Dienstag, 19. März 2024

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"Ich werde mir nicht den Mund verbieten lassen."

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hat den Vorwurf von Innenminister Schily, er würde durch sein Kritik an biometrischen Daten im künftigen Reisepass sein Amt missbrauchen, vehement zurückgewiesen. Es sei die gesetzliche Aufgabe des Datenschutzbeauftragten, die Öffentlichkeit über wesentliche Entwicklungen zu unterrichten. Anders als von Schily behauptet, hätten die Datenschutzbeauftragten auch keineswegs die Sicherheit der neuen Pässe bestätigt, sondern wiederholt Bedenken geäußert.

Moderator: Sandra Pfister | 18.06.2005
    Sandra Pfister: Die Linien unserer Finger, die Proportionen unseres Gesichts oder unserer Iris, wenn sie gemessen und gespeichert werden, erlauben solche Merkmale, eine Person zu identifizieren. Die USA haben Druck auf die EU gemacht, biometrische Merkmale in Reisepässe einzuführen, und zwar bereits in diesem Sommer - alles im Dienste der Terrorbekämpfung. Davon sind die Vereinigten Staaten mittlerweile abgerückt. Sie geben den übrigen Staaten ein weiteres Jahr Frist und nach EU-Recht hätte die deutsche Regierung ohnehin noch bis Mitte nächsten Jahres Zeit, die Pässe mit einem digitalen Foto zu versehen. Otto Schily allerdings macht Druck. Er will biometrische Pässe so schnell wie möglich. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar ist anderer Meinung, er plädiert dafür, die Einführung um ein Jahr zu verschieben. Bedenken dieser Art hat Otto Schily schon einmal als "Kompetenzüberschreitung" vom Tisch gewischt. Gestern Morgen im Deutschlandfunk wurde er noch deutlicher: "Der Herr Schaar überschreitet da seine Befugnisse. Man muss ihm das immer wieder sagen. Herr Schaar hat darüber zu wachen, ob der Datenschutz gewährleistet ist, es ist aber nicht seine Sache, darüber zu befinden oder auch dazu irgendwelche Meinungen kund zu tun in amtlicher Eigenschaft, ob es sinnvoll ist, biometrische Merkmale in den Pass einzuführen und welcher Zeitpunkt dafür geeignet ist. Er hat, wie gesagt, über den Datenschutz zu wachen, da hat er uns ausdrücklich bestätigt, ich wiederhole das, dass der Datenschutz völlig gewährleistet ist. Aber ob wir das tun und ob das notwendig ist, das hat nun wahrlich nicht Herr Schaar zu entscheiden und ich empfehle Herrn Schaar in dem Punkt wirklich mehr Zurückhaltung. Er missbraucht an der Stelle sein Amt." Die Vorwürfe richten sich an den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Mit ihm bin ich jetzt am Telefon verbunden. Herr Schaar, missbrauchen Sie Ihr Amt?

    Peter Schaar: Natürlich nicht. Ich war über diesen Vorwurf sehr überrascht, zumal ja mir im Gesetz aufgetragen ist, die Öffentlichkeit über wesentliche Entwicklungen des Datenschutzes zu unterrichten und auch meine Meinung kund zu tun. Und Datenschutz ist ja heutzutage nicht mehr nur das Prüfen vor Ort, sondern das ist die generelle Frage: Können durch den Umgang mit meinen persönlichen Daten irgendwelche Gefährdungen entstehen und wie kann man diesen Gefährdungen entgegnen? Und dazu gehören natürlich auch technische und organisatorische Maßnahmen, um einen Missbrauch dieser Daten zu verhindern.

    Pfister: Sie rechnen also nicht mit einem Disziplinarverfahren?

    Schaar: Ein Disziplinarverfahren kann es nicht geben, weil ich unabhängig bin. Es kann allenfalls einen Akt der Rechtsaufsicht geben, das ist im Gesetz festgeschrieben, dann müsste die Bundesregierung als Ganzes hier rechtsaufsichtlich tätig werden und dann würde das sicherlich einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich, letztlich durch das Bundesverfassungsgericht. Wenn der Minister der Auffassung ist, ich hätte hier meine Befugnisse überschritten, dann soll er mir das bitte nicht über ein Radiointerview vorwerfen, sondern dann soll er diesen, im Gesetz vorgegebenen Weg gehen.

    Pfister: Nun hat Otto Schily gestern gesagt, Sie hätten ausdrücklich bestätigt, dass der Datenschutz in biometrischen Pässen gewährleistet sei, stimmt das denn?

    Schaar: Also auch das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen: Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat gerade Anfang Juni wieder Bedenken gegen dieses schnelle Einführungstempo geäußert. Und zwar geht es dabei darum in erster Linie, dass aus unserer Sicht die Sicherheit dieser Verfahren überhaupt noch nicht endgültig festgestellt ist. Und uns liegen nicht mal die Testergebnisse vor über die Verwendung dieser biometrischen Merkmale - nur das Bundesinnenministerium selbst kennt sie und nur das Bundesinnenministerium kann dann letztlich darüber etwas sagen, warum es diese Erkenntnisse der Öffentlichkeit nicht zugänglich macht.

    Pfister: Aber die biometrischen Pässe werden doch in jedem Fall sicherer sein als die Pässe, die wir im Moment haben?

    Schaar: Selbst das ist nicht gesagt. Diese biometrischen Pässe sollen ja einen Funkchip enthalten. Und dieser Funkchip ist auslesbar von außen - möglicherweise sogar bei geschlossenem Pass, ohne dass ich das bemerke. Insofern frage ich mich natürlich: Sind diese Funkchips wirklich so sicher, wie das Bundesinnenministerium behauptet, aber bisher nicht belegt hat?

    Pfister: Das wichtigste Argument von Otto Schily ist ja dann: Egal, wie sicher die Funkchips im Moment sind - er behauptet, sie sind es -, die Daten werden ja nicht zentral gespeichert, sondern sind nur auf einer Chipkarte. Wie soll da jemand drankommen?

    Schaar: Erst mal sollen die Daten in der Tat nur auf diesen Chips gespeichert werden. Die EU-Passverordnung sieht jedoch als mögliche Entwicklung auch die Einrichtung eines Passregisters vor. Ein solches zentrales Register würde in der Anfangsphase ja auch wenig Sinn machen - in einer Phase, wo jeder so einen Chip hat, sieht das sicherlich ganz anders aus. Und hier hat ja auch das Europäische Parlament sich sehr eindeutig dagegen geäußert.

    Pfister: Aber im Moment behalte ich noch die Kontrolle, wem ich die Daten gebe, wenn es die Funkchips gibt?

    Schaar: Soweit gewährleistet ist, dass dieser Pass nicht heimlich ausgelesen wird, kann ich sicherlich sagen, diese Daten bleiben unter meiner Kontrolle. Wenn ich aber in ein anderes Land einreise, zum Beispiel auch in ein Land, in dem demokratische Verhältnisse nicht garantiert sind - aber nicht nur dort -, dann ist es ja gerade Zweck dieser Chips, diese Daten auslesen zu können. Und auch heute ist es schon so, dass solche Länder Dateien mit biometrischen Daten führen. Wenn Sie zum Beispiel in die USA einreisen, dann müssen Sie einen Fingerabdruck abgeben und dann müssen Sie sich fotografieren lassen und die Daten landen für 99 Jahre in einer zentralen Datei. Also, bei uns gibt es so etwas noch nicht, das ist völlig richtig.

    Pfister: Wird es denn so was geben, Ihrer Meinung nach?

    Schaar: Also, das lässt sich schwer derzeit bewerten. Das ist eine Prognose, die in eine weitere Zukunft reicht. Die EU ist sicherlich auch noch nicht fertig mit diesem Gedanken, aber dass es entsprechende Forderungen gibt, lässt sich ja hier nicht verbergen. Ich war letztens auf einer Podiumsdiskussion mit leitenden Polizeibeamten, die genau eine solche Datei gefordert haben.

    Pfister: Daher rühren ja wahrscheinlich Ihre eigentlichen Bedenken. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann vermuten Sie eher, dass die Polizei in großem Stil auf solche biometrischen Pässe zugreifen wird und die Daten, die darauf gespeichert sind?

    Schaar: Also wenn solche Daten erst mal in den Pässen vorhanden sind - und auch später dann in den Personalausweisen, wie das geplant ist -, dann lassen sich sehr viel einfacher Massenkontrollen durchführen. Das ist ja auch ein Zweck dieser neuen biometrischen Merkmale. Und diese Entwicklung ist natürlich aus Sicht eines Datenschützers kritisch zu bewerten und ich werde mir da auch nicht den Mund verbieten lassen.

    Pfister: Aber was ist denn eigentlich schlecht an einer Fahndung mit biometrischen Daten?

    Schaar: Na ja, also die Frage ist ja: Sollen solche biometrischen Daten in einem sehr, sehr breiten Umfang erhoben werden? Auch heute haben wir ja Verhandlungen, Öffentlichkeitsverhandlungen, wo ein entsprechendes Bild dann veröffentlicht wird. Die Frage ist ja: Sollen wir jetzt tatsächlich eine Vollausstattung eines jeden Bürgers mit entsprechendem erkennungsdienstlichem Material bekommen, eine entsprechende doch vollständige Erfassung der europäischen Bürgerinnen und Bürger - nicht nur der europäischen, denn es geht ja letztlich um ein Projekt, das weltweit hier betrieben wird?

    Pfister: Wäre es denn nicht im Interesse unserer eigenen Sicherheit?

    Schaar: Es ist immer eine Abwägung. Ich denke, dass man hier, was jetzt alleine das Gesichtsbild anbelangt, sagen kann, diese Daten sind ja ohnehin schon im Pass vorhanden. Aber dann stellt sich die Frage: Wie ist das mit dem Fingerabdruck? Es wird darüber diskutiert, weitere biometrische Merkmale einzuführen. Auch das Bundesinnenministerium hat sich ja genau für diese Öffnung für den Iris-Scan zusätzlich noch mal ausgesprochen und da muss man sagen: Biometrische Daten sind nicht einfach gleichzusetzen mit einer PIN oder sonstigen Daten, die ich irgendwo in ein Terminal eingeben, sondern sie sagen ja auch etwas aus über bestimmte äußere Eigenschaften und möglicherweise - dazu trägt jetzt die Molekulargenetik bei - auch über bestimmte Zusammenhänge mit anderen Dispositionen. Wenn ich beispielsweise zu Haarausfall tendiere, dann gibt es bestimmte Korrelationen zu anderen genetischen Dispositionen. Und diese Dispositionen dann entsprechend automatisch auch auswertbar zu gestalten, das halte ich schon für recht kritisch.

    Pfister: Ganz zum Schluss also Ihr kurzes Resümee: Mehr Sicherheit durch biometrische Pässe - ist das eine Illusion?

    Schaar: Nein, ich würde sagen, es wird nicht so viel mehr Sicherheit geben, wie man sich davon verspricht, aber es gibt ein sehr viel mehr an Verarbeitung persönlicher Daten - und das ist Aufgabe des Datenschutzbeauftragten, sich um diese Fragen zu kümmern.