegen der Teilmobilisierung, sondern eine Folge der aggressiven Außenpolitik von Hitler, der ja schon 1933 gesagt hatte, ich habe eine Frist etwa von sechs bis acht Jahren, dann kann das Heer eine aktive Außenpolitik betreiben. Das ist ja gerade der Grund für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

    Barenberg: Herr Bosbach, kann Erika Steinbach noch Sprecherin Ihrer Fraktion für Menschenrechte bleiben?

    Bosbach: Das muss die Fraktion entscheiden, das muss auch Erika wissen, ob sie das selber tun möchte. Ich habe auch jetzt gelesen, dass die Fraktion sie von einer Rednerliste heruntergenommen hat, sicherlich nicht, um Erika Steinbach den Mund zu verbieten, sondern um sie auch zu schützen. Ich kann mir gut vorstellen, was im Deutschen Bundestag passieren wird, was die Opposition veranstalten wird, wenn Erika Steinbach ans Rednerpult tritt. Mir persönlich tut es sehr leid für Erika Steinbach. Ich glaube übrigens auch nicht, dass das, was in der Vorstandssitzung am Wochenende in der Klausurtagung geschehen ist, der alleinige Grund ist für ihren Rückzug aus der Parteiführung. Das wird der Anlass gewesen sein, aber ...

    Barenberg: Sie fühlte sich auch als Konservative im Stich gelassen. Zurecht?

    Bosbach: Sie fühlte sich in einigen Punkten alleine gelassen und hatte das Gefühl, nicht die notwendige Unterstützung zu erhalten. Die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" war ein großes Anliegen von Erika Steinbach und es hat sie natürlich getroffen, dass man dann Gott sei Dank diese Stiftung ins Leben gerufen hat, aber verbunden mit dem Satz, Sie, Frau Steinbach, obwohl es in Anführungszeichen "Ihr Kind" ist, dürfen auf keinen Fall in den Stiftungsrat einziehen. Das hat sie natürlich getroffen. Getroffen haben sie auch die massiven Angriffe aus Polen und dann ist wohl im Laufe der Zeit einiges an Unmut aufaddiert worden von ihr und das hat dann zu der Konsequenz geführt.

    Barenberg: Sie werben, Herr Bosbach, für Verständnis für Erika Steinbach. Heißt das auch, dass Sie weiterhin einen Platz für Erika Steinbach in der CDU sehen?

    Bosbach: Ja! - Ich kenne keinen Grund, warum wir jetzt Erika Steinbach aus der CDU ausschließen sollten. Ich sage es noch einmal: Ich habe ja auch viele Gespräche mit Erika Steinbach unter vier Augen geführt. Sie hat bei mir noch nicht einmal andeutungsweise den Eindruck hinterlassen, als ginge es ihr darum, die Geschichte umzuschreiben, als sei es Sinn und Zweck der Stiftung, deutsche Kriegsschuld zu relativieren oder gar zu bestreiten. Den Eindruck hat sie bei mir nie hinterlassen. Natürlich ist sie eine streitbare Frau, sie ist eine engagierte Kämpferin. Sie wurde eingeladen vom ungarischen Parlament, vom Parlament der Tschechischen Republik, sie hat in der Universität in Warschau gesprochen. Nie hat es Kritik gegeben und dann muss ich doch bei einer Würdigung die gesamte Lebensleistung einbeziehen. Viele haben auch in den letzten Jahren gewürdigt, dass Frau Steinbach sich redlich darum bemüht hat an der Spitze des BDV, den Verband zu modernisieren. Sie, Frau Steinbach, hat sich energisch gegen Bestrebungen der Preußischen Treuhand gewehrt, und deswegen hat sie es verdient, dass man ihre Lebensleistung nicht nur an diesem einen Zitat oder Satz festmacht, sondern an allem das, was sie getan hat, für unser Land und für die Vertriebenen.

    Barenberg: Der CDU-Innenexperte und Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach. Danke für das Gespräch.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.